Schlamperei im Labor bringt Forscher in Verruf

Ungenauigkeiten bei der Auswertung von „genetischen Fingerabdrücken“ werfen Schatten auf ein molekularbiologisches Verfahren, das in der Gerichtsmedizin immer breitere Anwendung findet. Weil keine zwei Personen exakt gleiches Erbmaterial besitzen (eineiige Zwillinge ausgenommen), ist es möglich, durch präzise Analyse der Erbsubstanz (DNA) die Identität eines Menschen zweifelsfrei festzulegen. Dem Engländer Alec Jeffreys gelang es vor vier Jahren, diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen. Seitdem wird über Schuld und Unschuld eines Angeklagten immer häufiger anhand der Aussagen von Experten entschieden, die verschiedene DNA-Muster gegeneinander vergleichen.

Alec Jeffreys Wikipedia
Alec Jeffreys erfand das „DNA-Fingerprinting“ (Foto: Morpheus.Tpvipin [CC BY-SA 2.0] via Wikimedia Commons) 

Findet man am Ort eines Verbrechens noch Spuren des Täters wie etwa Blut, Haare oder Sperma, so kann man auch aus kleinsten Mengen dieser Zellen noch das Erbmaterial isolieren und mit dem von Verdächtigen vergleichen. In den Vereinigten Staaten wird diese Praxis jetzt in Frage gestellt, weil Mitarbeiter der privaten Firma Lifecodes die technisch schwierigen Untersuchungen nicht mit der nötigen Sorgfalt vorgenommen haben.

In einem in der Rechtsprechung bisher einmaligen Vorgang haben Wissenschaftler, die als Sachverständige für beide Parteien in einem Mordprozess tätig waren, eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Insgesamt seien die DNA-Daten in diesem Fall wissenschaftlich nicht verlässlich genug, um zu einer sicheren Aussage zu kommen, heißt es dort. Vorausgegangen war dieser Erklärung ein gerichtsmedizinischer Bericht der Firma Lifecodes an die Staatsanwältin des Bezirks Bronx (New York). Blut, das auf der Uhr des Verdächtigen Jose Castro gefunden wurde, hätte das gleiche DNA-Muster wie das Erbmaterial von Vilma Pons, einem der beiden Mordopfer. Dieses Muster käme in der Bevölkerung nur einmal unter knapp 200 Millionen Menschen vor.

Peter Neufeld, Anwalt der Verteidigung, war über diese Art der Beweisführung besorgt: In der Wissenschaft gebe es bisher scheinbar keine Übereinstimmung über die Art und Weise, in der der Test durchzuführen sei. Alles deutet darauf hin, dass die Mitarbeiter der privaten Firma ihre Analysen nicht mit Kontrollversuchen absicherten, wie sie in der Wissenschaft allgemein üblich sind. Bei der Beurteilung der Identität der genetischen Fingerabdrücke gingen sie von anderen Voraussetzungen aus als bei der späteren Berechnung, wie häufig solch ein Muster zu erwarten wäre – ebenfalls eine Vorgehensweise, die einer kritischen Überprüfung nicht stand hält.

Der Fall Castro sei sicher nicht typisch für den Umgang mit der neuen Technologie, meint der Molekularbiologe Richard Roberts, der Zeuge der Anklage war. „Kein Biologe bezweifelt die potentielle Macht der DNA-Typisierung“, sagt auch Eric Lander, der ebenso wie Roberts an der gemeinsamen Stellungnahme der Experten beteiligt war. Was der Gerichtsmedizin fehle, seien vielmehr angemessene Richtlinien, wie derartige Experimente durchzuführen sind. Die Nationale Akademie der Wissenschaften versucht zurzeit, 300000 Dollar aufzubringen, um eine entsprechende Studie zu finanzieren. Auch das FBI hat sich der Problematik angenommen und ist dabei, eigene Standards zu entwickeln.

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Unabhängig von dem Urteil, das in den nächsten Tagen gefällt werden soll, ist die Wiederaufnahme bereits abgeschlossener Verfahren zu erwarten. Auch die Anklage hat mittlerweile eingeräumt, dass die DNA-Analyse in diesem Fall nicht zulässig ist.

Während die genetischen Fingerabdrücke in den USA schon über hundert Mal als Beweismittel dienten, wurde das Verfahren hierzulande erst in zwei Fällen benutzt. Wie Dr. Wolfgang Steinke vom Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden auf Anfrage mitteilte, ist man der Auffassung, das Verfahren sei reif zur Anwendung auch durch deutsche Polizeilabors. Die Landeskriminalämter in Baden- Württemberg und Berlin sowie das BKA arbeiten seit etwa zweieinhalb Jahren mit der Technik und haben beim Test mit Spurenmaterial die Zuverlässigkeit des Verfahrens unter Beweis gestellt, so Steinke. Die Innenministerkonferenz hat der Arbeitsgemeinschaft „Recht der Polizei“ mittlerweile den Auftrag erteilt, das Konzept der Kriminalämter zur Durchführung des „Fingerprinting“ zu überprüfen.

(erschienen in der WELT am 16. August 1989)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Der Fall Castro hat die Glaubwürdigkeit von DNA-Beweisen vor Gericht erschüttert und die Tendenz verstärkt, dem DNA-Fingerprinting mehr Gewicht bei der Entlastung eines Angeklagten zuzusprechen, als bei dessen Verurteilung. Im Fall Castro entschied das Gericht, dass die Blutspuren auf Castros Uhr nur als Beweis gewertet durften, dass es nicht Castros Blut war, jedoch nicht um zu zeigen, dass es sich um das Blut eines Opfers handelte. Außerdem empfahl das Gericht zukünftig strengere Protokolle und eine bessere Dokumentation bei der Untersuchung der DNA-Fingerabdrücke. Ob Castro schlussendlich verurteilt wurde, habe ich übrigens trotz heftigster Googelei nicht heraus gefunden.

Waffe gegen Grippevirus

Australischen Forschern ist es gelungen, ein Molekül herzustellen, das die Vermehrung von Grippeviren in Labormäusen verhindert. Damit ist man einem Medikament zur Behandlung der Grippe (Influenza) einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Die Fähigkeit des Erregers, seine Oberflächenstrukturen immer wieder zu verändern, hat die Entwicklung eines fortdauernden Impfschutzes bisher verhindert. Anders als der Schnupfen kann die Grippe, die oft in weltweiten Epidemien auftritt, schwerwiegende Folgen haben. Besonders Kinder und ältere Menschen erliegen bakteriellen Lungenentzündungen im Gefolge der Influenza. In der Bundesrepublik forderte die Krankheit 1983 37 Todesopfer, seitdem sind die Zahlen rückläufig.

Peter Colman - Wikipedia
Peter Colman (Foto: The Royal Society [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons)

Für die Attacke auf den menschlichen Körper sind zwei Eiweißstoffe für das Virus unverzichtbar: Hämagglutinin (HA) wird als „Anker“ benutzt, mit dem die Grippeerreger an die Zellen der Atemwege binden; mit Neuraminidase befreien sich neugebildete Viruspartikel von ihren Wirtszellen. Peter Colman, der Leiter des Projekts, hatte 1983 eine Vertiefung auf der Oberfläche dieses Eiweißes entdeckt, die offensichtlich bei allen Stämmen des Grippeerregers die gleiche Form hat. Obwohl die Wissenschaftler schon zuvor Substanzen entwickelt hatten, die die Aktivität der Neuraminidase im Reagenzglas unterdrücken, blieben Tierversuche zunächst erfolglos.

Erst nach der Aufklärung der Molekülstruktur mittels Röntgenkristallographie waren die Forscher in der Lage, Substanzen zu entwerfen, die genau in die „Tasche“ auf der Virusoberfläche passen. Dies hindert den Erreger in seiner Vermehrung und gibt dem Immunsystem die Chance, verbliebene Partikel zu vernichten. Mit diesen neuen Wirkstoffen gelang es der Arbeitsgruppe dann zum ersten Mal, auch im Tierversuch die Virusvermehrung zu blockieren. Mit jedem Molekül, das die Wissenschaftler seitdem getestet haben, konnte die Wirkung weiter verbessert werden. Wenn sich aus dieser Forschungsarbeit eine Therapie entwickeln lässt, würde das nicht nur Gesunden helfen, das Virus abzuwehren. Erstmals stände auch eine Methode zur Verfügung, bereits erkrankte Personen zu heilen.

(erschienen in der WELT am 22. Juli 1989)

164-glasses-2@2x  Quelle: New Scientist: Synthetic molecule disables the flu virus. 24. Juni 1989

 

59-info@2x  Was ist daraus geworden? Mit dieser Meldung, geschrieben noch in meiner Praktikantenzeit, hatte ich offenbar einen guten Riecher. Wegen genau dieser Forschungsarbeit wurde Colman im Jahr 2014 in die Royal Society aufgenommen, den wohl vornehmsten Club von Wissenschaftlern weltweit. In seinem Profil dort heißt es, dass Colman mit Zanamivir eine der ersten Arzneien geschaffen habe, die am Reißbrett entworfen wurde (durch „structure-based design“). Es war zugleich der erste Neuraminidase-Hemmer gegen Influenza.

Spermien als Fähren für fremdes Erbgut?

Mit das Schönste an meinem Beruf ist das Privileg, mit dabei sein zu dürfen, wenn Forscher Neues entdecken. Doch auch ein Blick in die Vergangenheit kann lehrreich sein. Deshalb werde ich bei Simmformation künftig außer aktuellen Entwicklungen auch den einen oder anderen ausgewählten Artikel aus dem Archiv hier auf die Startseite holen. Wir beginnen mit einem Artikel aus meiner Praktikantenzeit bei der WELT. Das war anno 1989 und ich bin froh, dass ich offenbar das richtige Gespür hatte und dem Titel  ein Fragezeichen hinzufügte…

Die Fähigkeit von Samenzellen, fremdes Erbgut in Form von DNA-Bruchstücken aufzunehmen, könnte die Übertragung von Genen (Gentransfer) zwischen verschiedenen Tierarten erheblich erleichtern. Auch die heiß diskutierte Gentherapie, bei der Krankheiten durch Transplantation fremder Gene kuriert werden sollen, würde stark vereinfacht. Fieberhaft versuchen Wissenschaftler zurzeit die Ergebnisse einer italienischen Arbeitsgruppe zu wiederholen, die nach eigener Aussage ein genial einfaches Verfahren gefunden hat, fremde Gene in tierische Keimzellen einzuschleusen. Wenig mehr als das Eintauchen von Spermien in eine Lösung fremder DNA soll genügen, um die Samenzellen zu „Genfähren“ zu machen.

Römische Forscher um Corrado Spadafora hatten Mäusespermien im Reagenzglas mit fremdem Erbmaterial vermischt. Nach der Befruchtung von Eizellen entstanden Embryonen, die in die Eileiter weiblicher Mäuse transferiert wurden. Von 250 derart gezeugten Mäusen trugen fast 30 Prozent die fremde DNA in ihren Körperzellen. Bei dem bisher üblichen Verfahren werden die fremden Gene mit aufwendigen Injektionsapparaturen in die Kerne bereits befruchteter Eizellen gespritzt. Diese Arbeit ist sehr zeitaufwendig und verlangt erhebliches Geschick aufseiten der Experimentatoren. Maximal jede vierte so „hergestellte“ Maus ist transgen, trägt also fremdes Erbmaterial zusätzlich zu ihrem eigenen. Wie die Arbeitsgruppe berichtete, gelang es, die neue Methode auch bei Krallenfröschen anzuwenden. Ein sizilianisches Forscherteam konnte bei Seeigeln ähnliche Erfolge erzielen.

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Andere Forscher nehmen die Ergebnisse allerdings mit Skepsis auf: Dr. Ulrich Rüther vom Europäischen Molekularbiologischen Laboratorium (EMBL) in Heidelberg, der sich schon seit Jahren mit der Übertragung fremder Gene auf die Maus beschäftigt: „Ich glaube nicht, dass es funktioniert.“ Die Art und Weise, wie die Analyse in dem Fachblatt „Cell“ präsentiert wurde, entspreche nicht dem wissenschaftlichen Standard; wichtige Kontrollversuche fehlten, allgemein sei der Artikel sehr oberflächlich geraten.

Bereits 1971 erschien ein Artikel in den „Proceedings“ der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften, in dem von der Übertragung fremder DNA mittels Kaninchenspermien berichtet wurde. Damals verfügte man aber noch nicht über die Nachweismöglichkeiten, die heute durch die Wissensexplosion auf dem Gebiet der molekularen Biologie zur Verfügung stehen. Ohnehin beachteten nur wenige Forscher die Arbeit.

Die Idee, dem Samen auf dem Weg zur Eizelle auch noch fremdes Erbgut mitzugeben, ist also nicht so ungewöhnlich. „Ich weiß von Leuten, die das zum Teil schon seit Jahren versuchen“, erklärte Rüther. Bis jetzt habe es allerdings nicht geklappt. Ungewöhnlich sind die Begleitumstände, unter denen der Artikel veröffentlicht wurde. Die angesehenen Schweizer Molekularbiologen Max Birnstiel und Meinrad Busslinger hatten in der gleichen Zeitschrift den Beitrag der Italiener in einem Übersichtsartikel gewürdigt. Beide arbeiten am Forschungsinstitut für molekulare Pathologie in Wien, Birnstiel als dessen Direktor. Diese Forschungsstätte wird sowohl von Boehringer Ingelheim als auch von der amerikanischen Firma Genentech finanziell unterstützt und hat nun Patentansprüche angemeldet, die auf Spadaforas Arbeit basieren.

Beide Gruppen standen während der Experimente in engem Kontakt miteinander, eine Tatsache, die in dem Übersichtsartikel der Schweizer nicht erwähnt wird. Birnstiel und Busslinger empfehlen den Lesern der Zeitschrift allerdings, den Artikel der Italiener mit ebenso großer Skepsis zu behandeln wie die Berichte zur Kernfusion bei Raumtemperatur (der Beweis für dieses Phänomen ist immer noch nicht erbracht). Wie Birnstiel bekannt gab, werde zurzeit auch in seinem Labor an der Wiederholung des Versuchs gearbeitet.

(erschienen in der WELT am 8. Juli 1989)

Quellen164-glasses-2@2xLavitrano M, Camaioni A, Fazio VM, Dolci S, Farace MG, Spadafora C. Sperm cells as vectors for introducing foreign DNA into eggs: genetic transformation of mice. Cell. 1989 Jun;57(5):717-23. PubMed PMID: 2720785.

Brackett BG, Baranska W, Sawicki W, Koprowski H. Uptake of heterologous genome by mammalian spermatozoa and its transfer to ova through fertilization. Proc Natl. Acad Sci U S A. 1971 Feb;68(2):353-7. PubMed PMID: 5277085.

59-info@2x Was ist daraus geworden? Professor Spadafora forscht immer noch an dem Verfahren, im Jahr 2012 hat er sogar ein ganzes Buch dazu heraus gebracht. Als „Spermienvermittelter Gentransfer“ wird die Methode in der Wikipedia beschrieben, und der englische Suchbegriff „sperm mediated gene transfer“ lieferte bei Google zuletzt 426.000 Ergebnisse. Was immer der Grund sein mag: In der Praxis hat sich das Verfahren meines Wissens nicht durchsetzen können. Ich bin froh, dass ich seinerzeit hinter die Unterzeile „einfaches Verfahren zur Genübertragung entdeckt“ ein Fragezeichen gesetzt habe. (aktualisiert am 18. August 2015)

Alzheimer – Das Bild rundet sich immer mehr ab

Weltweit arbeiten sich Wissenschaftler immer näher an die Ursache der Alzheimer´schen Krankheit (AK) heran. Nach vorsichtigen Schätzungen leiden alleine in der Bundesrepublik rund 600000 Menschen unter dieser Form des frühzeitigen geistigen und körperlichen Zerfalls. Noch weit vor Aids ist die Krankheit, die meist erst bei Menschen in höherem Alter auftritt, die vierthäufigste Todesursache in den westlichen Industrieländern.

Die Untersuchung der Gehirne Verstorbener ergibt immer wieder das gleiche Bild: Im Inneren der Nervenzellen finden sich Bündel von Proteinfasern (Fibrillen) und in den Zellzwischenräumen sind sogenannte senile Plaques zu sehen. Den Kern dieser unlöslichen Ablagerungen bildet ein Eiweißstoff, der inzwischen als ß-Amyloid bezeichnet wird. Umhüllt wird dieser Kern von abgestorbenen Stützzellen des Nervengewebes und von degenerierten Nervenendigungen. Bis zu 6000 dieser Plaques finden sich in befallenen Hirnregionen auf nur einem Quadratmillimeter.

Alzheimer-Fibrillen unter dem Mikroskop - Wikipedia

 

Schon lange bemühen sich Forscher in den USA, in Australien und in Europa darum, die Rolle des ß-Amyloids bei der Entstehung der Krankheit zu entschlüsseln. Der Arbeitsgruppe um Professor Konrad Beyreuther vom Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg (ZMBH) gelang es vor einigen Jahren, das ß-Amyloid aus den Plaques herauszulösen. Der Weg war damit frei, um sich mit gentechnischen Methoden auf die Suche nach jenem Abschnitt des menschlichen Erbgutes zu machen, der die  Bauanleitung für diesen Eiweißstoff enthält.

Dabei ergab sich Überraschendes: Das ß-Amyloid ist nur ein verhältnismäßig kleines Bruchstück eines viel größeren Vorläufermoleküls. Vieles spricht dafür, dass diesem Vorläufer eine wichtige Funktion im Gehirn zukommt. Man weiß jetzt, dass es in die Hülle (Membran) der Nervenzellen eingebettet ist. Besonders häufig ist es in den Synapsen zu finden jenen Schaltstellen, an denen elektrische Impulse von einer Zelle an die nächste übertragen werden. Dort könnte das Amyloidprotein, so wird zur Zeit vermutet, von außen kommende Signale in das Zellinnere weiterleiten oder bei der Verständigung der Zellen untereinander eine Rolle spielen.

Mit der Isolierung des Gens machte man eine interessante Entdeckung: Die Erbanlagen für den  Vorläufer des ß-Amyloids finden sich auf Chromosom 21. Genau dieses Chromosom aber ist bei der recht weit verbreiteten Erbkrankheit des Down-Syndroms („Mongolismus“) dreimal vorhanden und nicht in nur zwei Kopien, wie bei gesunden Körperzellen. Bei Patienten mit Down-Syndrom treten ähnliche Erscheinungen wie bei der AK auf, allerdings bereits im Alter von 35 bis 40 Jahren: Im Gehirngewebe mongoloider Patienten finden sich auch die amyloiden Ablagerungen. So glaubte man zunächst, die Krankheit auf überzählige Kopien des Gens zurückführen zu können.

Dies erwies sich aber als verfrühte Hoffnung. Offensichtlich ist das Gen für den Vorläufer der ß-Amyloids bei den allermeisten AK-Patienten genau so häufig vorhanden wie bei Gesunden. Die Suche ging daher weiter und richtete sich jetzt vor allem auf die Frage, ob irgendwelche anderen Stoffe in der Zelle das Amyloid-Gen beeinflussen könnten.

Als Prof. Beyreuther die dem Gen übergeordneten Kontrollregionen auf der DNA näher untersuchte, fand er Bindungsstellen für mindestens sieben verschiedene Botenstoffe. Unter anderem können an dieser „regulatorischen Region“ Hormone, Onkoproteine – sie spielen bei der Krebsentstehung eine Rolle – und Hitzeschockproteine andocken. Letztere werden beim Menschen durch Stress, falsche Ernährung und Durchblutungsstörungen aktiviert.

Ein Wechselspiel zwischen diesen und anderen Faktoren bestimmt dann offenbar, wieviel von dem Amyloid produziert wird. Beyreuther hofft, dass man in naher Zukunft lernt, diese Botenstoffe mit geeigneten Medikamenten zu beeinflussen. Dann könnte man die Produktion des Amyloidproteins drosseln.

Ist ein Übermaß an Amyloid aber schon genug um die Entwicklung der AK in Gang zu setzen?  Gentechnisch veränderte Mäuse sollen helfen, diese Frage zu klären. Im Reagenzglas vertauschten die Forscher die regulatorische Region des Amyloid-Gens mit einem fremden Stück Erbgut. So wurde ein Schalter konstruiert, den – man nach Belieben „An“ und „Aus“ stellen konnte;. Die Bauanleitung für das Amyloidprotein wurde dann in Mäuse übertragen. Durch Nahrungszusätze konnten die Wissenschaftler jetzt den Befehl zur vermehrten Produktion des Eiweißstoffes geben.

Ergebnis: Selbst wenn diese „transgenen“ Mäuse künstlich angeregt werden, fünf bis zehn Mal soviel Vorläufer des ß-Amyloids herzustellen wie ihre unveränderten Artgenossen, zeigt sich kein Effekt. Von Plaques und anderen Veränderungen des Gehirns, wie sie für die AK typisch sind, war nichts zu sehen. Für Konrad Beyreuthers Arbeitsgruppe war das ein ganz klarer Hinweis darauf, dass schon ein „Primärschaden“ vorliegen muss: Ein Übermaß an Amyloidprotein alleine kann die Krankheit nicht auslösen, wenn das Gehirn nicht vorher schon geschädigt wurde.

Neue Forschungsmöglichkeiten eröffnet eine Entwicklung, über die Sarah-Jane Richards und ihre Kollegen (Universität Cambridge) im vergangenen Monat auf einer Konferenz in Seattle berichteten. Ihnen gelang es erstmals, ein Tiermodell für die Alzheimer´sche Krankheit zu schaffen. Die Forscher transplantierten das Nervengewebe embryonaler Mäuse, die vom Down-Syndrom betroffen waren, in das Gehirn von gesunden (erwachsenen) Artgenossen. Nach mehreren Monaten konnte man bei den Empfängermäusen die senilen Plaques und Neurofibrillenbündel finden, die für Down Syndrom und AK charakteristisch sind.

Die Ablagerungen waren nicht nur im transplantierten Gewebe selbst, sondern auch in den direkt angrenzenden Hirnregionen der Tiere zu sehen. Alles deutet darauf hin, das mit dem Transplantat auch der gesuchte „Primärschaden“ übertragen wurde, den es nun in weiteren Experimenten einzugrenzen gilt.

Neben der spontan auftretenden Form der AK gibt es auch eine erbliche Form, die beim Menschen als „familiäre Alzheimer´sche Krankheit“ (fAK) bekannt ist und etwa ein Zehntel aller AK-Fälle ausmacht. Das Gen, das für diese Form verantwortlich ist, liegt in der Nähe des Amyloid-Gens und bewirkt, dass die Betroffenen wesentlich früher erkranken als bei der spontanen Form. Wenn es den Forschern gelingen würde, auch dieses Gen noch aus der Riesenmenge anderer Erbanlagen herauszufischen, könnte man weitere Hinweise gewinnen, welche Vorgänge der Ablagerung von ß-Amyloid vorangehen.

„Das Bild rundet sich immer mehr ab, es wird spannend“ fasst Beyreuther die jüngsten Fortschritte  auf diesem Gebiet zusammen. Allzu hohe Erwartungen will er jedoch nicht aufkommen lassen. „Wir wissen, wo wir hingehen müssen, aber das Problem ist nicht in einem halben Jahr zu lösen.“ Dreißig Jahre etwa dauert es, bis die AK zur fatalen Hirnschrumpfung fortgeschritten ist. Es wäre daher bereits ein Erfolg der Forschung, wenn es gelingt, den Krankheitsprozess zu verlangsamen. Die AK zu heilen, wird dagegen erst ein sekundäres Ziel sein.

(erschienen in der WELT am 1. Juli 1989)

Papillomviren und Augenkrebs

Eindeutige Zusammenhänge zwischen der Infektion mit Papillomviren vom Typ 16 und der Entstehung von Augenkrebs haben Wissenschaftler der Universität von Südkalifornien festgestellt. Dieser Virustyp findet zur Zeit immer mehr Beachtung, weil er unter anderem bei der Entstehung des Gebärmutterhalskrebs eine Rolle spielt. Die Forscher untersuchten Gewebeproben von fünf Patienten, die Zellveränderungen (Dysplasien) in der Bindehaut des Auges aufwiesen. In allen Fällen gelang es, Erbsubstanz des Virus nachzuweisen. Die Mediziner benutzten eine hochempfindliche neue Technik, die sogenannte Polymerasekettenreaktion, bei der das gesuchte Erbmaterial – falls vorhanden – im Reagenzglas solange vervielfältigt wird, bis sich ein deutliches Signal ergibt. Für diese Art des Nachweises wird nur noch eine verhältnismäßig geringe Menge an Zellen benötigt, die sich leicht durch einen Gewebeabstrich gewinnen lässt. Wie die Papillomviren in das Auge gelangen, ist zur Zeit noch ungeklärt.

(erschienen am 1. Juli 1989 in der WELT)

164-glasses-2@2xQuelle: McDonnell JM, Mayr AJ, Martin WJ. DNA of human papillomavirus type 16 in dysplastic and malignant lesions of the conjunctiva and cornea. N Engl J Med. 1989 Jun 1;320(22):1442-6. PubMed PMID: 2541337.

 

Malaria – Mit einem Cocktail gegen die Verwandlungskünstler

Plasmodien, die einzelligen Erreger der Malaria, haben eine Vielzahl von Mechanismen entwickelt, mit denen sie der Immunabwehr des Menschen immer wieder entkommen.

Die Parasiten verstecken sich im menschlichen Organismus innerhalb von Zellen. Als „Sporozoiten“, die mit der Speichelflüssigkeit der weiblichen Anophelesmücke in die Blutbahn gelangen, erreichen sie innerhalb von nur 30 Minuten die Leber. Jeder einzelne Sporozoit, der hier eindringt, produziert bis zu 40000 Nachkommen, „Merozoiten“ genannt, die dann ausschwärmen und binnen zehn Minuten die ersten roten Blutkörperchen (Erythrozyten) befallen.

Malaria-Zyklus - Wikipedia

Komplizierter Zyklus: So vermehren sich Plasmodien, die Erreger der Malaria. (Von Chb, Wikipedia)

Die Nachkommen dieser Blutstadien befallen dann in regelrechten Angriffswellen immer neue Erythrozyten und lösen damit die Fieberschübe aus, die mit der Malaria einhergehen. Innerhalb einer Woche vollendet sich der fatale Kreislauf, wenn – bei einem erneuten Stich – geschlechtliche Formen des Parasiten in die Mücke gelangen, um dort den Lebenszyklus abzuschließen.

Dem Immunsystem bleibt also wenig Zeit, seine Abwehrwaffen zu mobilisieren. Außerdem deutet vieles darauf hin, dass die Plasmodien gelernt haben, nur solche Oberflächenstrukturen zu präsentieren, die sich die körpereigene Abwehr nicht „merken“ kann. Die Zellen des Immunsystems erkennen nicht die kompletten Eiweiße, wie sie auf der Hülle des Parasiten vorkommen, sondern immer nur kurze Bereiche (Epitope).

Ein Großteil der Forschung konzentriert sich heute darauf, diejenigen Epitope zu finden, die das Immunsystem optimal stimulieren. Dazu werden die Eiweißstrukturen auf den Parasiten durchgemustert und in einzelne Bruchstücke zerlegt. Computervorhersagen sollen dabei helfen, besonders markante (immunogene) Epitope zu finden. Diese können dann im Labor nachgebaut oder mit gentechnischen Mitteln vervielfältigt werden.

Obwohl die B-Zellen des Immunsystems bei der Infektion Antikörper in großen Mengen produzieren, ist der betroffene Mensch dennoch nicht geschützt. Durch Anregung der T-Zellen hoffen viele Wissenschaftler, die noch ungenutzten Kräfte der menschlichen Immunabwehr wecken zu können. T-Zellen zerfallen in mehrere Untergruppen, von denen z. B. die ‚Killerzellen in der Lage sind, von Erregern infizierte Zellen zu zerstören. Ihren Einsatzbefehl hierfür bekommen sie von den T-Helferzellen.

Die Helferzellen können die Bruchstücke des Parasiten aber nicht alleine erkennen. Fresszellen (Makrophagen) fallen über die Parasiten her, kurz danach tauchen die Bruchstücke (Antigene) der Eindringlinge wieder an deren Oberfläche auf. Die Bruchstücke hängen dabei an einer Eiweißstruktur, die von den Experten kurz MHC-Antigene genannt wird. Die Kombination aus MHC-Antigen und fremdem Antigen dient schließlich als Signal für die Helferzellen, die Fresszellen zu aktivieren.

Erschwert wird die Suche der Wissenschaftler nach den „besten“ Epitopen dadurch, dass es vermutlich Hunderte verschiedener MHC-Moleküle gibt. Sie kennzeichnen körpereigenes Gewebe und sind auch für die Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen verantwortlich. Es gilt also, Epitope zu finden, die mit möglichst vielen MHC-Antigenen eine Bindung eingehen können.

Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass die Sporozoiten auf dem Weg in die Leber einen Teil ihrer Hülle abwerfen. Antikörper, die an diese Hülle binden, können dem Parasiten daher nichts anhaben. Die Merozoiten, die die Leber verlassen, erscheinen sogar in völlig neuer Verkleidung. Ein Impfstoff wird also aus einem „Cocktail“ bestehen und eine Vielzahl von Epitopen enthalten müssen, die für die verschiedenen Entwicklungsstufen des Parasiten charakteristisch sind.

Man wird sich dabei bemühen, vor allem solche Oberflächenstrukturen anzugreifen, die für die Plasmodien lebenswichtig sind. Infrage kämen etwa Bruchstücke der Eiweiße, mit denen die Erreger an Leberzellen und rote Blutkörperchen binden.

Hier taucht ein weiteres Problem für die Forscher auf: Zwischen den vielen verschiedenen Malariastämmen, die in den betroffenen Ländern vorkommen, existieren wiederum Unterschiede in den Oberflächen-Proteinen. Ein Impfstoff müsste aber gegen Erreger-Stämme auf der ganzen Welt wirksam sein.

(erschienen in der WELT am 28 Juni 1989)

59-info@2xWas daraus geworden ist: Die Vorstellung eines Impfstoffes, der so wie bei vielen Kinderkrankheiten mit einer Spritze 100-prozentigen Schutz verleiht, hat sich bei der Malaria als reines Wunschdenken erwiesen. Schon auf der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn, die diesem Bericht zugrunde lag, waren durchaus kritische Töne zu hören, etwa von Professor Hanns Seitz, damals Direktor am Institut für Medizinische Parasitologie der Universität Bonn. „Mehr als ein Jahrzehnt intensiver Forsschung lassen erkennen, dass die Immunologen sich mit ihren Prognosen verschätzt haben, und dass ihre Voraussagen zu optimistisch waren“, sagte Seitz damals meiner Kollegin Dr. Vera Zylka.

Es gibt aber auch gute Nachrichten: Die Zahl der Toten ist von jährlich ca. drei Millionen auf etwa 600000 gesunken, seit die Weltgesundheitsorganisation und Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation begonnen haben, den Erreger mit Insektiziden und Moskitonetzen in Schach zu halten. Und im Juli 2015 hat die Europäische Arzneimittelbehörde dann die Zulassung eines Impfstoffes empfohlen, der für Babys in Risikogebieten gedacht ist und der in Studien zwischen 27 und 48 Prozent der Erkrankungen verhindern konnte, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Folgt die EU-Kommission der behördlichen Empfehlung, wäre „Mosquirix“ der erste zugelassene Malaria-Impfstoff überhaupt.

 

Wie eine Prise Salz dem Kropf vorbeugt

Am Wochenende trat eine veränderte Vorschrift über den Jodgehalt von Speisesalz in Kraft. Die Erlaubnis, Jodsalz auch in industriell gefertigten Lebensmitteln und in der Gemeinschaftsverpflegung einzusetzen, schafft die Grundlage, den Kropf nun auch in der Bundesrepublik wirkungsvoll zu bekämpfen.

Endlich sind Vorschläge des Arbeitskreises Jodmangel berücksichtigt worden: Die Änderung der Verordnung über jodiertes Speisesalz schafft jetzt die Voraussetzungen, den Anteil des lebenswichtigen Spurenstoffes Jod in der Nahrung zu erhöhen. Aufgrund dieser Maßnahme erwarten die Mediziner, dass der hohe Anteil an Jodmangelkrankheiten – Vergrößerung und Funktionsstörungen der Schilddrüse – langfristig zurückgedrängt werden kann.

Obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Aufnahme von täglich mindestens 150 Mikrogramm (millionstel Gramm) Jod empfiehlt, liegt die durchschnittliche Menge, die Erwachsene im Bundesgebiet zu sich nehmen nur bei etwa 70-80 Mikrogramm am Tag. Die Folge dieser Unterversorgung wird im europäischen Vergleich sichtbar: Die Bundesrepublik weißt unter ihren Nachbarländern die bei weitem höchste Kropfbildungsrate auf.

Sechs bis acht Millionen Menschen leiden hierzulande an dieser krankhaften Vergrößerung der Schilddrüse. 80000 Operation pro Jahr als direkte Folge des Jodmangels bilden im internationalen Vergleich die einsame Spitze, wie Professor Peter Scriba vom Arbeitskreis Jodmangel gestern in Bonn mitteilte. Die Kosten in Höhe von fast einer Milliarde Mark, die jährlich durch Diagnose und Behandlung der jodbedingten Mangelkrankheiten entstehen, wären allein durch die Beseitigung des Joddefizits in der Bevölkerung zu vermeiden.

Durch die neue „Verordnung über jodiertes Speisesalz“ des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) wird nun die Voraussetzung geschaffen, diesen Nährstoffmangel auf breiter Basis zu beheben. Der Einsatz von Jod bei der industriellen Herstellung von Lebensmitteln und in der Gemeinschaftsverpflegung – zum Beispiel Kantinen, Bundeswehr, Altersheime – war bisher nicht erlaubt. Hierzulande hatte man die Verwendung von Jodsalz immer sehr restriktiv gehandhabt: War jodiertes Kochsalz im Nachbarland Schweiz die Regel, so wurde es in der Bundesrepublik nur in Ausnahmefallen benutzt.

Vor acht Jahren ermöglichte der Gesetzgeber dann Jodkonzentrationen von 20 Milligramm pro Kilogramm Kochsalz. Die freiwillige Verwendung des Speisesalzes mit Jodzusatz im privaten Haushalt brachte jedoch nicht den gewünschten Effekt.

Da die Verwendung von Jodsalz die betreffenden Lebensmittel automatisch unter die Diätverordnung fallen ließ, waren mit der industriellen Herstellung und der Verwendung in Großküchen besondere Auflagen verbunden. Das Jodsalz wurde deswegen bei der Produktion von Lebensmitteln und Fertiggerichten praktisch nicht verwendet. Der Anteil an gewerblich vorgefertigten Lebensmitteln und Fertiggerichten liegt aber bei etwa 80 Prozent der Gesamtnahrungsaufnahme – der Verbrauch an jodiertem Speisesalz im Privathaushalt ist dagegen nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Der Arbeitskreis Jodmangel, der sich aus Medizinern, Ernährungswissenschaftlern und Lebensmittelchemikern zusammensetzt, erhofft sich nun einen Rückgang der Kropfhäufigkeit auf unter drei Prozent. Wie der Sprecher der Vereinigung, Professor Dieter Hötzel betonte, sei ein gesundheitliches Risiko durch die Jodsalzprophylaxe nicht zu erwarten, da mit den neuen Maßnahmen nur ein Mangel an einem Spurenelement ausgeglichen wird, das uns die Natur nicht in ausreichenden Mengen bereitstellt.

(erschienen in der WELT am 27. Juni 1989)

Was ist 59-info@2xdaraus geworden? Offenbar hat die neue Verordnung ihren Zweck erfüllt. Die Jodversorgung der deutschen Bevölkerung ist von damals durchschnittlich 70 – 80 Mikrogramm auf etwa 110 – 120 Mikrogramm im Jahr 2003 gestiegen, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Damit liegt man nun im mittleren unteren Bereich der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geforderten Zufuhr. Auch der Arbeitskreis Jodmangel bestätigt, dass Deutschland kein Jodmangelgebiet mehr ist. Dennoch sei die Versorgung nicht optimal, auch weil viele Herzpatienten ermahnt werden, ihre Salzzufuhr zu drosseln. Das neue Motto des Arbeitskreises lautet deshalb: „Wenn Salz, dann Jodsalz“.

Tübinger Wissenschaftler entwickeln neuen Impfstoff gegen Hepatitis A

Einen Impfstoff gegen die infektiöse Variante der Leberentzündung (Hepatitis A) zu entwickeln, ist jetzt Prof. Bertram Flehmig vom Hygieneinstitut der Universität Tübingen und seinen Mitarbeitern gelungen.

In der Bundesrepublik sind nach einer Studie 96 Prozent der jungen Erwachsenen ohne Schutz gegen die Krankheit, die durch das Hepatis-A-Virus (HAV) verursacht wird und sich durch verunreinigte Lebensmittel rasch ausbreiten kann. Die einzige Möglichkeit, Risikogruppen zu schützen, war bislang die passive Immunisierung, das heißt die Gabe von Antikörpern, die aus dem Blut von Hepatitiskranken gewonnen wurden. Das Krankheitsbild der Hepatitis A ist dem der Serumhepatitis (Hepatitis B) sehr ähnlich, jedoch in den meisten Fällen nicht chronisch.

Die Tübinger Wissenschaftler impften Freiwillige mit zuvor durch Formalinbehandlung abgetöteten und daher nicht mehr vermehrungsfähigen Viren. Nach dreimaliger Impfung wiesen die Testpersonen – es handelt sich um Studenten der Universität Tübingen – große Mengen an schützenden Antikörpern auf. Wie Flehmig mitteilte, waren diese auch ein Jahr nach der Impfung nicht wesentlich verringert. Bei der passiven Impfung dagegen ist der Schutz nur von kurzer Dauer, da die fremden Antikörper rasch wieder abgebaut werden.

Die Arbeitsgruppe, die sich seit 1980um Verfahren zur Vermehrung des Hepatitis-A-Virus (HAV) bemühte, umfasst nur vier Mitglieder. Um so erstaunlicher ist es, dass die Forscher den großen Pharmaunternehmen zuvorkamen.

Während andere versuchten, das komplette Virus oder dessen Teile mit gentechnischen Mitteln zu vervielfältigen, setzte Flehmig auf die Vermehrung einer abgeschwächten Variante in Kulturen menschlicher Zellen. „Ich habe immer geglaubt, dass man es mit Zellkulturen machen kann“, erklärt der Forscher seinen Erfolg.

Verschiedene Impfstoffhersteller haben bereits Interesse an einer Produktion des Impfstoffes angemeldet. Wenn alles gutgeht, könne die Zulassung bereits in einem Jahr erfolgen. Ein allgemeines Impfprogramm gegen die Krankheit hält Flehmig nicht für sinnvoll. Auch die Weltgesundheitsorganisation hatte sich bereits früher gegen ein umfassendes und daher entsprechend kostenaufwendiges Programm ausgesprochen. In Afrika, Südamerika und Asien ist die Infektion weit verbreitet.

Profitieren von dem neu entwickelten Impfstoff könnten vor allem Touristen aus den westlichen Nationen, die in Länder reisen, in denen die Hepatitis A häufig auftritt.

(erschienen am 23. Juni 1989 in der WELT)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Einen Impfstoff gegen Hepatitis A gibt es mittlerweile Allerdings wurde er nicht wie angekündigt 1990 von der Tübinger Arbeitsgruppe auf den Markt gebracht, sondern erst 1995 durch die Firma Merck, wo Maurice Hilleman ebenfalls einen Formalin-inaktivierten Virusstamm genutzt hatte. Flehmig ist mittlerweile einer von sechs Gesellschaftern der Biotechfirma Mediagnost, wo er sich immer noch mit Hepatitis A beschäftigt. Als Forschungsdirektor zielt er nun darauf, eine Variante des Impfstoffes zu schaffen, die auch für Entwicklungsländer erschwinglich wäre, berichtete im Juli 2012 das Schwäbische Tageblatt.

Wieder Furcht und Zittern lernen

Im Rahmen einer VHS-Vortragsreihe war am Montagabend Professor Günter Altner, Vorstandssprecher des Freiburger Öko-Instituts im Kulturhaus zu Gast. Das Thema des gelernten Biologen und Theologen: Die Gentechnologie als Herausforderung für die christliche Weltanschauung.

Ca. 70 Zuhörer jeglichen Alters zeugten von dem Interesse der Öffentlichkeit an dem recht komplexen Thema, das jedoch, wie Prof. Altner schnell klarmachte, jeden angeht. Die Gentechnologie habe die Absicht, durch mehr oder weniger gezielten Eingriff ins Erbgut der verschiedensten Organismen diesen zu neuen Leistungen zu verhelfen, wozu auch die Produktion neuer Stoffe gehöre.

Zu Eingang seines Vortrages bemühte sich Altner, dem Publikum die Grundlagen der neuen Technologie nahe zu bringen, indem er in groben Zügen eine Vorstellung vermittelte, wie man sich denn diese Erbanlagen vorzustellen habe.

 

Auch für die Übersetzung des genetischen Codes, der Erbsprache also, in Eiweißstrukturen, die letztlich die Merkmale und die Entwicklung alles Lebendigen bestimmen, fand Altner einen recht anschaulichen Vergleich.

Damit war dann der Boden bereitet für eine Schilderung der vielfältigen Nutzungsziele, die gegenwärtig auf diesem Gebiet verfolgt werden. Dabei wurde immer wieder klar, welch zweischneidiges Schwert der Menschheit mit dieser Technologie in die Hand gegeben ist: Einerseits werden Mikroorganismen heute schon dazu benutzt, Insulin für Zuckerkranke zu produzieren – billiger und reiner als dies mit der bisherigen Methode der Gewinnung aus den Drüsen von Schlachttieren zu machen ist -, andererseits haben aber auch militärische Kreise die Gentechnologie entdeckt und damit die Möglichkeit, biologische Waffen noch bösartiger zu machen, als sie dies ohnehin schon sind.

In der Pflanzenzucht ließe sich erhöhte Fruchtbarkeit bei Kulturpflanzen ebenso erreichen wie größere Widerstandsfähigkeit gegen extreme Umweltbedingungen und verminderter Bedarf an Düngemitteln. Während diese Projekte, die für Entwicklungsländer von Wert sein könnten, noch in der Entwicklung sind, sind herbizidresistente Kulturpflanzen schon produktionsreif.

Der Einsatz dieser Pflanzen würde zu einem erhöhten Einsatz an Pflanzengiften führen. Dies, so Altner, müsse als fragwürdig bezeichnet werden und könne ökologisch nicht verantwortet werden.

 

Schließlich die Anwendung am Menschen: Die Möglichkeit der pränatalen Diagnose, also der Vorhersage von Erbschäden bei Embryonen berge die Gefahr in sich, dass in Zukunft schon bei geringen Abweichungen von der Norm eine Abtreibung eingeleitet werde. Die sich bereits abzeichnende Möglichkeit der Gentherapie d.h. der Reparatur von Erbdefekten am menschlichen Keim erfordert Experimente am Embryo. Altner unterstrich in Anbetracht dieser Entwicklungen die Bedeutung einer informierten Öffentlichkeit.

Letztendlich sei es der gesunde Menschenverstand der Bürger, der darüber zu entscheiden habe, inwieweit man das Potential, das in dieser Technik stecke nutzen wolle bzw. wo man Grenzen zu ziehen habe. Angesichts des Wettlaufs der Industrienationen trotz einer Fülle von ungeklärten Fragen erinnerte Altner an den Ausspruch des Philosophen Hans Jonas, dem in diesem Jahr der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde: „Wir müssen wieder Furcht und Zittern lernen und, selbst ohne Gott, die Scheu vor dem Heiligen“. Der Mensch müsse mehr Ehrfurcht vor dem Leben zeigen und die Zusammenhänge der Natur als etwas wertvolles begreifen. Altner erklärte, er halte eine Denkpause für nötig.

Die Risikoforschung sei noch nicht weit genug fortgeschritten. Die Förderung der Gentechnologie durch öffentliche Mittel solle eingestellt werden. An gesetzliche Maßnahmen wurde ein Verbot der Freisetzung genetisch veränderter Organismen ebenso gefordert wie ein totales Verbot biologischer Waffen auf internationaler Ebene. Der Schutz des menschlichen Keimes müsse gesetzlich verankert werden.

Dies bedeute jedoch kein totales Nein gegenüber der Gentechnologie angesichts der Heilungschancen, die mit bestimmten Gebieten verbunden seien.

In der sich anschließenden Diskussion wurde immer wieder die Frage laut, wie man auf die gegenwärtige Entwicklung Einfluss nehmen könne. Auch wurde Skepsis laut gegenüber einseitigen Maßnahmen in der Bundesrepublik. Wie Tschernobyl gezeigt habe, seien auch die schärfsten Sicherheitsmaßnahmen angesichts grenzüberschreitender Umweltkatastrophen nutzlos.

Demgegenüber brachte Altner seine Überzeugung zum Ausdruck, dass durch eine breitangelegte Diskussion in der Öffentlichkeit durchaus genug Druck auf die Parlamente ausgeübt werden könne, um verantwortliche Politiker zum Handeln zu bewegen. Auch habe man die ethische Verpflichtung, moralisch nicht vertretbare Entwicklungen zu verhindern, wobei der Blick auf den Nachbarn erst an zweiter Stelle stehen dürfe.

Anhaltender Beifall am Ende der Veranstaltung zeugte davon, dass Prof. Altners Appell an das Verantwortungsgefühl und den gesunden Menschenverstand an diesem Abend auf offene Ohren gestoßen war.

(erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung, 6. November 1987)

Nur kontrollierte Gen-Forschung nützt

Das Wieslocher Jugendzentrum „Loch Ness“ hatte hochrangige Vertreter aller politischen Parteien in das Wieslocher Bürgerhaus eingeladen, um dort im Rahmen einer Podiumsdiskussion die verschiedenen Standpunkte zu erörtern.

Ebenfalls eingeladen war Ruben Scheller, Dipl. Biologe und Autor des Buches „Das Gen-Geschäft„, dem die Aufgabe zufiel, das Publikum in kurz gedrängter Form mit den Grundlagen dieser jungen Technologie vertraut zu machen. Vor den ca. 70, meist jugendlichen Zuhörern machte Scheller klar, welche ungeheuren Möglichkeiten dem Menschen durch Nutzung der Gentechnologie zur Verfügung stünden. Durch die Fähigkeit, Erbinformationen, die in Form von chemischen Molekülen festgelegt sind, aus den verschiedensten Organismen zu gewinnen, erhält der Mensch Zugriff auf die unvorstellbare Vielfalt an biologischen Substanzen die von Tieren, Pflanzen und Bakterien produziert werden. Da die Art und Weise, wie diese Erbinformationen in Biomoleküle übersetzt werden im Prinzip bei allen Organismen gleich ist, ist es heute möglich, Teile der Erbinformation – Gene genannt – zwischen verschiedenen Arten auszutauschen

Ein prominentes Beispiel für die Anwendung dieser Technik ist die Produktion von menschlichem Insulin in Bakterien, die im Begriff ist, die Gewinnung von Rinderinsulin aus den Drüsen von Schlachttieren zu ersetzen. Scheller machte klar, dass die Genmanipulation auch die Schaffung  neuer Lebensformen ermöglicht. Der Mensch wird zur formenden Kraft in der Evolution bis hin zu der Möglichkeit, seine eigenen Erbinformationen und damit sich selbst zu verändern.

Scheller bemängelte jedoch das Fehlen einer breiten Diskussion über Möglichkeiten und Gefahren  der Gentechnologie vor der Umsetzung in die Praxis. Als Beispiele für den Missbrauch dieser Technik nannte er die Entwicklung von Herbizid-resistenten Kulturpflanzen, was den Verbrauch an Pflanzengiften enorm steigern würde, sowie Forschungen an biologischen Waffen, die im Auftrag der Bundeswehr in der tierärztlichen Hochschule in Hannover stattfänden.

Für die SPD ergriff nun Gert Weisskirchen (MdB) das Wort. Er bezeichnete die Gentechnologie als ein Beispiel dafür, was Forschung alles bedeuten könne: Der Kampf gegen Krebs, Hunger oder AIDS wurden als Beispiele genannt. Forschung könne sehr positiv sein, wenn sie kontrolliert und in einem verantwortlichen Rahmen ablaufe. Mit dem Wissen wüchsen jedoch auch die Chancen der Manipulation und des Mißbrauches.

Die Politik stünde dieser Entwicklung recht machtlos gegenüber, da die Freiheit der Wissenschaft gemäß Art. 5 des Grundgesetzes garantiert sei. Weisskirchen verwies jedoch auf die Enquete-Kommission des Bundestages, die sich neben anderen Richtlinien darauf geeinigt habe, keine Eingriffe in die menschliche Keimbahn zu erlauben und einen gesetzlichen Rahmen für die Gentechnologie zu schaffen.

Gert Schwander (MdL) der die Position der baden-württembergischen Grünen vertrat sagte, hinter der Gentechnologie stehe das Bestreben die Sprache des Lebens zu verstehen und das Ziel, das Stottern in dieser Sprache – die Erbkrankheiten – zu beseitigen. Obwohl er ursprünglich die Gentechnologie generell ablehnte, glaube er jetzt, daß deren Einsatz die einzige Chance bei der Bekämpfung von AIDS darstelle. Nach Schwandner favorisieren die Grünen im Landtag das dänische Modell eines generellen Verbotes der Gentechnologie, wobei Ausnahmen in bestimmten Fällen möglich sein sollen.

Michael Sieber (MdL), der für die CDU Fraktion im Landtag sprach, wollte keinerlei Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Er persönlich lehne auch die Embryonenforschung insgesamt ab, jedoch gebe es hierfür zur Zeit keine Mehrheit in der Partei. Auch lehne die CDU die Leihmutterschaft und die künstliche Befruchtung mit fremden Spendersamen ab. Das Recht des Kindes müsse hier im Vordergrund stehen. Er sehe aber nichts unrechtes darin, etwa einem kinderlosen Ehepaar durch Vereinigung deren Keimzellen im Reagenzglas die Elternschaft zu ermöglichen.

In der anschließenden Diskussion mit nur geringer Publikumsbeteiligung wurden seitens Schwandners und Schellers Zweifel laut, ob derzeit bestehende Gesetze die Manipulation menschlicher Embryonen verhindern können. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer darin, daß die Gentechnologie nicht dazu dienen dürfe, das Leben an unlebenswerte Verhältnisse anzupassen.

Für Überraschung sorgte Scheller gegen Ende der Diskussion mit einer vorbereiteten Resolution, in der Verteidigungsminister Wörner aufgefordert wurde, auf jede weitere Finanzierung biotechnischer Projekte zu militärischen Zwecken zu verzichten. Abschließend brachten die Diskussionsteilnehmer die Hoffnung zum Ausdruck, daß sich die öffentliche Diskussion um Chancen und Risiken dieser Technologie vertiefen möge und boten ihre Teilnahme an einer evt. Folgeveranstaltung an, bei der dann auch Forscher, die auf diesem Gebiet arbeiten, zu Wort kommen sollten.

(erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung, 30. September 1987)