Bei Kinderwunsch: Jod und Folsäure

Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel und -zusätze ist groß, zumeist nutzen diese Präparate aber nur den Herstellern. Diesen Standpunkt, den ich über Jahrzehnte in zahlreichen Studien bestätigt fand, vertritt auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin. In einer aktuellen Pressemitteilung heißt es wörtlich: „Für gesunde Menschen in Deutschland, die sich ausgewogen und vielfältig ernähren, sind Nahrungsergänzungsmittel meist überflüssig.“

Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel und solch eine Ausnahme sind Schwangere und Frauen, die einen Kinderwunsch hegen. Ihnen wird von wissenschaftlichen Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung eine zusätzliche Einnahme von Präparaten mit Jod und dem Vitamin Folat (die synthetische Form heißt „Folsäure“) empfohlen. „Informationen über die Bedeutung dieser lebenswichtigen Mikronährstoffe für die Gesundheit von Mutter und (ungeborenem) Kind sollten daher ein wesentlicher Bestandteil der ärztlichen Beratung von Frauen mit Kinderwunsch sowie in Schwangerschaft und Stillzeit sein“, heißt es in der Pressemitteilung.

Um Ärzten die Beratung zu erleichtern hat man beim BfR ein Merkblatt neu aufgelegt. Es hat 8 Seiten, kann im pdf-Format kostenlos heruntergeladen werden, und ist verständlich genug, um auch für die betroffenen Frauen lesbar zu sein.

Obwohl bereits 1989 eine Änderung der Verordnung über jodiertes Speisesalz eingeführt wurde, ist Jodmangel in Deutschland noch immer weit verbreitet. Die Wissenschaftler verweisen auf eine aktuelle Erhebung des Robert Koch-Instituts, wonach etwa 30 Prozent der untersuchten Erwachsenen und 44 Prozent der Kinder und Jugendlichen „ein Risiko für eine unzureichende Jodaufnahme hätten“.

Besonders wichtig ist das Spurenelement für die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes – und zwar schon im Mutterleib. Daher wird in Deutschland für Schwangere und Stillende – nach vorheriger ärztlicher Rücksprache – die Einnahme von Präparaten mit 100 (bis 150) Mikrogramm Jod pro Tag empfohlen.

Ohne ausreichende Folatversorgung besteht die Gefahr, dass Kinder mit einem sogenannten Neuralrohrdefekt geboren werden. Dabei entwickeln sich Teil des Gehirns nicht richtig oder der Rückenmarkskanal bleibt offen („offener Rücken“). Bis zu 1000 Föten jährlich werden in Deutschland mit derartigen Defekten geboren, die meisten versterben in kurzer Zeit. Die Empfehlung dagegen lautet, mindestens vier Wochen vor Beginn und in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft täglich 400 Mikrogramm Folsäure in Tablettenform zu ergänzen. Eine Alternative wäre es, z.B. Salz generell mit Folsäure anzureichern, wie es in den USA seit 1996 gemacht wird. Im Gegensatz zu Europa, wo man sich mit derartigen Maßnahmen schwertut, ist die Zahl der Neuralrohrdefekte in den USA seitdem deutlich zurückgegangen.

Quelle / mehr dazu:

Mehr Ausdauer mit Urolithin?

Inspiriert von einem Fachartikel, den ich für Univadis.de geschrieben habe, habe ich das Wort „Urolithin“ gegoogelt. Binnen einer halbe Sekunde findet die Suchmaschine 180.000 Einträge. Der oberste stammt von der Wikipedia, ist äußerst knapp und belehrt mich: „Die Urolithine sind eine Gruppe natürlicher Phenole, die beim Abbau von Ellagsäure und Ellagitanninen im Verdauungstrakt entstehen.“ Ellagsäure und Ellagitannine sind wiederum in Granatäpfeln enthalten – und das ist wohl auch der Grund, warum Google mir noch über den eigentlichen Suchergebnissen gleich 5 Anbieter von Granatapfel-Extrakten einblendet.

Eine Handvoll Kapseln kostet zwischen 20 und 55 Euro, und dafür gibt es z.B. „Vorbeugung und Unterstützung für das Herz-Kreislaufsystem“, „Antioxidantien“, „gesundheitsfördernde Polyphenole“, „wertvolle Mineralstoffe“ und „optimale Bioverfügbarkeit der verwendeten Inhaltstoffe“.

Generell bin ich sehr skeptisch, was die Versprechungen von Nahrungsergänzungsmitteln angeht. Zwar habe ich auch schon Vitaminpillen und Kombipräparate geschluckt. Spätestens als im Jahr 1996 jedoch eine große Studie ergeben hatte, dass Vitamin B und E bei Rauchern das Risiko für Lungenkrebs erhöhten, lasse ich die Finger von dem Zeug und verlange generell harte Beweise für den Nutzen jeglicher Pille, bevor ich sie schlucke.

Harte Beweise findet man häufig in klinischen Studien, und so wurde ich hellhörig, als ich in der Fachzeitschrift JAMA Network Open von den Effekten einer Supplementierung durch Urolithin A auf die Muskelausdauer und „mitochondriale Gesundheit“ bei älteren Menschen las. Grund zur Skepsis gibt zwar die kleine Zahl von nur 66 Teilnehmern und die Finanzierung der Studie durch das Unternehmen Amazentis, wo man sich weltweite Patente für eine Urolithin A-Zubereitung unter dem Markennamen Mitopure™ gesichert hat.

Immerhin war die Studie aber randomisiert und doppel-blind angelegt. Das bedeutet, dass die Teilnehmer nach dem Losverfahren täglich entweder 1 Gramm Urolithin A erhielten oder ein wirkungsloses Scheinpräparat (Placebo). Um zu verhindern, dass die Erwartung das Ergebnis beeinflussen würde, erfuhren zudem die beteiligten Wissenschaftler und die Probanden erst am Ende der Studie, wer was erhalten hatte.

Wie es sich für eine ordentliche Studie gehört, hatten die Forscher im Voraus festgelegt, woran sie den Nutzen von Urolithin A messen wollten: Die durchschnittlich 72 Jahre alten Senioren mussten zu Beginn der Studie und nach 4 Monaten 6 Minuten lang gehen, wobei die Zahl der Schritte gemessen wurde. Jene, die Urolithin A bekommen hatten, schafften im zweiten Anlauf 61 Meter mehr, bei den Placebo-Empfängern waren es 43 Meter. Zwar sieht dies auf den ersten Blick wie ein leichter Vorteil für das Nahrungsergänzungsmittel aus. Die statistische Analyse ergab jedoch, dass der Unterschied ebenso gut auf einer zufälligen Schwankung beruhen könnte („nicht signifikant“).

Als nächstes schauten die Forscher mithilfe der Magnetresonanzspektroskopie in Muskeln der Hand und am Schienbein nach, ob die Substanz ATP (eine Art „Energieriegel“ für die Zellen) nach zweimonatiger Einnahme von Urolithin A gegenüber Placebo vermehrt gebildet wurde. Dies war indes nicht der Fall. Am Schienbeinmuskel hatten die Produktion von ATP unter Urolithin A scheinbar sogar abgenommen. Doch auch hier ergab die statistische Analyse: kein signifikanter Unterschied.

Umso erstaunlicher mutet das Ergebnis des dritten Tests an, den die Wissenschaftler unternommen haben: Sie baten ihre Probanden, möglichst oft die Hand- bzw. Schienbeinmuskeln anzuspannen und zählten die Zahl der Kontraktionen bis zur Erschöpfung. Diejenigen Senioren, die 2 Monate lang Urolithin A genommen hatten, schafften dies in der Hand durchschnittlich 95 mal, und am Schienbein 41 mal. Probanden, die nur ein Placebo bekommen hatten, erreichten dagegen nur 12 bzw. 6 Kontraktionen. Allerdings: Nach 4 Monaten hatten die Placebo-Empfänger deutlich aufgeholt, sodass der Unterschied zwischen den Gruppen gemäß den Regeln der Statistik erneut nicht eindeutig (signifikant) war.

Trotz dieser eher zwiespältigen Ergebnisse kommen die Autoren der Studie – darunter mehrere Mitarbeiter des Herstellers – zu dem Schluss, dass Urolithin A bei längerfristigem Gebrauch dem alters-assoziierten Muskelschwund entgegenwirken könnte. Begierig wurde die, von einer Pressemitteilung begleitete, Geschichte vor allem in den USA von den Medien aufgenommen. Schon wird Urolithin A als „Jungbrunnen“ gefeiert, der die Leistung steigert und das Altern der Muskeln umkehren könne. Für den Hersteller sind das sicher gute Nachrichten. Ich aber bleibe bei meiner Skepsis und setze gegen Alterserscheinungen weiterhin auf schweißtreibende Ausritte mit meinem Rennrad.

Quellen:

Denguefieber mit Bakterien bekämpft

Mit Hilfe natürlich vorkommender Bakterien haben australische Wissenschaftler einen bedeutenden Erfolg gegen das Denguefieber errungen: Auf einer Testfläche im indonesischen Yogyakarta reduzierte die biologische Infektionskontrolle unter mehr als 8000 Versuchsteilnehmern die Zahl der Erkrankungen auf ein Viertel, und die Zahl der Klinikeinweisungen auf ein Siebtel. Finanziert wurde die Studie von der Tahija-Stiftung, dem Wellcome Trust, und der Bill and Melinda Gates Foundation.

Das Denguefieber trifft jährlich zwischen 50 und 100 Millionen Menschen, vor allem in den Tropen und Subtropen. Es geht neben dem namensgebenden Fieber mit starken Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen einher, von denen sich die Betroffenen nur langsam erholen, und die Krankheit kann in seltenen Fälle auch tödlich verlaufen. In Deutschland wurden dem Robert-Koch-Institut im letzten Berichtsjahr 2019 eine Rekordzahl von 1176 Fällen bei Rückkehrern aus Thailand, Indonesien und anderen Reisezielen gemeldet.

Der Erreger des Denguefiebers ist ein RNA-Virus, die wichtigsten Überträger sind Stechmücken der Art Aedes aegypti. Die hat man bislang mit Insektiziden bekämpft, oder durch das Austrocknen der vielen kleinen Wasserstellen, in denen sich die Larven der Mücken entwickeln – jedoch waren beide Strategien nur mäßig erfolgreich.

Eine Arbeitsgruppe um Cameron P. Simmons an der Monash-Universität im australischen Clayton hat nun in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, wonach eine spezielle Art der biologischen Infektionskontrolle bisherigen Methoden deutlich überlegen ist. Sie nutzten dabei Bakterien der Art Wolbachia pipientis, die in der freien Natur in etwa 60 Prozent aller Insektenarten vorkommen – nicht aber in Stechmücken.

Tausende von Versuchen waren nötig, bis es den Forschern gelang, mit feinen Injektionsnadeln die Wolbachia-Bakterien in Eier der Denguemücken zu spritzen, aus denen erst Larven und dann erwachsene Mücken heranwuchsen, die wiederum Wolbachia-Bakterien in sich trugen. Eine Folge davon ist, dass die Dengueviren im Leib der Mücken sich kaum noch vermehren können. Befallene Mücken saugen zwar weiterhin Blut beim Menschen, jedoch stellt dies kaum noch ein Infektionsrisiko dar. Außerdem bieten die Wolbachia-Bakterien noch einen weiteren Vorteil: Sie manipulieren ihre Wirte derart, dass sie sich in der freilebenden Mückenpopulation von selbst ausbreiten. Nur Weibchen, die Wolbachia-Bakterien in sich tragen, können nämlich fruchtbare Nachkommen auf die Welt bringen.

Nach jahrelangen Vorversuchen in geschlossenen Räumen, Genehmigungsverfahren bei den örtlichen Behörden und mit schriftlicher Zustimmung der 8144 Studienteilnehmer bzw. ihrer Eltern starteten die Forscher im Jahr 2017 den bislang größten Feldversuch dieser Art. Innerhalb der indonesischen Großstadt Yogyakarta wählten sie dabei ein Gebiet von 26 Quadratkilometern, das in 24 separate Flächen unterteilt wurde. Drei Jahre lang wurden auf 12 dieser Flächen insgesamt 9-14-mal Eier der vorbehandelten Mücken ausgesetzt, während die anderen Flächen als Vergleich dienen sollten. In den Krankenhäusern des Gebiets wurde schließlich erfasst, wie viele der Studienteilnehmer dort mit Denguefieber auftauchten und wie viele so schwer erkrankten, dass sie in der Klinik bleiben mussten.

Das Ergebnis war eindeutig: Dort, wo man die „Wolbachia-Mücken“ ausgesetzt hatte, erkrankten 67 von 2905 Teilnehmern (2,3 Prozent), in den Kontrollgebieten waren es 318 von 3401 (9,4 Prozent). Dies bedeutet, dass die Forscher mit ihrer Strategie etwa drei Viertel aller Infektionen verhindern konnten. Nochmals stärker war die Reduktion bei den Krankenhauseinweisungen. Nur 0,4 Prozent – also jeweils einer unter 250 – erkrankte in den Gegenden mit Wolbachia-Mücken gegenüber 3 Prozent (jeder 33ste) in den Vergleichsgebieten.

Dieser Erfolg ist umso erstaunlicher, weil die Versuchs- und die Kontrollgebiete räumlich benachbart waren und es keine größeren Barrieren für die Ausbreitung der Mücken gab. Die Überzahl an Wolbachia-Mücken im Versuchsgebiet blieb während jahrelanger Beobachtungen stabil, sodass die Methode womöglich jeweils nur ein einziges Mal angewandt werden muss. Wenn auch in anderen Infektionsgebieten ähnlich gute Resultate erzielt werden können, wäre dies ein bedeutender Erfolg für die biologische Infektionsbekämpfung.

Quellen:

Utarini A et al.: Efficacy of Wolbachia-Infected Mosquito Deployments for the Control of Dengue. N Engl J Med. 2021 Jun 10;384(23):2177-2186. doi: 10.1056/NEJMoa2030243.

Falkenhorst G et al.: Zur Situation bei wichtigen Infektionskrankheiten – Reiseassoziierte Krankheiten 2019 Epid Bull 2020; 50:7-20. doi: 10.25646/7693

weitere Informationen:

Das World Mosquito Program beschreibt (auf Englisch), und in einem YouTube-Video, wie Wolbachia-Bakterien indirekt die Verbreitung des Denguevirus verhindern.

Vorhersage der Schuppenflechte

Nicht nur lästig und häufig quälend, sondern oft auch traumatisierend – so erleben viele Patienten die Hautkrankheit Schuppenflechte (Psoriasis). Angesichts silbriger Hautschuppen oder roter Flecken fühlen sie sich entstellt und ausgegrenzt, obwohl die Psoriasis nicht ansteckend ist. Dazu kommt trotz Medikamenten bei annähernd der Hälfte der rund 2 Millionen Betroffenen in Deutschland ein ständiger Juckreiz. Kein Wunder, dass sie sich fragen: „Bleibt das so oder geht das wieder weg?“

Eine Antwort darauf geben schwedische Wissenschaftler in der Fachzeitschrift JAMA Dermatology. Sie haben dazu die Daten von 721 Patienten ab 15 Jahren ausgewertet, die in Stockholm im Abstand von 10 Jahren mehrfach von Fachärzten untersucht und befragt worden waren. Aus der Statistik kann man zwar für einen einzelnen Patienten nicht mit Sicherheit vorhersagen, wie seine Krankheit sich entwickeln wird. Immerhin bestätigt die Untersuchung jedoch, dass es verschiedene Erscheinungsformen der Schuppenflechte gibt, und bei diesen Varianten ist die Chance auf eine Heilung sehr unterschiedlich.

Die wichtigsten Ergebnisse der aus öffentlichen Mitteln finanzierten Studie lauten:

  • Etwa jeder 5. Patient entwickelt im Verlauf von etwa 12 Jahren eine schwere Erkrankung. Das Risiko dafür war bei Rauchern deutlich (um 70 %) erhöht, was auch schon frühere Studien gezeigt hatten.
  • Die häufigste Form der Krankheit ist die Plaque-Psoriasis (Psoriasis vulgaris) Sie lag anfangs bei 75 % der Patienten vor und ist durch silbrige Schuppen gekennzeichnet. Ohne Behandlung erreicht in dieser Gruppe nach 10 Jahren nur jeder 5. eine „minimale Krankheitsaktivität“, die ihn kaum beeinträchtigt.
  • 24 % erkrankten im Untersuchungszeitraum an einer dem Gelenkrheuma ähnlichen Variante der Schuppenflechte, der Psoriasis-Arthritis. Das Risiko dafür war erhöht (52 %) unter Patienten mit einer anfänglichen Plaque-Psoriasis, die unter einem schweren Befall der Haut einschließlich des Kopfes gelitten hatten.
  • Patienten mit anfänglich geringer Krankheitsaktivität (unter dem Durchschnitt) entwickelten nur in 11 % der Fälle eine Psoriasis-Arthritis.
  • Die oft bei Kindern und Jugendlichen auftretende Psoriasis guttata mit ihren roten Punkten auf der Haut wurde in der Studie anfangs bei 24 % der Teilnehmer festgestellt. Diese hatten im Vergleich zur Psoriasis vulgaris einen im Durchschnitt günstigeren Verlauf. Auch ohne Medikamente war hier nach 10 Jahren bei 48 % eine minimale Krankheitsaktiviät erreicht.

Für Diskussionen dürfte vor allem eine Beobachtung der Wissenschaftler sorgen: Sie konnten nämlich zeigen, dass jene Patienten, die von Beginn an eine innerliche („systemische“) Therapie gegen die Schuppenflechte bekommen hatten, ein um 76 % geringeres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf hatten als jene, die erst später diese Medikamente erhielten. Zu diesen Arzneien gehören allerdings auch eine Reihe neuer Präparate, deren Kosten bei bis zu 25000 Euro jährlich liegen.

Quellen:

Svedbom A et al.: Long-term Outcomes and Prognosis in New-Onset Psoriasis. JAMA Dermatol. 2021 Apr 14. doi: 10.1001/jamadermatol.2021.0734.

Deutsche Dermatologische Gesellschaft: Leitlinie Therapie der Psoriasis vulgaris.

Keine Entwarnung nach Corona

Es sind Zahlen, die mittlerweile fast jeder kennt: Mehr als 3 Millionen Menschen haben sich in Deutschland mit dem neuen Corona-Virus infiziert, mehr als 80.000 sind damit gestorben. Vergleichsweise wenig weiß man aber bisher über jene, die an COVID-19 (so der Fachbegriff der Erkrankung) litten und nicht in die Klinik mussten. War es das oder kommt da noch was?

Erste Antworten liefert eine Studie aus den USA, die den Gesundheitszustand von rund 5 Millionen ehemaligen Armeeangehörigen analysiert hat und aus Steuermitteln bezahlt wurde. Die weitaus meisten Untersuchten hatten kein COVID-19 und dienten als Vergleichsgruppe. 73.435 Personen jedoch waren an COVID-19 erkrankt und hatten die ersten 30 Tage überstanden, ohne in die Klinik zu müssen.

Die Forscher um Ziyad Al-Ali nutzten für ihre Analyse die Gesundheitsdatenbanken des US-Ministeriums für Armeeveteranen und prüften für 379 Diagnosen, 380 Medikamentenklassen und 62 Labortests die Häufigkeit in den beiden Gruppen über einen Zeitraum von 6 Monaten.

Ein Ergebnis dieser ersten umfassenden Erhebung zu den „post-akuten“ Folgen einer COVID-19-Erkrankung war, dass die Überlebenden ein etwa 60 % höheres Risiko hatten zu versterben als Menschen, die nicht an COVID-19 erkrankt waren. Auch die absoluten Zahlen haben die Wissenschaftler errechnet und in Form der Übersterblichkeit präsentiert. Im ersten Halbjahr starben demnach unter je 1000 ehemaligen Corona-Patienten 8,39 Menschen mehr, als zu erwarten waren.

Die Details ihrer Untersuchung präsentieren Al-Ali und seine Kollegen in der Fachzeitschrift Nature mit einer Fülle von Grafiken, die auffällige Beobachtungen der Ärzte zusammenfassen. Für fast jedes Organ fanden sie dabei gleich mehrere Krankheiten, die unter früheren COVID-Patienten gehäuft auftraten, und deren Auftreten nicht durch zufällige Schwankungen zu erklären war.

Wie erwartet waren Krankheiten der Atemwege am häufigsten – sie wurden bei jedem 30sten Betroffenen neu diagnostiziert. Damit einher ging auch ein deutlicher Mehrverbrauch von Arzneien zur Erweiterung der Atemwege, gegen Husten oder Asthma.

Unter den psychischen Leiden wurden Schlafstörungen bei jeweils etwa 15 von 1000 ehemaligen COVID-Patienten festgestellt, sowie Trauma und Stresserkrankungen bei knapp 1 %. Auch hier spiegelten sich die Probleme in der häufigeren Einnahme von Medikamenten – vor allem Schmerz- und Betäubungsmittel, aber auch Antidepressiva.

Weitere alarmierende Befunde waren häufig erhöhte Blutfettwerten und Bluthochdruck, die beide das Risiko einer Herzerkrankung erhöhen. Unter der Kategorie „Allgemeines Wohlbefinden“ stehen Müdigkeit, Muskelschmerzen und Blutarmut ganz oben auf der Liste – allesamt Beschwerden, die man bereits aus Untersuchungen von schweren Fällen kennt, bei denen die Patienten ins Krankenhaus mussten.

In einer separaten Untersuchung haben die Forscher Patienten verglichen, die wegen Corona ins Krankenhaus mussten und solche, die dort wegen einer saisonalen Grippe (Influenza) behandelt wurden. Dabei seien die Belastungen nach Corona in den meisten Bereichen deutlich größer gewesen, heißt es.

Auch jenseits der ersten 30 Tage haben demnach Menschen, die von COVID-19 „genesen“ sind, ein erhöhtes Risiko, zu versterben oder an einer Vielzahl von Leiden unterschiedlicher Organe zu erkranken. Auch wenn die Daten hierzu von US-Veteranen stammen – also vorwiegend von älteren Männern – hilft diese Arbeit doch, das mittelfristige Risiko nach einer Corona-Infektion auch bei weniger schwer Erkrankten abzuschätzen.

Quelle:

Al-Aly, Z. et al. High-dimensional characterization of post-acute sequalae of COVID-19. Nature 2021 (online) doi: 10.1038/s41586-021-03553-9. (Nicht editiertes Manuskript).

Corona: Begrenzter Schutz nach natürlicher Ansteckung

Menschen, die sich auf natürliche Weise mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) angesteckt haben, sind danach mindestens ein halbes Jahr lang deutlich weniger anfällig für eine zweite Infektion. Dieser „natürliche Schutz“ ist aber weniger gut als mit den meisten Impfungen, und insbesondere ältere Menschen sind auch nach einer ersten Corona-Infektion weiterhin stark gefährdet.

Dieser Schluss kann aus einer dänischen Untersuchung gezogen werden, die jetzt in der Fachzeitschrift „Lancet“ erschienen ist. Die Forscher nutzten dafür ein „Experiment“, das in Dänemark im Jahr 2020 durchgeführt wurde. Dort hat man nämlich der gesamten Bevölkerung kostenlos die hochempfindlichen PCR-Tests zum Nachweis des Virus angeboten.

4 Millionen Dänen machten im Laufe des Jahres davon Gebrauch – das sind 69 Prozent der Bevölkerung. Da viele mehrfach getestet wurden, verfügt man in Dänemark über eine gewaltige Datenbank mit 10,9 Millionen Testergebnissen. Die wurden für den Zweck der Untersuchung zwar anonymisiert, konnten aber trotzdem einzelnen Personen zugeordnet werden.

So konnten die Forscher herausfinden, wie viele Menschen bei einem ersten Test zwischen März bis Mai „positiv“ (also aktuell infiziert) waren, und wie viele nicht. Zweitens konnten sie anhand der Ergebnisse in einem zweiten Testzeitraum (September bis Dezember) errechnen, welcher Anteil der bereits Infizierten sich erneut angesteckt hatte. Und drittens konnten sie die Neuinfektionen zwischen den Personen vergleichen, die sich bereits einmal infiziert hatten und jenen, bei denen das nicht der Fall war.

Heraus kam, dass nur bei einem sehr kleinen Teil der bereits positiv Getesteten eine zweite Infektion nachweisbar war, nämlich 72 von 11068 Personen, was einem Anteil von 0,65 % entspricht. Unter den 525339 Personen mit einem ersten negativen Test wurde dagegen eine Infektion bei 16819 nachgewiesen. Das sind 3,27 % und damit eine etwa fünf Mal so hohe Ansteckungsrate wie bei jenen, die bereits eine erste Infektion hinter sich hatten.

Daraus lässt sich schließen, dass etwa ein halbes Jahr nach einer Infektion durchschnittlich 4 von 5 Betroffenen vor einer zweiten Infektion geschützt ist. Allerdings waren es bei den Älteren (Menschen ab 65 Jahren) nur noch knapp 50 %. Dies ist deutlich weniger als die durchschnittliche Wirksamkeit der in Deutschland verfügbaren Impfstoffe (etwa 95 % für BioNTec und Moderna sowie 80 % für AstraZeneca).

Wie lange der Schutz anhält ist sowohl für natürliche Infektionen wie auch für die Impfstoffe noch nicht genau bekannt. In der aktuellen Studie waren es mindestens 7 Monate ohne ein Nachlassen der Schutzwirkung und manche Experten schätzen, dass der Impfschutz 1 bis 2 Jahre anhalten sollte – aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt nur Spekulation.

Quelle:

Hansen CH et al.: Assessment of protection against reinfection with SARS-CoV-2 among 4 million PCR-tested individuals in Denmark in 2020: a population-level observational study. Lancet. 2021 Mar 27;397(10280):1204-1212. doi: 10.1016/S0140-6736(21)00575-4.

Krebsrisiko durch Sonnenschäden abgeschätzt

Wer oft, lange, und ungeschützt in der Sonne weilt, erhöht damit sein Risiko, eine Aktinische Keratose zu bekommen. Sie gilt als Vorstufe für das Plattenepithelkarzinom, den zweithäufigsten bösartigen Hauttumor. Wie hoch das Risiko dafür genau ist, haben Wissenschaftler nun anhand von Daten der Krankenversicherung Kaiser Permanente aus Nordkalifornien geschätzt, die diese Studie auch finanziert hat.

Verglichen wurden jeweils mehr als 200000 Menschen im durchschnittlichen Alter von 64 Jahren, die am Anfang des Untersuchungszeitraums (2009) eine Aktinische Keratose hatten, oder nicht. In der ersten Gruppe erhöhte sich das Risiko für ein Plattenepithelkarzinom alljährlich um knapp 2 Prozent – das war mehr als doppelt so stark wie in der Kontrollgruppe. Am Ende des Untersuchungszeitraums (2019) hatten rechnerisch 17,1 Prozent der Patienten mit einer Aktinischen Keratose ein Plattenzellkarzinom entwickelt. Unter denjenigen ohne Aktinische Keratose waren es 5,7 Prozent. Laut Angaben der Forscher ist dies die erste Untersuchung, bei der die Entwicklung des Risikos über solch einen langen Zeitraum verfolgt wurde.

Die gute Nachricht lautet, dass das Erkrankungsrisiko zwischen den Jahren 2009 und 2019 um etwa ein Drittel gesunken ist hat. Eine mögliche Ursache dafür ist, dass Aufklärungskampagnen die Bevölkerung insgesamt vorsichtiger gemacht haben könnten, sodass man weniger oft ungeschützt in die Sonne geht. Eine weitere Erklärung lautet, dass die Aktinische Keratose heutzutage eher ernst genommen und frühzeitig behandelt wird – etwa mit einer Kältetherapie („Vereisung“) oder mit wochenlang aufgetragenen Salben, die die Wirkstoffe Imiquimod oder Fluorouracil enthalten.

Mit den neuen Zahlen können Ärzte das Risiko ihrer Patienten besser abschätzen. Streng genommen gilt das aber nur für die Bevölkerung Nordkaliforniens, wo die Sonne ja bekanntlich häufiger scheint als in Deutschland.

Quelle

Madani S et al.: Ten-Year Follow-up of Persons With Sun-Damaged Skin Associated With Subsequent Development of Cutaneous Squamous Cell Carcinoma. JAMA Dermatol. 2021 Mar 24. doi: 10.1001/jamadermatol.2021.0372.

Weitere Informationen

Für Ärzte gedacht ist eine ausführliche Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und der Deutschen Krebsgesellschaft, die den neuesten Stand der Wissenschaft zur Erkennung und Behandlung beider Hautkrankheiten zusammenfasst.

Vitiligo

Eine fortschreitende, nicht ansteckende Hautkrankheit, die bislang nicht geheilt werden kann. Typisch sind scharf begrenzte, hellrosa bis kalkweiße Flecken. Sie treten oft symmetrisch auf, bilden einen auffälligen Kontrast zur natürlichen Hautfarbe, und finden sich vorwiegend an den Körperöffnungen, sowie am Rumpf und den Extremitäten. Dies ist zwar nicht gefährlich, kann jedoch insbesondere für dunkelhäutige Menschen ein großes kosmetisches Problem darstellen. Angeblich soll auch der verstorbenen Pop-Star Michael Jackson unter Vitiligo gelitten haben.

Betroffen sind – je nach Quelle – zwischen 0,5 und 2,0 % der Bevölkerung. Meist beginnt die Krankheit im Alter zwischen 10 und 30 Jahren.

Ursache ist eine Fehlfunktion des Immunsystems. Sie führt zum Verlust jener Zellen (Melanozyten), die in der Haut den gelblichen bis schwarzen Farbstoff Melanin bilden.

Wenn es nicht ausreicht, kleinere Flecken mit Schminke abzudecken, kann die Behandlung mit Entzündungshemmern (Glukokortikoide und Calcineurininhibitoren) erfolgen, oder mit einer Phototherapie, die aber nicht bei allen Patienten erfolgreich sind.

Eine Alternative ist bei kleineren betroffenen Flächen die Übertragung von Gewebe von nicht betroffenen Körperteilen des Patienten. Letzter Ausweg bei größeren Flächen ist die vollständige Entfärbung (Depigmentierung) der Haut mit einem Bleichmittel (Monobenzon), das aber über mehrere Monate hinweg mehrmals täglich aufgetragen werden muss.

In den letzten Jahren wurden mindestens drei neue Wirkstoffe erprobt: Afamelanotid, ein künstliches Hormon, beschleunigte in einer Studie mit 55 Patienten den Effekt einer Lichttherapie und vergrößerte die gebräunte Fläche um ca. 50 Prozent. Obwohl die Herstellerfirma Clinuvel bereits 2014 eine Zulassung für Vitiligo beantragen wollte, liegt dafür noch keine behördliche Genehmigung vor (Stand 21.7.20).

Ein Jahr nach der Studie mit Afamelanotid berichteten Hautärzte der Yale School of Medicine von einer einzigen Patientin mit Vitiligo, der sie das Rheuma-Medikament Tofacitinib gegeben hatten. Binnen fünf Monaten verschwanden daraufhin die meisten der weißen Flecken im Gesicht und auf den Händen dieser Frau. Diese Spur wurde anscheinend nicht weiter verfolgt. Eine Zulassung zu Behandlung der Vitiligo hat Tofacitinib bis heute nicht (Stand 21.7.20).

Die bislang größte Studie zur Vitiligo wurde im Juli 2020 berichtet. Gesponsert von der Herstellerfirma Incyte erhielten hier 157 Patienten eine Hautcreme entweder mit oder ohne Ruxolitinib, ein dem Tofacitinib verwandter Wirkstoff, der das Immunsystem dämpft. Die Erfolgsrate war relativ hoch; etwa die Hälfte der Betroffenen erreichten unter Ruxolitinib eine Dunkelfärbung der betroffenen Hautareale von mehr als 50 %, und im Gesicht waren es bei ca. einem Drittel der Patienten sogar mehr als 90 Prozent. In einem Kommentar zu dieser Studie schreibt Thierry Passeron von der Universität Nizza, dass Ruxolitinib womöglich in Kombination mit Sonnenlicht oder künstlicher UV-Bestrahlung noch besser wirken könne. Obwohl Ruxolitinib gegen andere Erkrankungen seit 2012 zugelassen ist, steht es für die Behandlung der Vitiligo außerhalb klinischer Studien noch nicht zur Verfügung (Stand 21.7.20).

Quellen:

Krebspatienten oft schlecht ernährt

Etwa jeder dritte Krebspatient, der in einer Schwerpunktpraxis versorgt wird, ist unzureichend ernährt. Herausgefunden hat dies ein Team um Professor Hans Hauner, Leiter des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München. Veröffentlicht wurden die Erkenntnisse jetzt in der Deutschen Medizinischen Wochenzeitschrift.

Bisher gab es keine derartigen Untersuchungen zu ambulanten Patienten in Deutschland. Dies, obwohl Schätzungen nach Angaben der Forscher ergeben haben, dass etwa ein Viertel aller Tumorpatienten nicht an ihrer Grunderkrankung versterben, sondern an den Folgen einer damit verbundenen Mangelernährung. Die Therapie ist bei den geschwächten Patienten weniger erfolgreich, es kommt häufiger zu Komplikationen und natürlich verringert sich die Lebensqualität der Betroffenen.

Um herauszufinden, wie groß das Problem ist, haben Hauner und dessen Kollegen 44 Praxen im südbayerischen Raum angeschrieben und um Unterstützung gebeten. Leider haben nur 17 dieser Praxen mitgemacht, was die Genauigkeit der Ergebnisse schmälern dürfte. Vermutlich haben diejenigen, die wenig Interesse an dem Thema haben, auch seltener an der Umfrage teilgenommen. Die Daten spiegeln deshalb womöglich eher die Situation in Praxen, wo man sich des Problems bewusst ist. Heraus kam jedenfalls, dass unter 17 teilnehmenden Schwerpunktpraxen für Onkologie:

  • Nur eine Praxis beim ersten Kontakt systematisch nach einer Mangelernährung gesucht hat,
  • nur drei Praxen allen Patienten eine vorbeugende Ernährungsberatung angeboten haben,
  • in zehn Praxen eine Beratung nur dann erfolgte „wenn der Ernährungszustand dies erforderte“,
  • und dass nicht einmal jeder dritte Patient nach der Diagnose eine Ernährungsberatung erhalten hatte.

Unter den 765 Patienten, die die Fragebögen ausgefüllt hatten, war die Mangelernährng weit verbreitet. Dies wurde mit zwei verschiedenen Skalen gemessen, der MUST (Malnutrition Universal Screening Tool) und dem NRS-2002 (Nutritional Risk-Screening-2002). Der MUST fand ein mittleres Risiko für eine Mangelernährung bei 15,4 Prozent der Teilnehmer, und ein hohes Risiko bei 19,5 Prozent. Laut NRS-2002 hatten 29,1 Prozent ein erhöhtes Risiko. Im Mittel hatten die Patienten in den drei bis sechs Monaten vor der Befragung 2,7 Kilogramm abgenommen, und etwa jeder siebte hatte sogar mehr als ein Zehntel seines Ausgangsgewichts verloren.

In einer begleitenden Pressemitteilung heißt es: “Der Ernährungsexperte sieht einen dringenden Handlungsbedarf, um vorhandene Versorgungslücken zu schließen. Ein Screening und eine darauf abgestimmte frühzeitige Ernährungsberatung sollten ein fester Bestandteil in der ambulanten Betreuung von Patienten mit einer Tumorerkrankung sein.”

(Was man aber auch erwähnen sollte ist ein potenzieller Interessenkonflikt Hauners, der natürlich die Bedeutung einer Ernährungsberatung betont, dabei neben seiner Position als Institutsleiter zugleich Buchautor und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Danone Deutschland, Oviva Gmbh, Boehringer Ingelheim und Novo Nordisk ist. Gespannt warten wir hier deshalb auf weitere Studien die zeigen, wie die geforderten Interventionen sich auf die Lebensqualität und auf die Lebenserwartung der Patienten auswirken.)

Quellen:
Hauner H et al: Häufigkeit eines Risikos für Mangelernährung bei Patienten in onkologischen Schwerpunktpraxen – eine Querschnittserhebung. Dtsch Med Wochenschr. 2020;145(1):e1–e9. doi:10.1055/a-1008-5702.

Google-Technik erkennt Brustkrebs

Die Mammographie ist ein Verfahren, bei dem Röntgenbilder der weiblichen Brust angefertigt werden. Ziel ist es, eine Krebserkrankung möglichst früh zu erkennen, genauer zu erfassen, oder auszuschließen. Die schwierige Aufgabe erfordert ein langes Fachstudium, und selbst Radiologen mit großer Erfahrung liegen mit ihren Beurteilungen nicht selten daneben. Die Folge sind falsche Alarme („falsch Positive“), die zur Verunsicherung der Frauen führen und zu Nachuntersuchungen, die sich erst im Rückblick als unnötig herausstellen. Dazu kommen noch Tumoren, die übersehen werden („falsch Negative“), und die weniger gut behandelt werden können, wenn sie schließlich doch auffällig werden.

Genauere Diagnosen erhofft man sich von der Technik der künstlichen Intelligenz (KI), die von Firmen wie Google und Microsoft erforscht und zunehmend eingesetzt wird. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der selbstlernenden Computerprogrammen, die Anhand von Bildern und anderen Mustern Vorhersagen treffen sollen.

Eine Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht – und von Google finanziert wurde – zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Ein Forscherteam trainierte die Software mit Mammographie-Bildern von 26.000 Frauen aus Großbritannien und 3000 aus den USA. Ob die Diagnosen richtig waren, konnte man überprüfen, weil die Frauen etwa 3 Jahre später erneut untersucht wurden.

Beim Vergleich der Vorhersage-Genauigkeit hatte die Software sowohl weniger falsche Alarme verursacht, als auch weniger Tumoren übersehen. Auch als die Forscher das KI-System lediglich mit den britischen Daten trainierten, und anschließend anhand der US-Daten testeten, war „Dr. Google“ überlegen. Gegenüber den US-Ärzten hatte die Software 3,5 Prozentpunkte weniger falsch Positive und 8,1 Prozentpunkte weniger falsch Negative. Dies zeigt, dass die Software länderübergreifend zum Einsatz kommen könnte und nicht nur in jenen Regionen, wo sie ursprünglich getestet wurde. Theoretisch könnten daher weltweit Engpässe in der Versorgung gelindert und vielerorts die Qualität verbessert werden.

Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die Studie die Praxisbedingungen in vielen Ländern mit guter Versorgung ignoriert hat. So war die „statistisch signifikante“ Überlegenheit der Google-Software in Großbritannien nicht besonders ausgeprägt und bezog sich nur auf die jeweils ersten Radiologen, die dort die Mammogramme begutachtet haben. Üblich ist im britischen System – wie auch im deutschen – allerdings die Prüfung durch (mindestens) 2 Radiologen, von denen der zweite den Befund des ersten kennt. Legt man diesen Maßstab an, so war KI-System weniger gut als jeweils 2 Fachärzte. Der Unterschied war allerdings gering, und es ist abzusehen, dass lernfähige KI-Systeme wie das hier getestete schon bald zur Ausstattung einer modernen Praxis gehören werden. Wenn schon nicht als „Dr. Google“ dann vielleicht als „Assistent Google“.

Quelle: McKinney SM, Sieniek M, Godbole V, et al. International evaluation of an AI system for breast cancer screening. Nature. 2020;577(7788):89–94. doi:10.1038/s41586-019-1799-6.

(Publikumsversion eines nur für Ärzte zugänglichen Fachartikels für Univadis.de, erschienen am 5. Januar 2020)