Stammzellen ohne Viren

Mit neuen Techniken ist es britischen und kanadischen Forschern gelungen, Hautzellen umzuprogramieren, sodass diese die Eigenschaften embryonaler Stammzellen angenommen haben, berichtet das Wissenschaftsmagazin „Nature“ in seiner Online-Ausgabe (K. Kaji et. al Nature doi:10.1038/nature07864; 2009, K. Woltjen et al. Nature doi:10.1038/07863; 2009). Weil die Wissenschaftler dabei ohne den Einsatz von Viren auskamen, wächst nun erneut die Hoffnung auf sichere Therapien für bislang unheilbare Krankheiten, ohne dass dafür menschliche Embryonen geopfert werden müssten.

Ihren Fortschritt erzielte eine Gruppe von Wissenschaftlern am Zentrum für Regenerative Medizin des Medical Research Council der Universität Edinburgh in Schottland, indem sie zunächst vier ausgewählte Gene aneinander klebte. Diese „Kassette“ verfrachteten die Forscher dann in Hautzellen von Menschen und Mäusen, wonach diese Zellen sich zurück entwickelten in ein Stadium wie am Anfang der Embryonalentwicklung. Zumindest im Mausversuch, nicht aber mit den menschlichen Zellen ist es den Wissenschaftlern des zweiten Teams an der Universität Toronto (Kanada) zudem gelungen, die eingeschleusten Genkassetten nach getaner Arbeit mit einem Enzym (Transposase) wieder restlos zu entfernen. Dies sei ein bedeutender Schritt nach vorne, allerdings befinde man sich noch am Anfang der Entwicklung, warnten die Experten vor verfrühten Hoffnungen.

Die Pioniere der Stammzellforschung hatten seit 1998 zunächst mit Material gearbeitet, das aus wenige Tage alten Embryonen gewonnen wurde. Diese waren vorwiegend in US-amerikanischen Befruchtungskliniken „übrig geblieben“ und von den Eltern für die Forschung gespendet worden, nachdem deren Kinderwunsch in Erfüllung gegangen war. Von Kritikern wird die Arbeit mit menschlichen embryonalen Stammzellen jedoch als unethisch betrachtet, während Wissenschaftler in Deutschland und – durch Gesetze, die der Ex-Präsident George W. Bush erließ – auch in den USA, sich durch allzu strenge gesetzliche Auflagen behindert sehen.

Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma eröffnete im Jahr 2006 der Japaner Shinya Yamanaka, dem es gelang, Hautzellen der Maus genetisch so zu verändern, dass daraus unterschiedliche Zelltypen heran gezüchtet werden konnten. 2007 gelang das Kunststück dann auch mit menschlichen Hautzellen. Seitdem ist die Herstellung dieser so genannten Ipse (ein Kunstwort für induzierte pluripotente Zellen) immer weiter perfektioniert worden, bis zuletzt das renommierte Wissenschaftsmagazin „Science“ die vielen kleinen Fortschritte zum „Durchbruch des Jahres 2008“ wählte.

Yamanaka hatte unter 30 verschiedenen Genen, die bei der Entwicklung von Säugetieren eine wichtige Rolle spielen, eine Kombination von nur vier Genen gefunden, die genügten, um die Hautzellen scheinbar in einen früheren Entwicklungszustand zurück zu versetzen. Allerdings hatte Yamanaka wie auch seine Kollegen in anderen Ländern so genannte Retroviren gebraucht, um die fraglichen Gene in die Hautzellen hineinzubringen. Diese Viren wiederum galten als Sicherheitsrisiko, denn man befürchtete, dass sie sich in den Hautzellen an den falschen Stellen festsetzen und dort Gene aktivieren könnten, die Krebs auslösen. Auch als es dem Österreicher Konrad Hochedlinger im Vorjahr an der Universität Harvard gelang, die Retroviren zunächst bei Mäusen durch vergleichsweise harmlose Schnupfenviren zu ersetzen, war die ideale Lösung noch nicht gefunden.

Nicht einmal er selbst habe daran geglaubt, dass man Ipsen ohne Viren herstellen könne, gestand der Leiter des Teams aus Edinburgh, Keisuke Kaji. „Dies ist ein Schritt vorwärts auf dem Weg zum Einsatz reprogrammierter Zellen in der medizinischen Praxis, der vielleicht sogar den Einsatz menschlicher Embryonen als Quelle für Stammzellen überflüssig macht“, so Kaji. Allerdings müsse der Prozess noch effizienter werden. Kajis Mitautor Professor Andras Nagy von der Universität Toronto (Kanada) fügte hinzu, er hoffe, „dass diese Stammzellen die Grundlage bilden werden für die Behandlung zahlreicher Krankheiten, die heute noch als unheilbar gelten“. Nagy gab sich zuversichtlich, dass es seinem Team auch noch gelingen wird, die Spuren der Manipulation bei menschlichen Zellen komplett zu beseitigen.

Ursprünglich hatten Kaji und Nagy unabhängig voneinander nach einer besseren Methode gesucht, um Ipsen herzustellen. Bei einer zufälligen Begegung stellten sie jedoch fest, dass jeder bereits eine Hälfte des Rätsels gelöst hatte, und so beschlossen sie, die beiden Ansätze miteinander zu kombinieren. Kajis Verdienst ist es, die vier Entwicklungsgene für die Reprogrammierung zu einem Fragment vereinigt zu haben, das sich in die Zellen hineinbringen und wieder entfernen lässt. Nagy hingegen hatte eine Methode gefunden, um die Spuren dieses Eingriffes anscheinend komplett zu beseitigen – allerdings war es ihm nicht gelungen, die vier Gene zu einer Einheit zu bündeln.

Denkbar ist es, dass selbst der Gentransfer zur Herstellung von Ipse irgendwann überflüssig wird. Dazu müsste es gelingen, die Neuprogrammierung beispielsweise mit Hilfe einer Kombination von Wachstumsfaktoren in die Wege zu leiten, die man dem Nährmedium zugibt. Stammzellen embryonaler Herkunft lassen sich mit dieser Technik zu den verschiedensten Zelltypen weiterentwickeln; mit bereits ausgewachsenen (adulten) Zellen hat dies aber trotz ungezählter Versuche noch nicht geklappt.

Mit den beiden Gruppenleitern freute sich auch Professor Ian Wilmut, Direktor des Forschungszentrums in Edinburgh und „Vater“ des Klonschafes Dolly. Zwar werde es noch einige Zeit dauern, bis man die neuen Zellen an den ersten Patienten erproben kann und man müsse erst noch eine Methode finden, um aus den neuen Ipsen die gewünschten Zellarten herzustellen. „Aber ich glaube, das Team hat einen großen Fortschritt erzielt und wenn wir diese Arbeit mit der von anderen Gruppen kombinieren gibt es Hoffnung, dass das Versprechen der Regenerativen Medizin sich bald erfüllen könnte.“

Weitere Informationen:

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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