Pharmaindustrie: Fragwürdige Selbstverpflichtung

Mit einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“ wollen die forschenden Arzneimittelfirmen offenbar verlorenes Vertrauen wieder herstellen. Die Ergebnisse klinischer Studien müssen zwar bereits seit 2005 online veröffentlicht werden, allerdings waren dort oftmals nur sehr spärliche Informationen zu finden. Nun sollen in den online-Artikeln alle zu Studienbeginn vorgesehenen Auswertungen enthalten sein. Außerdem „muss“ jeder, der inhaltlich zu solch einer Fachpublikation beigetragen hat, aufgeführt werden – und zwar mit Angaben zur Art des Beitrages, der Zugehörigkeit zu einer Firma oder Institution „sowie zu potentiellen Interessenskonflikten“, teilt der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (VfA) in einer Pressemitteilung mit.

Dazu hätten sich der internationale und der europäische Pharmaverband sowie weitere nationale Verbände am 10. Juni 2010 geeinigt. Man wolle so eine „noch weitergehende Transparenz“ schaffen erklärte Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des VfA. Yzer war für die CDU von 1990 bis 1998 im Bundestag gesessen und von 1994 bis 1997 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium gewesen, von wo aus sie direkt in ihren neuen Beruf als Deutschlands oberste Pharmalobbyistin wechselte.

Während der VfA in seiner Pressemitteilung bei den Kernelementen der Selbstverpflichtung immer wieder das Wörtchen „muss“ gebraucht, erweist sich das Positionspapier selbst bei näherer Betrachtung als völlig unverbindliches Dokument. „Wir ermutigen alle Geldgeber klinischer Versuche, diesen Prinzipien zu folgen“, heißt es dort etwa. Dann folgt die Einschränkung, dass die Publikationen den Datenschutz der Autoren gewährleisten müssten, sowie geistige Eigentumsrechte und bestehende Verträge.

Zwar „sollten“ alle von der Industrie finanzierten klinischen Studien für eine Veröffentlichung „in Betracht gezogen werden“ – „egal ob die Ergebnisse für die Arznei des Herstellers positiv oder negativ sind“. Schon im nächsten Satz aber wird auch diese freundliche Ermahnung wieder eingeschränkt: „Mindestens sollten alle Ergebnisse aus Phase III-Studien zu Veröffentlichung eingereicht werden und alle medizinisch bedeutsamen Studienergebnisse.“

Die Publikation „sollte“ zeitnah erfolgen, und es folgt eine recht großzügige Auslegung von zeitnah als „wann immer möglich innerhalb von 12 Monaten und nicht später als 18 Monate nach Abschluss der Studie für Medizinprodukte, die bereits auf dem Markt sind“. Die gleiche, unverbindliche Frist gilt für Arzneien und Geräte, die noch in der Entwicklung sind. Gemessen wird hier ab „der Zulassung  durch die Behörden oder der Entscheidung des Herstellers, die Entwicklung einzustellen“.

In der Praxis würde dies bedeuten, dass eine Firma, die beispielsweise in einer Phase II-Studie mit 100 Patienten feststellt, dass ihr Arzneimittelkandidat unerträgliche Nebenwirkungen verursacht, sich durchaus ein halbes Jahr zur Entscheidungsfindung nehmen könnte. Danach blieben nochmals 1,5 Jahre Zeit bis zur Veröffentlichung der unerfreulichen Resultate, ohne gegen den Wortlaut oder den Geist der Selbstverpflichtung zu verstoßen.

Immer wieder waren in den vergangenen Jahren Pharmaunternehmen angeklagt worden, weil sie Studienergebnisse nur teilweise veröffentlicht und damit Patienten geschadet hatten. Dass dabei offenbar vorsätzlich solche Daten unter den Teppich gekehrt wurden, die den Herstellern der getesteten Arzneien nicht ins Konzept passten, hatte unlängst eine Veröffentlichung des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) nahe gelegt.

Quellen:

Weitere Informationen:

  • Die Wikipedia über Klinische Studien: Warum man sie braucht, in welchen Stadien sie ablaufen und welche Interessenskonflikte dabei bestehen.
  • Entscheidungshilfe für Patienten, ob und warum sie an einer klinischen Studie teilnehmen sollten: Der Blaue Ratgeber der Deutschen Krebshilfe
MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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