Ein Gentest beseitigt alle Zweifel

Erstmals haben Wissenschaftler jetzt die Identität eines Mordopfers mit genetischen Methoden festgestellt. Wie das Wissenschaftsmagazin „Nature“ jüngst vermeldete, isolierten englische Forscher genetisches Material aus den Knochen eines Mädchens, das 1981 im Alter von 15 Jahren ermordet wurde. Die Leiche wurde zwar erst acht Jahre später gefunden, dennoch gelang es Alec Jeffreys von der Universität Leicester mit molekularbiologischen Methoden einen „DNA-Fingerabdruck“ zu ermitteln.

Bei dieser Methode wird die Tatsache genutzt, daß keine zwei Menschen völlig identisches Erbmaterial tragen – eineiige Zwillinge ausgenommen. Daher entstehen beim Zerteilen des Erbmaterials im Labor Bruchstücke charakteristischer Länge, die sich nach mehreren Arbeitsgängen in Form eines Bandenmusters darstellen lassen, ähnlich der Strichcodes, die sich auf Buchrückseiten, Milchtüten und Konservenbüchsen befinden.

Weil das Erbmaterial von Vater und Mutter kurz nach der Befruchtung der Eizelle nach festen „Spielregeln“ gemischt wird, lassen sich aus den Strichmustern – dem genetischen Fingerabdruck – auch Verwandschaftsverhältnisse ableiten. In Großbritannien wurde die Methode deshalb auch als Beweismittel bei Vaterschaftsklagen und für Einwanderungsanträge zugelassen, bei denen die Immigranten auf angebliche Familienangehörige mit britischer Staatsbürgerschaft verwiesen.

Im Fall der ermordeten 15jährigen, deren Leiche in einen Teppich eingewickelt war, hatte man bereits Anhand der Zähne einen recht konkreten Verdacht auf deren Identität. Die mutmaßlichen Eltern hatten sich dann bereit erklärt, einen Vergleich ihrer genetischen Fingerabdrücke mit dem des Mordopfers vornehmen zu lassen.

Jeffreys und seine Kollegen Erika Hagelberg und Ian Gray isolierten dann aus einem fünf Gramm schweren Stück eines Oberschenkelknochens wenige tausendstel Gramm Erbmaterial, das im Labor untersucht wurde. Dabei zeigte sich, daß der weitaus größte Teil der gefundenen Erbsubstanz aus bodenlebenden Pilzen und Bakterien stammte.

In Kombination mit einer weiteren molekularbiologischen Technik, der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), gelang es den Forschern dennoch, die menschliche Erbsubstanz gezielt zu vermehren. Die PCR, die 1990 sogar den Titel „Reaktion des Jahres“ erlangte, basiert auf einem Eiweiß, das in allen Organismen vorkommt und dort der Vermehrung der Erbsubstanz vor der Zellteilung dient.

Beim Vergleich des Bandenmusters der mutmaßlichen Eltern mit dem Mordopfer wurden schließlich gleich sechs DNA-Bruchstücke gleicher Länge gefunden. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Ergebnis auf Zufall basieren könnte, wird von den Forschern mit höchstens eins zu 5000 beziffert. Damit scheint es auch es auch vorstellbar, den Verbleib ungezählter Menschen zu klären, die etwa in verschiedenen Militärdiktaturen Südamerikas verschwanden. In den letzten Jahren waren dort mehrfach Massengräber entdeckt worden.

Quelle: Hagelberg, E., Gray, I. & Jeffreys, A. Identification of the skeletal remains of a murder victim by DNA analysis. Nature 352, 427–429 (1991).

(erschienen in „DIE WELT“ am 16. August 1991)

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft