In drei Studien mit zusammen mehr als 27000 Teilnehmern haben Wissenschafter etwa 30000 Erbgutvarianten gefunden, die bei Menschen mit Schizophrenie häufiger vorkommen als bei Gesunden. Ein ähnliches Gen-Muster fanden die Forscher bei manisch-depressiven Menschen. Experten wie Thomas Insel vom US-Nationalen Institut für Geistige Gesundheit deuten die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Entdeckungen auch als Hinweis darauf, dass beiden Erkrankungen möglicherweise ähnliche Störungen bei der Entwicklung des Gehirns voran gehen.
Von der Schizophrenie sind weltweit bis zu einem Prozent aller Erwachsenen betroffen; die Krankheit bricht meist im späten Jugendalter aus, wenn sich Symptome wie Wahnvorstellungen, Angstzustände und Depressionen bemerkbar machen. Die genauen Ursachen sind noch unklar. Allerdings weiß man, dass bis zu 90 Prozent aller Erkrankungen erblicher Natur sind. Die Suche nach „Risikogenen“ für die Schizophrenie wurde deshalb mit großem Aufwand betrieben, sie war aber bisher nur wenig erfolgreich. So fand man zwar im vorigen Jahr mehrere Erbgutvarianten, die bei Betroffenen häufiger vorkamen, als bei Gesunden. Allerdings waren diese Genvarianten längst nicht bei allen Schizophrenen zu finden, sie konnten demnach nur einen kleinen Teil aller Erkrankungen erklären.
Die Vielzahl der in den neuen Studien entdeckten Genvarianten dagegen soll „ein Drittel oder möglicherweise sehr viel mehr“ des Krankheitsrisikos erklären, meint einer der Arbeitsgruppenleiter, Shaun Purcell von der Universität Harvard. Übereinstimmend haben alle drei Forscherteams Hinweise darauf gefunden, dass eine besonders wichtige Gruppe von Genen auf dem Chromosom Nr. 6 zu finden ist, und zwar in der Nähe des sogenannten Haupthistokompatibilitäskomplex (kurz MHC nach dem englishen Major Histocomptatibility Complex). Diese Gengruppe spielt eine wichtige Rolle bei der Erkennung und Abwehr körperfremder Substanzen und sie beeinflußt wie ein Hauptschalter zahlreiche weitere Erbfaktoren. Für eine Beteiligung des MHC am Schizophrenierisiko spricht auch die Beobachtung, dass Kinder häufiger erkranken, wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine Infektion mit Grippeviren erleidet. Weitere Erbfaktoren, die bei der Entstehung der Schizophrenie eine Rolle spielen könnten, sind der Untersuchung zufolge das Gen für Neurogranin auf Chromosom 11 und der Transkriptionsfaktor TCF4 auf Chromosom 18. Beide Gene sind in Stoffwechselwege eingebunden, die eine Rolle bei der Gehirnentwicklung, dem Gedächtnis und der Denkleistung spielen. Auch dies passt ins Bild, denn Störungen des Gedächtnisses und der Kognition sind, neben Wahn und Halluzination, die wesentlichen Krankheitszeichen der Schizophrenie.
An einer der drei Studien waren auch drei deutsche Arbeitsgruppen beteiligt, die sich bereits im Nationalen Genomforschungsnetz zusammengeschlossen hatten, um die genetischen Grundlagen der Schizophrenie aufzuklären: Arbeitsgruppen am Institut für Humangenetik der Universität Bonn (Arbeitsgruppenleitung: Professor Markus Nöthen und Privat-Dozent Sven Cichon), an der Psychiatrischen Universitätsklinik der LMU München (Arbeitsgruppenleitung: Professor Dan Rujescu) sowie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim (Abteilungsleitung: Professor Marcella Rietschel). Diese drei Zentren waren schon im vorigen Jahr an der Entdeckung neuer, seltener genetischer Variationen, die zur Schizophrenie beitragen maßgeblich beteiligt und – wie Rujescu sagt „ist es uns wiederum gelungen, weitere neue, häufig vorkommende genetische Risikofaktoren zu finden“.
„Endlich kommen wir dem Ziel näher, bestehende Hypothesen zur Schizophrenie mit molekulargenetischen Methoden wissenschaftlich belegen zu können“, beschreibt Nöthen das Besondere dieser weltweiten genetischen Studie. Unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung und Diagnose der Schizophrenie werden die neuen Erkenntnisse wohl nicht haben. Auf dem Weg zu einem besseren Verständnis dieser komplexen Krankheit bedeuten die drei neuen Studien indes einen bemerkenswerten Fortschritt.
Quellen (mit Entschuldigung an die Experten für fehlende Links, da noch nicht in Pubmed gelistet)
- Jianxin S, et al. Common variants on chromosome 6p22.1 are associated with schizophrenia. July 1, 2009, Nature
- Stefansson H, et al. Common variants conferring risk of schizophrenia. July 1, 2009, Nature
- Purcell SM, et al. Common polygenic variation contributes to risk of schizophrenia and bipolar disorder. July 1, 2009, Nature
- Pressemitteilung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit via idw
Tipp:
- Wer´s etwas ausführlicher mag, dem sei der schöne Artikel meines Kollegen Hartmut Wewetzer im Tagesspiegel empfohlen