Mehr Gefühl Dank Tai Chi?

Anhänger der traditionellen chinesischen Bewegungsübungen des Tai Chi haben – insbesondere im Alter – ein besseres Fingerspitzengefühl als Menschen, die sich auf andere Weise fit halten. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt eine Untersuchung, die Wissenschaftlerinnen des Osher Research Institutes der Harvard Medical School in Boston durchgeführt haben.

Zwar weiß man schon seit Jahren, dass beispielsweise Blinde, Pianisten oder Geiger, die ihre Fingerspitzen durch tägliche Übungen schulen, ein größeres Feingefühl haben als Normalbürger. Die Übungen des Tai Chi aber verlaufen berührungslos. Bei den fließenden Bewegungsformen und Positionen wie „Wolkenhände“, „am Webstuhl arbeiten“ oder „der weiße Kranich breitet seine Schwingen aus“ hatten die 14 Studienteilnehmer lediglich die geistige Aufmerksamkeit auf ihre Arme und Hände einschließlich der Fingerspitzen gerichtet.

Alle Probanden hatten mindestens zwei Jahre lang drei Mal pro Woche geübt. Dann wurden sie gebeten, mit dem Zeigefinger zu ertasten, ob mehrere eng benachbarte Rillen längs oder quer verliefen. Im Durchschnitt gelang dies den Tai Chi-Praktikern noch bei einem Rillenabstand von 1,38 Millimetern. Eine Vergleichsgruppe gleich alter Erwachsener benötigte zur Lösung dieser Aufgabe jedoch im Mittel einen Abstand von 1,83 Millimetern zwischen den Rillen. Besonders ausgeprägt war die Überlegenheit der älteren Tai Chi-Anhänger, die noch Unterschiede von 1,5 Millimeter ertasteten – wogegen ältere Menschen aus der Vergleichsgruppe 2,35 Millimeter benötigten.

Dies seien „neue und wichtige Ergebnisse“ sagten die Studienleiterinnen Catherine Kerr und Jessica Shaw anläßlich der Jahrestagung der amerikanischen Society for Neuroscience im kalifornischen San Diego. Tai Chi schütze womöglich vor dem altersbedingten Nachlassen des Tastsinns, spekulierten sie. Mit der Untersuchung sehen Kerr und Shaw auch ihre Hypothese bekräftigt, dass die anhaltende geistige Konzentration auf bestimmte Körperteile beim Tai Chi die Wahrnehmungsfähigkeit in ähnlicher Weise verbessern kann wie beispielsweise das Üben der Blindenschrift. „Die Trainingseffekte des Tai Chi führen wahrscheinlich zu Veränderungen an den Sinnesnerven und im Gehirn der Übenden“, vermutet Kerr. Solche Veränderungen müssten in weiteren Studien nachgewiesen werden, forderten die Wissenschaftlerinnen. Außerdem sollten größere Untersuchungen zum Nutzen von Tai Chi bei Senioren durchgeführt werden, denn diese könnten bedeutsam sein, um die Folgen des Alterns zu mildern.

Quelle:

Weitere Informationen:

  • Bei Wikipedia findet man nähere Erläuterungen sowohl zum Tai Chi als auch zu einer ähnlichen Form chinesischer Meditations- und Bewegungsübungen, dem Qigong (=Chigong).
MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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