Virusfreie Stammzellen aus dem Hoden

Der Hoden ist ein empfindliches Organ und ein erstaunliches dazu.

Selten habe ich einer Pressemitteilung einen schöneren Einstieg gelesen, als in dieser Veröffentlichung der Max-Planck-Gesellschaft. Die Kollegen weisen damit auf einen bemerkenswerten Artikel hin, der soeben in der Fachzeitschrift Cell Stem Cell (die heißt wirklich so!) erschienen ist und mit dem wieder einmal dokumentiert wird, dass auch deutsche Stammzellforscher international in der ersten Liga mitspielen.

Die Leistung, um die es hier geht, besteht darin, dass ein Team um Kinarm Ko und Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster erstmals „einen klar definierten Zelltyp aus dem Hoden erwachsener Mäuse gezüchtet und diesen ohne eingeschleuste Gene, Viren oder Reprogrammierungsproteine in pluripotente Stammzellen umgewandelt“ hat. Stammzellen, dies zur Erinnerung, sind jene Tausendsassas, von denen sich viele Experten eine unerschöpfliche Quelle von Ersatzgeweben versprechen – seien es Insulin-produzierende Zellen für Zuckerkranke, neue Herzmuskeln für Infarktgeschädigte oder spezialisierte Nervenzellen für Parkinson- oder Alzheimerpatienten.

Sichere Stammzellen aus Mäusehoden: Kinarm Ko (Foto: MPI Münster / Jeanine Müller-Keuker) Züchtete „sichere“ Stammzellen aus Mäusehoden: Dr. Kinarm Ko (Foto: MPI Münster / Jeanine Müller-Keuker)

Natürlich ist das noch Zukunftsmusik. Und obwohl Kliniken wie das umstrittene XCell-Center mit Sitz in Köln und Düsseldorf nach eigenen Angaben bereits Tausende von Patienten behandelt haben, halten renommierte Forscher wie Schöler den Einsatz dieser Technik am Menschen zum jetzigen Zeitpunkt noch für verfrüht. Zu groß seien die Risiken und noch immer sei viel zu wenig bekannt über das Verhalten transplantierter Stammzellen für derartige Menschenexperimente.

Zurück zum Hodem, dem gleichermaßen empfindlichen wie erstaunlichen Organ: Männer bilden dort bis ins hohe Alter neue Spermien, mit denen unter Mitwirkung einer hinreichend willigen (mehr oder weniger jungen) Frau Kinder gezeugt werden können. Dies nahmen Forscher als Hinweis dafür, dass Zellen aus dem Hoden ein ähnlich großes Potential haben, wie Stammzellen aus Embryonen und dass die Hodenzellen womöglich ebenfalls jeden der mehr als 200 Zelltypen des menschlichen Körpers bilden können.

Tatsächlich hatten in den vergangenen Jahren gleich mehrere Forschergruppen ihren Erfolg verkündet. Allerdings – so Schölers Kritik – seien die betreffenden Studien heftig umstritten, die vorgelegten Daten widersprüchlich und die wahre Herkunft der Zellen unklar. In Münster wollte man deshalb auf Nummer Sicher gehen, weshalb Kinarm Ko mit seinem Team zunächst aus dem Hoden erwachsener Mäuse einen genau definierten Typ von Zellen züchtete, die so genannten Keimbahn-Stammzellen. Die können in ihrem natürlichen Umfeld ausschließlich Spermien bilden oder sich selbst vermehren. Als die Münsteraner Forscher die Keimbahn-Stammzellen jedoch auf neue Kulturschalen verteilten, wo sie mehr Platz hatten, führte dies bei einigen wenigen unter ihnen zu einer Art Neustart: Sie hatten sich selbst reprogrammiert. Weder hatten Ko und seine Mannschaft dafür fremde Gene einschleusen müssen, noch hatten sie Viren als Helfer benötigt oder einen der anderen Tricks benutzt, mit denen Molekularbiologen die Entwicklung von Stammzellen zu steuern versuchen.

Unter Sicherheitsaspekten ist dies ein großer Vorteil, denn es wird befürchtet, dass fremde Gene oder Viren bei einer Anwendung am Menschen zu einer Entartung der Stammzellen und damit zu Krebs führen könnten. Dass die umgewandelten Hoden-Keimbahn-Stammzellen (engl. „germline-derived pluripotent stem cells“, gPS) sowohl Herz- als auch Nerven oder Gefäßwandzellen bilden können, haben die Max-Planck-Forscher mittlerweile bewiesen. Und im Tierexperiment konnten sie zudem zeigen, dass die aus dem Hoden gewonnen Zellen ihr Erbgut in die nächste Generation übertragen können.  Einen Schönheitsfehler hat der jüngste Fortschritt aber doch: Noch ist noch völlig offen, ob das Verfahren sich von Mäusen auch auf Menschen übertragen läßt, betonen die Wissenschaftler. Vieles spreche jedoch dafür, „dass die gPS-Zellen hinsichtlich der Einfachheit ihrer Herstellung und ihrer Sicherheit alle bisher künstlich reprogrammierten Zellen übertreffen“.

Quelle: Kinarm Ko, Natalia Tapia, Guangming Wu, Jeong Beom Kim, Marcos J Araúzo-Bravo, Philipp Sasse, Tamara Glaser, David Ruau, Dong Wook Han, Boris Greber, Kirsten Hausdörfer, Vittorio Sebastiano, Martin Stehling, Bernd K. Fleischmann, Oliver Brüstle, Martin Zenke, und Hans R. Schöler. Induction of pluripotency in adult unipotent germline stem cells. Cell Stem Cell, 02. Juli 2009, doi:10.1016/j.stem.2009.05.025

Weitere Informationen:

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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