Waffe gegen Grippevirus

Australischen Forschern ist es gelungen, ein Molekül herzustellen, das die Vermehrung von Grippeviren in Labormäusen verhindert. Damit ist man einem Medikament zur Behandlung der Grippe (Influenza) einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Die Fähigkeit des Erregers, seine Oberflächenstrukturen immer wieder zu verändern, hat die Entwicklung eines fortdauernden Impfschutzes bisher verhindert. Anders als der Schnupfen kann die Grippe, die oft in weltweiten Epidemien auftritt, schwerwiegende Folgen haben. Besonders Kinder und ältere Menschen erliegen bakteriellen Lungenentzündungen im Gefolge der Influenza. In der Bundesrepublik forderte die Krankheit 1983 37 Todesopfer, seitdem sind die Zahlen rückläufig.

Peter Colman - Wikipedia
Peter Colman (Foto: The Royal Society [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons)

Für die Attacke auf den menschlichen Körper sind zwei Eiweißstoffe für das Virus unverzichtbar: Hämagglutinin (HA) wird als „Anker“ benutzt, mit dem die Grippeerreger an die Zellen der Atemwege binden; mit Neuraminidase befreien sich neugebildete Viruspartikel von ihren Wirtszellen. Peter Colman, der Leiter des Projekts, hatte 1983 eine Vertiefung auf der Oberfläche dieses Eiweißes entdeckt, die offensichtlich bei allen Stämmen des Grippeerregers die gleiche Form hat. Obwohl die Wissenschaftler schon zuvor Substanzen entwickelt hatten, die die Aktivität der Neuraminidase im Reagenzglas unterdrücken, blieben Tierversuche zunächst erfolglos.

Erst nach der Aufklärung der Molekülstruktur mittels Röntgenkristallographie waren die Forscher in der Lage, Substanzen zu entwerfen, die genau in die „Tasche“ auf der Virusoberfläche passen. Dies hindert den Erreger in seiner Vermehrung und gibt dem Immunsystem die Chance, verbliebene Partikel zu vernichten. Mit diesen neuen Wirkstoffen gelang es der Arbeitsgruppe dann zum ersten Mal, auch im Tierversuch die Virusvermehrung zu blockieren. Mit jedem Molekül, das die Wissenschaftler seitdem getestet haben, konnte die Wirkung weiter verbessert werden. Wenn sich aus dieser Forschungsarbeit eine Therapie entwickeln lässt, würde das nicht nur Gesunden helfen, das Virus abzuwehren. Erstmals stände auch eine Methode zur Verfügung, bereits erkrankte Personen zu heilen.

(erschienen in der WELT am 22. Juli 1989)

164-glasses-2@2x  Quelle: New Scientist: Synthetic molecule disables the flu virus. 24. Juni 1989

 

59-info@2x  Was ist daraus geworden? Mit dieser Meldung, geschrieben noch in meiner Praktikantenzeit, hatte ich offenbar einen guten Riecher. Wegen genau dieser Forschungsarbeit wurde Colman im Jahr 2014 in die Royal Society aufgenommen, den wohl vornehmsten Club von Wissenschaftlern weltweit. In seinem Profil dort heißt es, dass Colman mit Zanamivir eine der ersten Arzneien geschaffen habe, die am Reißbrett entworfen wurde (durch „structure-based design“). Es war zugleich der erste Neuraminidase-Hemmer gegen Influenza.

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft