Verkümmerter Nervenstrang bei Unmusikalischen

Falls Sie zu den Menschen gehören, die den richtigen Ton einfach nicht treffen und deren Gesänge andere erschaudern lassen, so hat die Wissenschaft für Sie zwar noch keine Abhilfe zu bieten, aber zumindest eine mögliche Erklärung parat: Bei unmusikalischen Menschen scheinen bestimmte Nervenfasern im Gehirn verkümmert zu sein, berichten Forscher in der Fachzeitschrift Journal of Neuroscience. Insbesondere ein Bündel namens Fasciculus arcuatus, über das Informationen zwischen wahrnehmungverarbeitenden und bewegungssteuernden Regionen des Denkorgans ausgetauscht werden, ist bei unmusikalischen Menschen dünner und es enthält auch weniger Nervenzellfortsätze als bei jenen knapp 90 Prozent der Bevölkerung, die einigermaßen passabel singen können.

Sprachregionen des Gehirns. Der Fasciculus arcuatus verbindet das grün gezeichnete Wernicke-Areal mit dem blau gezeichneten Broca-Areal. (GNU Free Documentation Licence. Autor: James.mcd.nz)
Sprachregionen des Gehirns. Der Fasciculus arcuatus verbindet das grün gezeichnete Wernicke-Areal mit dem blau gezeichneten Broca-Areal. (GNU Free Documentation Licence. Autor: James.mcd.nz)

Für ihre Untersuchung nutzten die Hirnforscher Dr. Psyche Loui, Dr. David Alsop und Professor Gottfried Schlaug vom Labor für Musik und Neuroimaging der Harvard Medical School eine Variante der Magnetresonanztomographie (MRT), mit der sie die Verbindungen zwischen dem rechten Schläfenlappen und dem Stirnhirn ausmessen konnten, ohne ihre 20 freiwilligen Versuchspersonen zu berühren oder mit Strahlung zu belasten. Auf die „Datenautobahn“ des Fasciculus arcuatus konzentrierten sich die Neurowissenschaftler, weil man bereits weiß, dass hierdurch die Wahrnehmung von Musik und Sprache mit der Steuerung des Stimmapparates verbunden ist.  Es ergab sich, dass das Nervenbündel bei den zehn unmusikalischen Probanden im Durchschnitt eindeutig dünner war und weniger Nervenfortsätze enthielt, als bei den zehn Freiwilligen, die anständig singen konnten. In der rechten Hirnhälfte war der obere Teil des Fasciculus arcuatus bei den unmusikalischen Freiwilligen mit der MRT sogar überhaupt nicht zu finden. Dies kann bedeuten, dass das Nervenbündel entweder vollständig fehlt oder so verkümmert ist, dass es sogar mit diesem fortschrittlichsten aller bildgebenden Verfahren nicht erkennbar ist.

„Diese Anomalie legt nahe, dass ein fehlendes musikalisches Gehör ein bislang unbemerktes neurologisches Syndrom darstellt, ähnlich anderen Sprech- und Sprachstörungen“, sagte Loui. Die gleiche Arbeitsgruppe hatte in früheren Untersuchungen bereits gezeigt, dass unmusikalische Menschen ihren eigenen Gesang nicht bewusst wahrnehmen.

Nach Schätzungen von Experten sind mindestens zehn Prozent der Bevölkerung unmusikalisch, jedoch gilt diese „Anomalie“ bislang nicht als Krankheit. Und warum sollte sie auch? Leiden müssen schließlich nur diejenigen, die sich die Gesänge unmusikalischer Menschen anhören müssen!

Quelle:

  • Loui P, Alsop D, Schlaug G. Tone Deafness: A New Disconnection Syndrome? Journal of Neuroscience, August 19, 2009. 29(33):10215-10220
MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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