Was jeder über Stammzellen wissen sollte, findet sich in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Ich gebe sie hier nur leicht verändert wieder, habe noch einige Informationen und Links hinzu gefügt und mir vorgenommen, diesen Text aktuell zu halten, damit Sie auf dem Laufenden bleiben:
(Letzte Aktualisierung am 6. Oktober 2009) Nur wenige wissenschaftliche Entdeckungen werden in der Öffentlichkeit derart kontrovers diskutiert und teilweise auch mit großen Hoffnungen betrachtet, wie die Möglichkeit, Stammzellen zur Therapie menschlicher Erkrankungen zu nutzen. Viele Patienten, aber auch unabhängige Forscher sowie zahlreiche Biotechnologie-Unternehmen und deren Aktionäre erhoffen sich, Stammzellen in ihrer Entwicklung so zu lenken, dass daraus eine unerschöpfliche Quelle für Ersatzgewebe wird – seien es Insulin-produzierende Zellen für Zuckerkranke, neue Herzmuskeln für Infarktgeschädigte oder speziell in der Neurologie: Nervenzellen für Schlaganfall-, Parkinson- oder Alzheimerpatienten.
Stammzell-Typen
Stammzellen sind Zellen der Körpers, die sich selbst vermehren und aus denen andere Zelltypen hervorgehen können. Je nach Art der Stammzelle (SZ) und je nachdem, welche Einflüsse auf sie wirken, können sie jegliche Art von Gewebe bilden (totipotente SZ) oder ihre Entwicklung ist auf bestimmte, festgelegte Gewebetypen beschränkt (pluripotente SZ).
Stammzellen lassen sich gemäß ihrer Herkunft unterscheiden in: embryonale (aus dem Embryo), fetale (aus dem Fötus, also ab der neunten Schwangerschaftswoche) und adulte (von Säuglingen, Kindern, Erwachsenen) Stammzellen. Auch in den Organen erwachsener Menschen finden sich nämlich teilungsfähige Zellen, die Nachschub für verbrauchte Zellen oder Ersatz bei Verletzungen liefern, seien es blutbildende Stammzellen im Knochenmark, Keimzellen im Hoden oder neuronale Stammzellen im Gehirn.
Zehn Jahre intensive Forschung – und ethische Barrieren
James Thomson von der Universität von Wisconsin gelang es 1998 erstmals, menschliche embryonale Stammzellen (ES) zu isolieren und über mehrere Jahre hinweg glaubte die überwiegende Mehrzahl der Experten, das die ES-Zellen die besten Kandidaten für eine Therapie am Menschen seien. Denn es galt die Faustregel: Je früher in der Entwicklung Stammzellen gewonnen werden, desto wandlungs- und anpassungsfähiger sind sie auch. Die Herkunft von Thomsons ES-Zellen stellt indes für viele ein ethisches Problem dar, denn sie wurden aus wenige Tage alten, „überzähligen“ menschlichen Embryonen gewonnen, die in amerikanischen Kliniken mit einer künstlichen Befruchtung gezeugt und dann nicht mehr benötigt wurden, weil sich der Wunsch der Eltern nach einem Kind bereits erfüllt hatte. In Deutschland ist diese „fremdnützige“ Erzeugung menschlicher Embryonen gesetzlich verboten und in den USA hatte der damalige Präsident George W. Bush die staatliche Förderung für die Erforschung menschlicher embryonaler Stammzellen stark beschränkt. Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma eröffnete im Jahr 2006 der Japaner Shinya Yamanaka, dem es gelang, Hautzellen der Maus genetisch so zu verändern, dass daraus unterschiedliche Zelltypen heran gezüchtet werden konnten. 2007 gelang das Kunststück dann auch mit menschlichen Hautzellen. Seitdem ist die Herstellung dieser so genannten Ipse (ein Kunstwort für induzierte pluripotente Zellen) immer weiter perfektioniert worden.
Risiken von Stammzellen
Ein Risiko bei der „Umprogrammierung“ von SZ mit fremden Genen oder Viren ist, dass dies die Stammzellen entarten, unkontrolliert zu wachsen beginnen und dadurch eine Krebserkrankung entstehen könnte. In Tierversuchen wurde dies wiederholt beobachtet und Wissenschaftler haben deshalb verschiedene Systeme entwickelt, um mit möglichst wenig „Programmierschritten“ auszukommen. Erst vor wenigen Wochen gelang es Beispielsweise dem Team um Professor Hans Schöler am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, adulte menschliche Zellen mit einem einzigen eingeschleusten Gen in ethisch wie juristisch unbedenkliche Ipse zu verwandeln.
Trotz der rasanten Fortschritte auf diesem Gebiet halten die meisten Fachleute eine Anwendung am Menschen noch für verfrüht. Dessen ungeachtet haben weltweit mehrere Firmen ein regulatorisches Vakuum genutzt, um „Stammzelltherapien“ anzubieten, darunter auch das XCell-Center mit Sitz in Köln und Düsseldorf, das nach eigenen Angaben bereits Tausende von Patienten behandelt hat – ein Vorgehen das von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie angesichts der noch nicht evaluierten Therapiesicherheit heftig kritisiert wird.
Kurze Geschichte der Stammzellforschung (mit ausgewählten Links)
- 1998: An der Universität von Wisconsin isoliert James Thomson erstmals menschliche embryonale Stammzellen (ES).
- 2001: US-Präsident George W. Bush beschränkt die staatliche Förderung für die Erforschung menschlicher embryonaler Stammzellen.
- 2004: An der Universität Harvard produziert Douglas Melton mit privaten Forschungsgeldern über 70 embryonale Stammzell-Linien und verteilt diese kostenlos an Forscher weltweit.
- 2006: Shinya Yamanaka verwandelt an der Universität Kyoto Hautzellen der Maus in pluripotente Stammzellen (”Ipse”) ohne dafür Embryos zu gebrauchen. Er braucht nur vier Gene – die Yamanaka-Faktoren – für die Verwandlung, die mit Hilfe von Retroviren in die Hautzellen transportiert werden.
- 2007: Thomson und Yamanaka re-programmieren erstmals menschliche Zellen zu Ipse.
- 2008: An der Universität Harvard re-programmiert Douglas Melton Zellen der Bauchspeicheldrüse, sodass diese beginnen, Insulin zu produzieren. Ebenfalls in Harvard ersetzt Konrad Hochedlinger die Retroviren in der Produktion von Ipse durch harmlosere Schnupfenviren.
- 23. Januar 2009: Nach fast zehnjähriger Vorbereitung erlaubt die US-Arzneimittelbehörde FDA der Firma Geron den ersten Versuch mit embryonalen Stammzellen bei einigen wenigen querschnittsgelähmten Patienten.
- 9. März 2009: US-Präsident Barack Obama hebt die Beschränkungen seines Vorgängers George W. Bush auf und fördert die Erforschung menschlicher embryonaler Stammzellen mit Steuergeldern.
- 18. August 2009: Nachdem neue Daten aus Tierversuchen Zweifel an der Sicherheit des Verfahrens wecken, stoppt die US-Zulassungsbehörde FDA den Versuch der Firma Geron (s.o.), noch bevor der erste Patient behandelt werden kann.
- 28. August 2009: Einem Team um Hans Schöler gelingt es am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, menschliche Zellen mit einem einzigen eingeschleusten Gen in induzierte pluripotente Stammzellen zu verwandeln. Das macht die Zellen sicherer für künftige Therapien.
- 21. September 2009: Die US-Zulassungsbehörde FDA genehmigt die weltweit erste Sicherheitsstudie, bei der Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) im Labor veränderte Stammzellen erhalten sollen.
Weitere Informationen
- Alle Texte über Stammzellen bei Simmformation v7. Wenn Sie per RSS-Feed automatisch über Neuigkeiten informiert werden wollen, klicken Sie bitte hier
- Deutsche Forschungsgemeinschaft: Was sind Stammzellen?
- Heiß begehrte Tausendsassas – Hintergrundinformationen der Max-Planck-Gesellschaft über embryonale Stammzellen
- Hoffnungsträger adulte Stammzellen – eine Presseinformation der Max-Planck-Gesellschaft
- „Viele Wege führen nach Rom“ – Der Max-Planck-Direktor Hans Schöler erklärt den jüngsten Durchbruch in der Stammzellforschung, die „Induktion“ oder „Neuprogrammierung“ erwachsener Zellen zu induzierten pluripotenten Zellen, manchmal auch Ipsen genannt.
- Stammzell-Behandlungen ohne medizinische Grundlage nehmen zu und müssen strenger reguliert werden, heißt es in diesem (englischsprachigen) Policy Forum der Zeitschrift Science:Kiatpongsan S, Sipp, D. Medicine. Monitoring and Regulating Offshore Stem Cell Clinics. Science 2009 Mar 20;323(5921)1564-5