Zuviel Ultraschall fürs Ungeborene?

Aller guten Dinge sind drei, dies gilt zumindest für die routinemässige Untersuchung von Ungeborenen im Mutterleib mit Hilfe der Ultraschalltechnik. Drei Untersuchungen sollen von Ärzten im Rahmen der Mutterpass-Vorsorge durchgeführt werden; drei Ultraschall-Termine werden von Fachgesellschaften einhellig empfohlen und diese drei Untersuchungen bergen keine bekannten Risiken für Mutter und Kind, so die einhellige Aussage verschiedener Lehrbücher und Nachschlagewerke.

Tatsächlich rechnen deutsche Frauenärzte jedoch durchschnittlich fünf bis acht Untersuchungen pro Schwangerschaft mit den Krankenkassen ab. Hinzu kommt noch eine unbekannte Zahl von Sitzungen für „Erinnerungsfotos“ ohne medizinische Notwendigkeit – von verrauschten Schnappschüssen in schwarzweiss bis zu bunten, dreidimensionalen Porträts in millimetergenauer Auflösung und sogar Videos „zum Mitnehmen“.

Mit der wachsenden Gesamtdauer der Beschallung im Mutterleib könnte auch das Risiko für Entwicklungsschäden ansteigen, warnten Hirnforscher kürzlich auf der Jahrestagung der US-Gesellschaft für Neurowissenschaften in Atlanta. Grund zur Sorge ist für Eugenius S. Ang von der Yale Medical School in New Haven eine Studie mit mehr als 300 schwangeren Mäusen, die unterschiedlich lange dem Ultraschallkopf eines modernen Diagnosegerätes ausgesetzt waren. Als die Jungen zehn Tage nach der Geburt geopfert und deren Hirne untersucht wurden, sahen Ang und dessen Kollegen, dass Untersuchungszeiten von zwei mal 15 Minuten oder mehr die normale Wanderung von Nervenzellen in der Großhirnrinde eindeutig gestört hatten. Infolgedessen hatte sich auch die Anordnung der Hirnzellen in verschiedenen Schichten und die Verschaltung dieser Zellen untereinander im Vergleich zu nicht beschallten Tieren verändert. Ähnliche Veränderungen können auch durch Röntgenstrahlung im Mutterleib hervorgerufen werden, und es gibt Hinweise, dass Störungen im Wanderverhalten der Nervenzellen während der Embryonalentwicklung möglicherweise zu Schizophrenie führen können, einer schweren Geisteskrankheit.

Ang und sein Chef, der renommierte Neurowissenschaftler Pasko Rakic wollen keine Panikmache betreiben. Ärzte sollten Ultraschalluntersuchungen auch weiterhin für „angemessene medizinische und diagnostische Zwecke“ nutzen, betonen sie. Dass die vor 50 Jahren eingeführte Methode besser und sicherer ist als etwa Röntgenaufnahmen bezweifeln sie nicht. Auch würde eine Bestrahlung von zwei mal 15 Minuten bei der Maus, umgerechnet auf die Entwicklungsdauer des menschlichen Gehirns natürlich einer viel längeren Zeitspanne entsprechen. „Andererseits sind unsere Hirne aber auch viel komplizierter als die von Mäusen“, gibt Ang zu bedenken. Er forderte, die Auswirkungen des Ultraschalls nun auch in grösseren Hirnen zu untersuchen, die sich – ebenso wie das des Menschen – langsamer entwickeln. Solch eine Studie mit Affen habe man gerade begonnen, Ergebnisse seien aber erst im Jahr 2008 zu erwarten.

Bei der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) sieht man keinen Anlass zur Beunruhigung. „Seit 30 Jahren gibt es Behauptungen über die Schädlichkeit von Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft, aber diese Arbeiten sind alle fehlerhaft“, sagt Professor Bernd-Joachim Hackelöer, Vorstandsmitglied der DEGUM und Experte für Ultraschall in der Gynäkologie. Im europäischen Dachverband EFSUM hat man eigens eine Gruppe von Spezialisten damit beauftragt, alle Studien auszuwerten und auch neue Daten zu überprüfen, berichtet Hackelöer. Das Ergebnis dieser „Wachhund-Kommission“ sei klar und alle bisher vermeldeten Auffälligkeiten hätten sich bei näherer Betrachtung in Luft aufgelöst. Weder vergrößerten die Routineuntersuchungen in der Schwangerschaft den Anteil der Linkshänder unter Knaben, noch verringerten sie das durchschnittliche Geburtsgewicht und sie erhöhten auch nicht das Risiko für die Kleinen, später an einer Lese-Rechtschreibschwäche (Dyslexie) zu erkranken.

Dennoch hat sich in den Vereinigten Staaten die oberste Zulassungsbehörde FDA klar gegen die Praxis des Baby-Fernsehens und gegen reine Erinnerungsfotos ausgesprochen. Nicht-Ärzten sind sie in den USA sogar verboten, während der Gesetzgeber in Deutschland diese Vorsichtsmaßnahme anscheinend für überflüssig hält. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärte sich auf Anfrage für nicht zuständig und verwies auf „Landesbehörden oder entsprechende Standesorganisationen“. Ob medizinisch nicht notwendige Aufnahmen anfertigt würden, von wem, in welchem Umfang und zu welchem Preis wisse man nicht.

Prinzipiell dürfe jeder mit den Geräten umgehen, solange er keinen Schaden damit anrichtet, erklärt Hackelöer. Medizinische Untersuchungen und die Möglichkeit, diese dann auch mit den Krankenkassen abzurechnen, sind nur Ärzten erlaubt. Dies schließt aber nicht aus, dass zum Beispiel Hebammen oder sonstige Dienstleister und Firmen die Technik einsetzen und mit ihren Kundinnen privat abrechnen. Dabei sind die Grenzen zwischen sinnvoller Vorsorge, dem Ausschluss von Risiken und reinen Erinnerungsfotos auch in der ärztlichen Praxis oft schwer auszumachen. Dort werden, so erklärt offen eine Gynäkologin, mitunter auch Untersuchungen außerhalb der Vorsorge und ohne konkreten Verdacht gemacht, um Schwangere zu beruhigen, die schlichtweg Angst um ihr Ungeborenes haben.

Wie viele Beschallungen auf das Konto von Ärzten gehen, die aus Unsicherheit und Angst vor Schadensersatzklagen doppelt und dreifach untersuchen, weiss niemand. Allerdings hat die DEGUM Mängel in der Ausbildung vieler Ärzte festgestellt, die zudem vielfach mit veralteten und schlecht gewarteten Geräten arbeiten. Nicht speziell ausgebildete Untersucher würden lediglich 20 Prozent sämtlicher kindlicher Auffälligkeiten erkennen, hoch qualifizierte Ultraschallexperten dagegen 90 Prozent, zitiert Hackelöer eine Studie. Mit einem Zertifizierungsverfahren will die DEGUM Abhilfe schaffen – und würde so den Mitgliedern des Fachverbandes gleichzeitig mehr Schwangere zuführen, während weniger qualifizierte Frauenärzte mit Umsatzeinbußen rechnen müssten.

Auch Ärzte sind gezwungen, kaufmännisch zu denken. Sie wollen ihre „Kunden“ nicht verlieren und verdienen sich mit „individuellen Gesundheitsleistungen“ gerne etwas dazu; also mit Angeboten jenseits dessen, was laut Gesetz „ausreichend, zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich“ ist und deshalb von den gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlt wird. Dazu gehört auch das Baby-Fernsehen. Die „unvergleichlich fotorealistischen und faszinierenden Bilder Ihres Kindes“, etwa bietet eine Frauenarzt-Praxis in Berlin-Mitte für rund 100 Euro an – Zusendung per E-Mail inklusive.

Eine offizielle Empfehlung, wie Ärzte mit dem Wunsch der Eltern nach Erinnerungsfotos umgehen sollen, gibt es bisher nicht. Auch die rechtliche Lage ist ungeklärt, wenn solche Bilder ohne medizinische Notwendigkeit angefertigt und dabei Missbildungen übersehen werden. Einziger Ausweg aus dem Dilemma ist für Hackelöer, Erinnerungsfotos als zusätzliche Dienstleistung ausschliesslich am Ende jener Untersuchungen anzufertigen, die zum Wohl von Mutter und Kind und zum Ausschluss von Risiken ohnehin erforderlich sind. „So mache ich das auch“, sagt er – und schafft damit den Spagat zwischen ärztlicher Ethik und Kommerz. Und werdende Mütter, die sich um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen, sollten statt auf Ultraschall besser auf Zigaretten und Alkohol verzichten.

Quellen:

  • Jahrestagung der Society for Neuroscience, Atlanta, 14.-18.10.2006. Poster 28.8: „Ultrasound affects embryonic mouse brain development“. Die Studie wurde veröffentlicht in den Proceedings der National Academy of Sciences (PNAS).
MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert