Einen Impfstoff gegen die infektiöse Variante der Leberentzündung (Hepatitis A) zu entwickeln, ist jetzt Prof. Bertram Flehmig vom Hygieneinstitut der Universität Tübingen und seinen Mitarbeitern gelungen.
In der Bundesrepublik sind nach einer Studie 96 Prozent der jungen Erwachsenen ohne Schutz gegen die Krankheit, die durch das Hepatis-A-Virus (HAV) verursacht wird und sich durch verunreinigte Lebensmittel rasch ausbreiten kann. Die einzige Möglichkeit, Risikogruppen zu schützen, war bislang die passive Immunisierung, das heißt die Gabe von Antikörpern, die aus dem Blut von Hepatitiskranken gewonnen wurden. Das Krankheitsbild der Hepatitis A ist dem der Serumhepatitis (Hepatitis B) sehr ähnlich, jedoch in den meisten Fällen nicht chronisch.
Die Tübinger Wissenschaftler impften Freiwillige mit zuvor durch Formalinbehandlung abgetöteten und daher nicht mehr vermehrungsfähigen Viren. Nach dreimaliger Impfung wiesen die Testpersonen – es handelt sich um Studenten der Universität Tübingen – große Mengen an schützenden Antikörpern auf. Wie Flehmig mitteilte, waren diese auch ein Jahr nach der Impfung nicht wesentlich verringert. Bei der passiven Impfung dagegen ist der Schutz nur von kurzer Dauer, da die fremden Antikörper rasch wieder abgebaut werden.
Die Arbeitsgruppe, die sich seit 1980um Verfahren zur Vermehrung des Hepatitis-A-Virus (HAV) bemühte, umfasst nur vier Mitglieder. Um so erstaunlicher ist es, dass die Forscher den großen Pharmaunternehmen zuvorkamen.
Während andere versuchten, das komplette Virus oder dessen Teile mit gentechnischen Mitteln zu vervielfältigen, setzte Flehmig auf die Vermehrung einer abgeschwächten Variante in Kulturen menschlicher Zellen. „Ich habe immer geglaubt, dass man es mit Zellkulturen machen kann“, erklärt der Forscher seinen Erfolg.
Verschiedene Impfstoffhersteller haben bereits Interesse an einer Produktion des Impfstoffes angemeldet. Wenn alles gutgeht, könne die Zulassung bereits in einem Jahr erfolgen. Ein allgemeines Impfprogramm gegen die Krankheit hält Flehmig nicht für sinnvoll. Auch die Weltgesundheitsorganisation hatte sich bereits früher gegen ein umfassendes und daher entsprechend kostenaufwendiges Programm ausgesprochen. In Afrika, Südamerika und Asien ist die Infektion weit verbreitet.
Profitieren von dem neu entwickelten Impfstoff könnten vor allem Touristen aus den westlichen Nationen, die in Länder reisen, in denen die Hepatitis A häufig auftritt.
(erschienen am 23. Juni 1989 in der WELT)
Was ist daraus geworden? Einen Impfstoff gegen Hepatitis A gibt es mittlerweile Allerdings wurde er nicht wie angekündigt 1990 von der Tübinger Arbeitsgruppe auf den Markt gebracht, sondern erst 1995 durch die Firma Merck, wo Maurice Hilleman ebenfalls einen Formalin-inaktivierten Virusstamm genutzt hatte. Flehmig ist mittlerweile einer von sechs Gesellschaftern der Biotechfirma Mediagnost, wo er sich immer noch mit Hepatitis A beschäftigt. Als Forschungsdirektor zielt er nun darauf, eine Variante des Impfstoffes zu schaffen, die auch für Entwicklungsländer erschwinglich wäre, berichtete im Juli 2012 das Schwäbische Tageblatt.