Forscher entdecken neues AIDS-Virus

Bei der Routineuntersuchung einer Prostituierten aus Ghana, die in der Bundesrepublik Deutschland lebte, haben Frankfurter Wissenschaftler ein sehr urtümliches Aids-Virus entdeckt, das sich von allen bisher isolierten Typen deutlich unterscheidet. Möglicherweise ist das untersuchte Virus weniger gefährlich als andere Erreger der Immunschwächekrankheit, da bei der Frau keinerlei Anzeichen einer Erkrankung festgestellt werden konnten. Dann wäre sogar ein Einsatz bei der Impfstoff-Entwicklung denkbar.

Wie Dr. Ursula Dietrich vom Forschungsinstitut Georg- Speyer-Haus am Freitag der WELT sagte, hat der Erreger – genannt HIV-2ALT – Gemeinsamkeiten sowohl mit menschlichen als auch mit Affen-Aids-Viren. Demnach könnte das Aids-Virus doch menschlichen Ursprungs sein und wurde nicht – wie bisher angenommen – vom Affen auf den Menschen übertragen. Die Arbeitsgruppe unter Leitung von Professor Helga Rübsamen-Waigmann ist bereits in der Lage, das neue Virus schnell und sicher von seinen Verwandten zu unterscheiden. In Zusammenarbeit mit einer portugiesischen Arbeitsgruppe soll jetzt untersucht werden, wie weit es verbreitet ist.

Angriff auf den neu-Rezeptor

Mit einem Eingriff in den Mechanismus der Zellteilung wollen deutsche und amerikanische Wissenschaftler das Wachstum von Brustkrebszellen hemmen. Wie die Forscher mitteilten, gelang es, ein Eiweißmolekül an der Weitergabe von Wachstumssignalen zu hindern. Das Molekül, der neu-Rezeptor, steckt in der Zellhülle und ist bei einem Viertel aller Brustdrüsen-Tumore vermehrt zu finden.

Wie viele andere Rezeptoren besteht dieser Eiweißstoff aus drei Abschnitten. Wird auf der Zelloberfläche ein Stoff gebunden, so leitet ein Teil, der die Zellhülle durchzieht, dieses Signal an den dritten Abschnitt des Rezeptors weiter, der im Zellinneren liegt. Verbunden mit diesem Vorgang ist eine Formänderung des Moleküls. Weitere Botenstoffe werden auf den Weg zum Kern geschickt, am Ende dieser Kaskade steht dann die Zellteilung.

Wird die Zellteilung zu häufig ausgelöst, kann es zu krebsartigem Wachstum kommen. Dennis Slamon von der Universität San Diego gelang es nun, das Wachstum von Tumoren in Mäusen zu verlangsamen, indem er den Tieren zelluläre Abwehrstoffe (Antikörper) verabreichte, die sich am neu-Rezeptor festsetzen. Dadurch wird vermutlich der Platz für einen löslichen Botenstoff besetzt, der bis jetzt noch nicht identifiziert werden konnte. Das Signal zur Teilung kann dann vom neu-Rezeptor nicht mehr in das Zellinnere weitergeleitet werden.

Eine andere Strategie verfolgt Axel Ullrich (Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried). Ullrich stellte Teile des neu-Rezeptors im Reagenzglas her und benutzte diese dazu, den Botenstoff „wegzufangen“. Die gleiche Methode wird zur Zeit erprobt, um Aidsviren am Eintritt in ihre Wirtszellen zu hindern; viele andere Anwendungen sind denkbar. Für den Einsatz von Rezeptor-Bruchstücken gegen den Brustdrüsenkrebs muss deren Überlebenszeit innerhalb der Zelle aber noch verbessert werden, was durch den Austausch einzelner Bausteine des Rezeptors möglich sein sollte.

(erschienen in der WELT am 23. Dezember 1989)

Quelle: 7. Expertentreffen der Dr. Mildred Scheel-Stiftung über Onkogene und ihre Bedeutung in der Tumordiagnostik, Bonn, November 1989

Was ist daraus geworden? Dennis Slamon war mit seiner Forschung auf dem richtigen Weg. Der Rezeptor wurde inzwischen in „HER2/neu“ umbenannt und dient nicht nur zur Diagnose des Brustkrebs. Er ist auch ein wichtiger Angriffspunkt für jenes Fünftel aller Brustkrebserkrankungen, die als „HER2-positiv“ bezeichnet werden. Slamons Lebenswerk wurde 2008 verfilmt in der TV-Produktion Living proof , er gilt seit einigen Jahren als heißer Kandidat für den Medizin-Nobelpreis. Axel Ullrich wurde einer der erfolgreichsten deutschen Wissenschaftler. Er veröffentlichte an die 600 Publikationen, gründete fünf Biotech-Firmen – und war mit Slamon maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Antikörpers Trastuzumab (Herceptin), der bei HER2/neu-positiven Brustkrebserkrankungen eingesetzt wird. Und für mich als Journalisten bleibt das befriedigende Gefühl, diese faszinierende Geschichte über ein Viertel Jahrhundert begleitet zu haben.

Mit Computeraugen durchs Gehirn

Die Computertomografie als bildgebendes Verfahren ist heute aus der Medizin kaum wegzudenken. 1989, als ich erstmals darüber berichtet habe, war ich noch Praktikant für „DIE WELT“ – und habe mächtig gestaunt…

Diagnose und Operationen von Krebserkrankungen sollen mit einem neuen Computerverfahren verbessert werden, das am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg entwickelt wurde. Dreidimensionale Abbildungen- erzeugt von einem schnellen Elektronenrechner – werden es dem behandelnden Arzt erlauben, Größe und Lage von Tumoren im Gehirn besser einzuschätzen.

Untersuchungsplanung mithilfe einer Aufnahe aus dem Computertomographen (2011)
Untersuchungsplanung mithilfe einer Aufnahe aus dem Computertomographen (2011)

Einer Arbeitsgruppe der Abteilung für Medizinische und Biologische Informatik unter Leitung des Physikers Hans-Peter Meinzer gelang es, diese „Entdeckerreise“ in das Innere der Organe lebender Menschen zu ermöglichen. Hiermit wird es möglich, Organe und deren Inhalt, die sich bisher nur unscharf im Bild abgrenzen lassen, genau darzustellen.

Heutzutage werden Schnittbilder des menschlichen Körpers, die mit Hilfe der Computer- und Kernspintomografie gewonnen werden, noch auf Filmmaterial kopiert und vom Arzt auf einer Leuchtwand analysiert. Vor einer Operation steht der Mediziner dann vor der schwierigen Aufgabe, sich aus einer Fülle von zweidimensionalen Fotos eine räumliche Vorstellung über den Sitz der Geschwulst zu machen. Diese Abschätzung verlangt große Erfahrung.

Bei dem neuen Verfahren hingegen werden die Schnittbilder in eine computerlesbare Form verwandelt (digitalisiert) und im Rechner „aufeinandergestapelt“. Aus den Aufnahmen – bei einer Tomographie des Kopfes sind es beispielsweise 128 Schnittbilder- wird das Organ im Rechenmodell wieder zusammengesetzt und erscheint ganz auf dem Computerbildschirm.

Ein von dem Heidelberger Team erarbeiteter Demonstrationsfilm zeigt einen solchen Kopf, der scheinbar im Raum schwebt und von einem – auch nur im Rechenmodell existierenden -Lichtstrahl angeleuchtet wird. Mit dem „ray-tracing“ genannten Verfahren kann der Lichtstrahl auch tieferliegende Schichten darstellen. So wird ein Tumor innerhalb des Gehirns sichtbar. Die Darstellung ist dabei so wirklichkeitsnah, als sehe sich der Betrachter selbst im Kopf des Patienten um.

Die dreidimensionale Darstellung von Knochenstrukturen ist schon vorher in Hamburg, Berlin und in den USA gelungen. Die Methode beruht auf der „Grauwertanalyse“, bei der verschiedene Helligkeitsstufen der Schnittbilder vom Computer mit Haut oder Knochen gleichgesetzt werden. Hüft- und Kniegelenke, auch gebrochene Kiefer- und Beckenknochen werden daher an einigen Kliniken in der Bundesrepublik und den USA bereits recht plastisch auf dem Bildschirm präsentiert.

Große Probleme entstanden aber bei der Abbildung „weicher“ Organe. So haben Gehirn, Nasenschleimhaut, Augen oder Tumorgewebe auf den Schnittbildern fast identische Grautöne, die der Computer kaum unterscheiden kann. Zudem sind Tumoren in der Regel nicht eindeutig von ihrer Umgebung abgegrenzt.

Das Team des Krebsforschungszentrums ergänzte nun das Programm um ein weiteres computerlesbares Merkmal: eine Beschreibung der unterschiedlichen Formen und Strukturen der Weichteile liefert dem Computer gewissermaßen anatomische Kenntnisse.

Auf dem Bildschirm des elektronischen Helfers können so auch Weichteile unterschieden werden, die sich in ihren Graustufen sehr ähnlich sind. Daraus ergibt sich dann die Möglichkeit, die definierten Strukturen durch Rechenoperationen an den einzelnen Bildpunkten zu löschen. Auf dem Computerfilm verschwinden so nach und nach Haut und Haare von dem sich drehenden Kopf, bis nur noch die Knochenoberfläche des Schädels zu sehen ist.

Im Demonstrationsfilm gelingt es auch, die Schädelknochen verschwinden zu lassen – das Gehirn liegt nun frei. Während das „Auge“ des Computers weiter ins Innere des Gehirns vordringt, wird ein heller Fleck sichtbar, der als Geschwulst erkannt wird. Millimetergenau sind Position, Größe und Form des Tumors zu sehen.

Noch handelt es sich hier um Grundlagenforschung. Die Trennung der Organweichteile ist noch nicht perfekt, der Rechner braucht zu viel Zeit zum Aufbau des Computermodells. Notwendig sei auch, so Meinzer, eine enge Zusammenarbeit mit Kliniken, um Bildmaterial und Hinweise für eine optimale Anpassung des Verfahrens an die Bedürfnisse der klinischen Praxis zu erhalten. Es müssen Rechner mit hoher Leistung entwickelt werden, die gleichwohl für eine Klinik noch bezahlbar sind. Meinzer glaubt aber dennoch, dass das Verfahren in einigen Jahren Routine sein wird.

(erschienen in der WELT am 21. November 1989)

Was ist daraus geworden? Meinzer sollte Recht behalten: Die Rechner sind schneller geworden und billiger. Computertomografen sind heute in jeder Klinik Standard. Das Verfahren wurde und wird ständig weiterentwickelt, die Auflösung ebenfalls verbessert. Laut Wikipedia erhielten im Jahr 2009 in Deutschland fast 5 Millionen Menschen eine Computertomografie.

Medizin-Nobelpreis für Harald Varmus und Michael Bishop

Harld E. Varmus (Quelle: Wikipedia Commons)
Harald E. Varmus (Quelle: Wikipedia Commons)

Ausgezeichnet werden in diesem Jahr die beiden amerikanischen Mediziner Harald E. Varmus und J. Michael Bishop. Varmus wurde am 18. Dezember 1939 in Oceanside im Staat New York geboren. Er besuchte das Amherst College in Massachusetts und studierte dann in Harvard. 1966 promovierte er an der Columbia-Universität. Michael Bishop wurde am 22. Februar 1936 in York im US-Staat Pennsylvania geboren. Er studierte in Gettysburg und Harvard und arbeitete danach an den National Institutes of Health bei Washington. Gemeinsam arbeiten die Preisträger an der Abteilung Mikrobiologie und Immunologie der Universität von Kalifornien in San Francisco

Porträt von J. Michael Bishop (Quelle: General Motors Cancer Research Foundation, via Wikipedia Commons)
Porträt von J. Michael Bishop (Quelle: General Motors Cancer Research Foundation, via Wikipedia Commons)

Michael Bishop und Harold Varmus wurden für ihre Entdeckung des „zellulären Ursprungs der retroviralen Onkogene“ ausgezeichnet. In der Begründung für die Vergabe des Medizin-Nobelpreises heißt es: „Die Entdeckung betrifft eine große Menge von Genen, die das normale Wachstum und die Teilung der Zellen kontrollieren. Störungen in einem oder einigen dieser Gene verwandeln sie in Onkogene (Griechisch: onkos – Geschwulst, Tumor). Dies kann dazu führen, dass eine normale Zelle in eine Tumorzelle verwandelt wird und eine Krebsgeschwulst veranlasst.“

Bestimmte Viren können die normalen Gene in ihre Erbsubstanz aufnehmen. Dabei können diese in Onkogene umgewandelt werden. Bei der Vermehrung der Viren werden die veränderten Gene wieder in das menschliche Erbgut eingebaut.

Schon um die Jahrhundertwende wurde erstmals der Verdacht geäußert, dass Viren Krebs verursachen können. Peyton Rous vom amerikanischen Rockefeller Institut gelang es 1910, Tumoren zwischen Hühnern zu übertragen. Rous benutzte dazu einen Extrakt aus den Zellen befallener Tiere. Er äußerte damals die Vermutung, dass hier Viren im Spiel seien, stieß damit aber bei seinen Kollegen auf taube Ohren.

Erst Jahrzehnte später – das Elektronenmikroskop war in der Zwischenzeit erfunden worden – konnte das Virus zweifelsfrei nachgewiesen werden. Im Alter von 85 Jahren erhielt Rous mit dem Nobelpreis des Jahres 1966 eine späte Anerkennung seiner Arbeiten.

Natürlich war man nicht damit zufrieden, nur zu wissen, dass Viren Tumoren hervorrufen können. Wie genau erreicht das Virus die drastischen Änderung in Form und Eigenschaften der befallenen Zellen? Die Beantwortung dieser Frage wurde erheblich erleichtert, als man fand, dass bestimmte Tumorviren, die sogenannten Retroviren, in Gewebekulturen Veränderungen an lebenden Zellen hervorrufen können, die denen in Tumorzellen ähneln. Als die moderne Biologie das Zerlegen der Erbsubstanz in kleinere Abschnitte ermöglichte, konnte man fragen, welcher Teil des Virus für die krebsartigen Veränderungen der Wirtszellen verantwortlich war.

[ad name=“Google Banner“]

Beim Rous-Sarkoma Virus entdeckte Steven Martin von der Universität Berkeley das erste „Krebsgen“. Viren bestehen im wesentlichen aus einigen wenigen Genen, verpackt in einer Hülle aus Eiweißen. Nach dem Eindringen in ihre Wirtszellen werden gemäß den Anweisungen der  retroviralen Gene Eiweißstoffe produziert, die das Virus zu seiner Vermehrung benötigt. Eine andere Vermehrungsmöglichkeit für diese „Parasiten der Zelle“ besteht darin, das Erbmaterial des Virus in das zelleigene Erbmaterial einzuschmuggeln. Mit jeder Zellteilung wird dann das Virus vermehrt und kann sogar, wenn es sich in einer Keimzelle einnistet, auf die nächste Generation übertragen werden.

Michael Bishop und Harald Varmus haben mit ihren Arbeiten herausgefunden, woher Retroviren wie das Rous-Sarkoma Virus ihre krebserregenden Gene haben. 1972 überprüften Bishop und Varmus mit Dominique Stehelin, die „Krebsgen-Hypothese“, die am Nationalen Krebsinstitut (NCI) aufgestellt worden war. Dort hatten Robert Huebner und George Todaro vermutet, dass die Krebsgene der untersuchten Viren zum genetischen „Gepäck“ aller Zellen gehören. Bei einer Virusinfektion, die weit in der Evolution zurückläge, hätten die Viren Kopien normaler zellulärer Gene „aufgepickt“.

Wenn diese Überlegung richtig ist, so dachten die Nobelpreisträger, müsste sich das „Krebsgen“ des Rous-Sarkoma Virus auch in normalen Zellen nachweisen lassen. Dieses Unternehmen allerdings glich der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Die Zellen von Wirbeltieren enthalten nämlich – anders als die untersuchten Viren – zehntausende verschiedener Gene. Stehelin war es, der eine Gen-Sonde herstellte, mit der sich das gesuchte Gen aus der großen Menge des restlichen Erbmaterials herausfischen ließ.

Er machte sich dabei die Tatsache zunutze, dass das Erbmaterial (DNA) in Form eines Doppelstranges vorliegt, dessen Hälften zueinander passen wie Schlüssel und Schloss. Nach dem Mischen der viralen Genkopie mit den Hälften des Doppelstranges findet das Krebsgen sein zelluläres Gegenstück und lagert sich an dieses an. Eine radioaktive Markierung der Gensonde erlaubte es den Forschern, diesen Vorgang zu beobachten. Der Beweis, das es in normalen Zellen Gene gab, die mit dem Krebsgen verwandt waren, war damit erbracht.

[ad name=“Google Banner“]

1976 zogen dann Bishop, Varmus und Stehelin die Schlussfolgerung, dass das Onkogen im Virus kein wirkliches Virusgen ist, sondern ein normales Zellgen, welches das Virus in der Wirtszelle aufgegriffen und weitergeführt hat. Dies warf aber die Frage auf, warum dann nicht alle „normalen“ Zellen zu Tumorzellen werden. Hierauf fand man gleich zwei Antworten. Die viralen Krebsgene unterscheiden sich meistens nämlich doch von ihren zellulären Vorläufern, nur sind die Unterschiede so gering, dass sie erst nach einer sehr genauen Untersuchung des jeweiligen Erbmaterials zu Tage treten. Man kennt heute Dutzende von Onkogenen, zusammen mit den Eiweißstoffen (Proteine) die gemäß dieser Bauanleitungen in den Zellen gefertigt werden.

Bei den Hunderten von Bausteinen dieser Proteine kann ein einziger Austausch genügen, um die Eigenschaften des Proteins völlig zu verändern Die Kontrolle über Zellwachstum und Zellteilung geht verloren; ein Krebsgeschwür kann entstehen.

Als zweite Möglichkeit kann ein Virus, das Teile seines Erbmaterial in das „gesunde“ Erbmaterial einführt, auch die Regulation in der Zelle durcheinander bringen. Wird die Anzahl der gefertigten Moleküle dagegen von einem Virus bestimmt, kann es leicht zur Überproduktion mancher Stoffe kommen, ebenfalls mit fatalen Folgen.

Mittlerweile hat Stehelin die Auszeichnung seiner US-Kollegen als „sehr ungerecht“ verurteilt. „Ich habe die Arbeit ganz allein gemacht, von A bis Z“, äußerte der Franzose, der als Erstautor in dem Artikel geführt wird, mit dem die Ergebnisse des Teams 1976 erstmalig publik gemacht wurden.

(überarbeitete Fassung meines Artikel in der WELT vom 10. Oktober 1989)

Guter Start für den Technologiepark Heidelberg

Der „schnelle Transfer innovativen Wissens zu modernsten Produktionsmethoden“ wurde von Ministerpräsident Lothar Späth als eines der Hauptziele bei der Gründung des Technologieparks Heidelberg im November 1985 beschrieben: Anwendungsorientierte Forschung zum Wohle von Wirtschaft und Wissenschaft. Erste Früchte hat dieses Projekt bereits getragen. Die Wahl des Standortes Heidelberg mit seiner Vielzahl an internationalen Forschungsinstituten und der ältesten Universität auf deutschem Boden hat Manager und Wissenschaftler beflügelt.

Rund 180 Arbeitsplätze haben die Firmen geschaffen, die sich am Rande des Universitätsgeländes niedergelassen haben. Doch der Geschäftsführer der Technologiepark Heidelberg GmbH, Karsten Schröder, kann einen weiteren Erfolg vorweisen. Da die Forschung auch schon erste Früchte trägt, wurde zusätzlich ein „Produktionspark“ erschlossen, in dem ebenfalls mehr als 150 Angestellte arbeiten.

Die Stadt Heidelberg betreibt, so Schröder, keine direkte Firmenförderung, stellt aber Räume bereit, hilft beim Überwinden bürokratischer Hürden und vermittelt Kontakte nach außen. Geht alles nach Plan, wird der zweite Bauabschnitt gegen Ende 1990 fertig gestellt.

Ein Mann der ersten Stunde ist Professor Christian Birr, der mit der Gründung seiner Firma Orpegen im Herbst 1982 der Eröffnung des Technologieparks um Jahre zuvorkam. Birr ist ehemaliger Angehöriger des Max-Planck-Institutes für medizinische Forschung, von dem er sich Ende 1983 trennte. Die Patentrechte, die er während seiner Karriere als Forscher erwarb, bilden einen wichtigen Teil des Know-hows, auf dem der Erfolg der Biotechnologie-Firma ruht.

Die Firma Heidelberg Instruments überträgt Erkenntnisse, die am Institut für angewandte Physik der Universität gewonnen wurden, in die Praxis. Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit: der erste Laseraugentomograph, mit dem Schnittbilder des menschlichen Auges erzeugt werden können.

Prominentes Gesicht: Auch Peter Gruss, langjähriger Präsident der Max-Planck-Gesellschaft war Unternehmer im Technologiepark Heidelberg (Foto: Axel Griesch via Wikimedia Commons)
Prominentes Gesicht: Auch Peter Gruss, langjähriger Präsident der Max-Planck-Gesellschaft war Unternehmer im Technologiepark Heidelberg (Foto: Axel Griesch via Wikimedia Commons)

Werner Franke, Ekkehard Bautz, Peter Gruß und Günter Hämmerling taten sich 1983 zusammen, um die Progen Biotechnik GmbH zu gründen. Die Wissenschaftler und Professoren der Universität und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) wollten gemeinsam mit industriellen Investoren Reagenzien und Testverfahren für Diagnostik und Therapie entwickeln.

„Biologische Altlastensanierung“ nennt sich ein Verfahren, bei dem Mikroorganismen, die im verseuchten Boden leben, aktiviert werden, um giftige Lösungsmittel und Kohlenwasserstoffe zu beseitigen. Anfang dieser Woche begannen auf dem Gelände der ehemaligen Chemiefabrik Dr. Freund in Sandhausen bei Heidelberg Bohrarbeiten für das bisher größte Projekt dieser Art in Deutschland. Entwickelt wurde das Verfahren unter Förderung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) durch die International Biotechnology Laboratories GmbH (lBL).

Um es den Mikroben zu ermöglichen, die Giftstoffe in unschädliches Kohlendioxid und Wasser zu zerlegen, werden spezielle Nährstoffe in den Boden eingepresst. Wie Karl Massholder mitteilte, werden im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Instituten für Umweltphysik, Mikrobiologie und dem Chemischen Institut weitere 17 Schadensfälle bearbeitet. IBL ist außerdem an der Finanzierung von Doktorarbeiten beteiligt, die zu neuen Lösungen bei Umweltproblemen führen könnten.

(erschienen in der WELT am 6. Oktober 1989)

Schweden – Medizin für alle Welt

Schwedens Arzneimittelhersteller haben Weltruf. Die Arzneimittelexporte lagen 1988 bei 1,8 Milliarden Mark, die Zuwachsrate gegenüber 1987 erreichte 23 Prozent. Zusammen mit der Biotechnologie gehören pharmazeutische Präparate damit zu den expansivsten Teilgebieten innerhalb der Chemiebranche. Die Gewinne werden bemerkenswerterweise zum größten Teil außerhalb Schwedens erwirtschaftet. Vor allem die Bundesrepublik bildet hier einen wichtigen Markt und ist gleichzeitig Sitz verschiedener Tochterunternehmen der Schweden.

Flagge SchwedenEine Belegschaft von fast 7000 Angestellten macht die Astra AB mit ihren Tochtergesellschaften Draco und Hässle zum größten Pharmakonzern Skandinaviens. Die Gesamteinnahmen im abgelaufenen Geschäftsjahr betrugen über zwei Milliarden Mark. Dabei setzt die Astra offensichtlich stark auf Forschung und Entwicklung neuer Produkte. Jeder vierte Mitarbeiter ist auf diesem Sektor tätig, die Kosten hierfür beliefen sich 1988 auf rund 400 Millionen Mark.

Medikamente zur Behandlung von Herz- und Kreislaufkrankheiten (Seloken®) und gegen Atemwegserkrankungen sowie Lokalbetäubungsmittel (Xylocain®, Scandicain®) machen den größten Teil der Einkünfte des Konzerns aus, die zu 82 Prozent von außerhalb Schwedens stammen. Hauptabnehmer ist die Bundesrepublik Deutschland, gefolgt von Schweden, Japan und den USA.
Die in Uppsala beheimatete Pharmacia steht, was Umsatz und Zahl der Mitarbeiter angeht, nach der Astra an zweiter Stelle. 5700 Angestellte erwirtschafteten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 1,2 Milliarden Mark; der Forschungsetat betrug über 300 Millionen. Hauptanteilseigner ist der Volvo-Konzern, der 29 Prozent der Aktien hält und zu 46 Prozent stimmberechtigt ist.
Nach dem Erwerb der Firmen Leo, Ferrosan und LKD im Jahr 1986 hat das Unternehmen jetzt eine Produktpalette, die von Therapeutika über ophthalmologische und diagnostische Erzeugnisse bis zur Biotechnologie reicht. In diesen Sektor fallen auch die Aufreinigung von Eiweißstoffen und Zellkultursysteme.

[ad name=“Google Banner“]

Eine Tochtergesellschaft der Staatsholding Procordia ist die Kabi Vitrum AB. Die Kabi gehört zu den führenden Unternehmen bei der Infusionstherapie und der klinischen Ernährung. Medikamente. die injiziert werden, bilden ebenfalls einen wichtigen Sektor der Firma. Mit rund 3600 Angestellten wurde 1988 ein Verkaufserlös von umgerechnet über einer Milliarde Mark erzielt. Rund 150 Millionen flossen in die Erforschung und Entwicklung neuer Produkte.

Kabi vertreibt mehrere Substanzen zur Auflösung von Blutgerinnseln und zur Hemmung der Blutgerinnung. Hierher gehört der aus Bakterien gewonnene Eiweißstoff Streptokinase ebenso wie der komplexe Zucker Heparin. Bahnbrechend war die weltweit erstmalige Produktion eines menschlichen Wachstumshormons mit Hilfe der Gentechnik. Zuvor musste das Hormon aus den Hirnanhangdrüsen Verstorbener Spender gewonnen werden, wobei es in seltenen Fällen zu tödlich verlaufenen Viruserkrankungen kam. Durch die Fusion mit der 700 Mann starken Pharmazeutikfirma Pfrimmer in Erlangen avancierte der schwedische Pharmariese auch in der Bundesrepublik in den Kreis der wichtigsten Unternehmen auf dem Krankenhaussektor.

(erschienen in der WELT am 3. Oktober 1989)

Immuntherapie – Schützenhilfe durch körpereigene Kräfte

Krebstherapien, die das menschliche Immunsystem aktivieren sollen, haben in klinischen Versuchen erste Erfolge vorzuweisen. Sollten sich die Ergebnisse, die amerikanische Wissenschaftler jetzt vorgelegt haben, bestätigen, wäre dies ein Silberstreif am Horizont für Patienten, die unter Krebs im fortgeschrittenen Stadium leiden.

Die Forscher selbst warnen jedoch vor übertriebenen Hoffnungen, besonders angesichts der Tatsache, dass diese Richtung der Krebsforschung bisher zu zahlreichen Fehlschlägen geführt hat. Bereits seit zwanzig Jahren bemüht man sich, körpereigene Abwehrmechanismen zu stärken, die Krebszellen erkennen und ausschalten können. Wie Jean-Claude Bystryn vom Medical Center der Universität New York erklärt, hängt das Wachstum eines Krebsgeschwürs nicht alleine von dem Krebs selbst ab, sondern auch davon, ob und wie der Körper auf diese Fehlfunktion reagiert.

Die neuen Therapien zeigen erste Erfolge bei so schwierig zu handhabenden Leiden wie dem bösartigen Hautkrebs (Melanom) sowie dem Krebs des Darms und der Nieren. Während alte Behandlungsversuche sich mit der unspezifischen Anregung des Immunsystems versuchten – etwa durch Injektion des Bazillus Calmette-Guerrin (BCG), wird heute ein neuer Ansatz erprobt.

Die Tumorzellen selbst sind es, die dem Patienten bei einer Operation entnommen werden. Sie dienen dann – durch Strahlung abgetötet und mit BCG vermischt – der Aktivierung bestimmter Zellen des Immunsystems. In Verbindung mit BCG oder anderen Immunstimulantien werden die weißen Blutkörperchen (Lymphozyten) dann in die Lage versetzt, auch solche Tumorzellen zu erkennen und anzugreifen, die sie bis dahin „übersehen“ haben. Eine andere Methode erprobt Professor Volker Schirrmacher am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Durch Infektion mit Viren sollen Tumorzellen für das Immunsystem sichtbar werden.

[ad name=“Google Banner“]

Michael Hanna, der einen dieser Impfstoffe entwickelt hat, äußerte gegenüber dem Wissenschaftsmagazin „Science“, dass die Anzahl der Rückfälle nach der chirurgischen Entfernung eines Darmkrebses um mehr als die Hälfte verringert werden konnte. Bisher stand man der Metastasenbildung nach derartigen Eingriffen eher hilflos gegenüber. „Ich glaube, das ist sehr dramatisch“, sagte der Forscher, der seine gegenwärtigen Erfolge zum großen Teil auf Tierversuche an Meerschweinchen zurückführt. Dort gelang es schon Anfang der siebziger Jahre, Tumoren durch Injektion von BCG zu bekämpfen.

Obwohl die neuen Impfstoffe offensichtlich die Bildung von Tochtergeschwülsten verhindern können, ist noch nicht genug Zeit für ein endgültiges Urteil verstrichen. Erst wenn sich die 5-Jahres-Überlebensrate der Patienten verbessert, kann man wirklich von einem Erfolg sprechen.

Auch die „Krebsimpfstoffe“ haben jedoch ihre Nachteile. Um Tumorzellen aus einer bösartigen Geschwulst des Patienten zu gewinnen, ist immer ein operativer Eingriff erforderlich. Weil sich das Immunsystem nach einer solchen Operation erst einmal „erholen“ muss, kann die erste Injektion frühestens drei Wochen nach diesem Eingriff gegeben werden.

In der Zwischenzeit müssen die Zellen konserviert werden – eine Aufgabe, für die die meisten Chirurgen nicht vorbereitet sind. Beim Melanom besteht ein weiteres Problem darin, dass die primären Tumoren, aus denen die Krebszellen isoliert werden müssen, oft zu klein sind, um die erforderliche Anzahl an Zellen bereitzustellen.

Trotz aller Bedenken sind die Forscher optimistisch. Nach über zwei Jahrzehnten erfolgloser Anläufe, stehen die Chancen, doch noch eine Immuntherapie gegen den Krebs zu entwickeln, heute nicht mehr ganz so schlecht.

(erschienen in der WELT vom 16. September 1989)

59-info@2x

Was ist daraus geworden? Langsam, aber sicher sind die Forscher voran gekommen bei der Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs. Inzwischen gibt es tatsächlich eine Impfung, die Gebärmutterhalskrebs verhindern kann, und die ersten gentechnisch hergestellten Antikörper sind im Einsatz in der Klinik. Die Wikipedia widmet dem Thema einen sehr ausführlichen Beitrag und auch ich bleibe an dem Thema dran – versprochen.

Zystische Fibrose – Die Folge von drei fehlenden Bausteinen

Das Gen, welches für die häufigste angeborene Stoffwechselkrankheit verantwortlich ist, wurde jetzt von amerikanischen und kanadischen Forschern lokalisiert. Von der Mukoviszidose (oder Zystische Fibrose, ZF) ist in der Bundesrepublik etwa jedes zweitausendste Neugeborene betroffen. Die meisten Patienten sterben noch vor dem Erreichen des 30. Lebensjahres. Die Betroffenen leiden unter einem stark verdickten Schleim, besonders in den Lungen, der sie für Infektionen überaus anfällig macht. Die daraus resultierende Zerstörung des Lungengewebes ist es, die dann meist zum Tode führt.

Die Entdeckung des ZF-Gens kann die Diagnose der Krankheit – auch vor der Geburt – entscheidend verbessern. Dies könnte die Anzahl an Neuerkrankungen deutlich verringern. Etwa jeder zwanzigste ist Träger eines defekten Mukoviszidose-Gens, ohne selbst an der Krankheit zu leiden. Die gemeinsamen Kinder zweier Träger jedoch sind in einem Viertel aller Fälle betroffen. Die Anzahl der ZF-Patienten wird in der Bundesrepublik auf etwa 2500 bis 4000 geschätzt. Dazu kommen pro Jahr etwa 300 bis 600 Neuerkrankungen, wie Dr. Doris Staab von der Universitätskinderklinik in Bonn mitteilte.

[ad name=“Google Banner“]

Die Arbeiten, die von Tsui Lap-Chee (Toronto Hospital für kranke Kinder) und Francis Collins (Howard Hughes Medical Institute an der Universität Michigan) geleitet wurden, sind der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen durchaus vergleichbar. Obwohl es sich bei dem gefundenen „molekularen Bauplan“ um ein recht großes Gen handelt, bildet es nur etwa ein zwölftausendstel des gesamten menschlichen Erbgutes. 250000 Bausteine bilden das gesamte ZF-Gen. 24 kürzere Abschnitte müssen zunächst von der zellulären Maschinerie in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt werden, bevor die Eiweißfabriken der Zelle, die Ribosomen, nach dieser Anleitung den korrespondierenden Eiweißstoff herstellen können. Wie sich bei näherer Untersuchung des CF-Gens herausstellte, fehlen bei 70 Prozent der Mukoviszidosepatienten ganze drei der Viertelmillion Bausteine. Die Arbeit der Wissenschaftler wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass über das Eiweißprodukt (Protein), welches nach diesem Bauplan angefertigt wird, bis dato nur Spekulationen kursierten.

Seit 30 Jahren versteht man es, die Sprache der Gene in die Sprache der Eiweiße zu übersetzen. Man weiß daher, dass den drei fehlenden Bausteinen im Erbmaterial (der DNA) ein fehlender Baustein im resultierenden Protein entsprechen muss. Darüber hinaus erlauben es die Gesetzmäßigkeiten, die sich bei der Vielzahl derartiger Vergleiche ergeben haben, Aussagen über die Eigenschaften dieses Eiweißstoffes zu machen.

Vom Gen zum defekten Protein: SO entsteht das CF-Eiweiß (von Kuebi = Armin Kübelbeck [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons)
Vom Gen zum defekten Protein: So entsteht das CF-Eiweiß (von Kuebi = Armin Kübelbeck [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons)

Demnach steckt das ZF-Protein in der Zellhülle und bildet einen Kanal, durch den Chloridionen aus dem Zellinneren heraustransportiert werden. Offensichtlich lässt sich das defekte Protein nicht mehr regulieren, weil eine wichtige Region des Proteins, an der normalerweise Adenosintriphosphat (ATP) gebunden wird, zerstört wird. ATP stellt die Energie für viele zelluläre Funktionen zur Verfügung. Diese Erkenntnisse begründen die Hoffnung, jetzt gezielt Medikamente gegen die grausame Krankheit entwickeln zu können.

Die Suche nach dem ZF-Gen war von einem starken Konkurrenzdenken angetrieben worden, häufig kam es zu Streitigkeiten zwischen den Forscherteams, die sich an diesem Wettlauf beteiligt hatten. Abgesehen davon, dass die Sieger in diesem Wettstreit mit einer großzügigen finanziellen Unterstützung weiterer Forschungsvorhaben rechnen können, sind große Profite aus der Vermarktung der gewonnen Erkenntnisse zu erwarten: Es eröffnet sich jetzt die Möglichkeit, Reihenuntersuchungen durchzuführen, mit denen die Träger defekter ZF-Gene identifiziert werden könnten. Die Kosten hierfür würden sich jährlich auf mehrere hundert Millionen Mark belaufen.

(erschienen in der WELT am 11. September 1989)

Wa59-info@2xs ist daraus geworden? Inzwischen kennt man fast 2000 (!) Mutationen, die eine Mukoviszidose verursachen können. Es gibt es die ersten spezifischen Medikamente und die Lebenserwartung der Patienten ist weiter angestiegen. Ein Test für Neugeborene, der in vielen Ländern bereits Standard ist, wird in Deutschland aber nur bei 15 Prozent aller Babies angewandt. Auch deshalb werden mehr als 40 Prozent aller Betroffenen im ersten Lebensjahr noch nicht erkannt.

Polio – Die Ausrottung bleibt ein Traum

In vielen Entwicklungsländern fordert die Kinderlähmung (Poliomyelitis) auch heute noch ihre Opfer. Schätzungen über die Zahl derjenigen, die von dieser Viruskrankheit betroffen sind, schwanken zwischen 250000 und zwei Millionen Menschen.

In den industrialisierten Ländern dagegen, wo schon seit Ende der fünfziger Jahre umfassende Impfprogramme zum Schutz der Bevölkerung‘ eingeführt wurden, tritt die grausame Krankheit nur noch sehr selten auf. Nach Angaben des Berliner Bundesgesundheitsamtes (BGA) sowie des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden erkrankte im letzten Jahr in der Bundesrepublik nur noch eine einzige Person an der Poliomyelitis. Auch für die Jahre davor lässt sich die Zahl derjenigen, die nach einer Infektion mit dem Virus erkrankten, an zwei Händen abzählen.

Wie Dr. Klaus-Dieter Zastrow vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie des BGA betonte, handelte es sich dabei ausschließlich um eingeschleppte Fälle: Die Betroffenen hatten sich jeweils während eines Auslandaufenthaltes infiziert. Auch diese Ansteckungen hätten sich wohl zum größten Teil vermeiden lassen, wenn die Reisenden rechtzeitig an einer Auffrischungsimpfung teilgenommen hätten. Zumeist waren die Betroffenen nämlich noch nie geimpft worden; in anderen Fällen lag die Impfung schon mehr als 20 Jahre zurück. Die Mediziner warnen daher vor einer völlig unberechtigten Impfmüdigkeit in der Bevölkerung.

Prominentes Opfer: Der US-Präsident Franklin Roosevelt wurde 1921 ein Opfer der Poliomyelitis und war seitdem von der Hüfte ab weitgehend gelähmt (Foto: Margaret Suckley via Wikimedia Commons)
Prominentes Opfer: Der US-Präsident Franklin Roosevelt erkrankte 1921 an der Poliomyelitis und war seitdem von der Hüfte ab weitgehend gelähmt (Foto: Margaret Suckley via Wikimedia Commons)

Selten wurde eine schwere Krankheit so schnell unter Kontrolle gebracht wie die Kinderlähmung in Nordamerika und Europa nach Einführung des ersten Impfstoffes. Zahlen für die USA belegen den drastischen Rückgang der Infektionen: Fast 40000 Erkrankungen pro Jahr lautete die Bilanz, als 1954 eine landesweite Kampagne gestartet wurde, in der eine von Dr. Jonas Salk entwickelte Vakzine aus abgetöteten Krankheitserregern zum ersten Mal zum Einsatz kam. Wenige Jahre später war die Anzahl der Kinderlähmungen schon auf unter 600 Fälle gesunken.

Nachdem Albert Sabin Anfang der sechziger Jahre einen Impfstoff aus abgeschwächten lebenden Polioviren entwickelt hatte, ging die Zahl der Kinderlähmungen in den USA nochmals zurück – auf mittlerweile kaum mehr als ein Dutzend Erkrankungen pro Jahr.

Das ursprüngliche „wild type“-Virus war von Sabin und seinen Kollegen so lange in Zellkulturen gehalten worden, bis sich schließlich eine Variante isolieren ließ, die zwar die fatale Krankheit nicht mehr hervorrief, die das Immunsystem aber noch in vollem Umfang stimulierte. Dieser „Sabin“-Impfstoff zählt heute zu den sichersten Vakzinen überhaupt und wurde von der Bevölkerung bislang voll akzeptiert. Dazu trug sicher auch die einfache und schmerzlose Art der „süßen“ Schluckimpfung bei.

In extrem seltenen Fällen – etwa bei einer unter drei Millionen Impfungen – treten jedoch Komplikationen auf, die unter anderem dadurch zustande kommen, dass die – lebenden – Viren durch spontane Genveränderungen ihre krankmachende Eigenschaft zurückgewinnen. Auch Geimpfte können dann unter Umständen an der Kinderlähmung erkranken. Mit gentechnischen Tricks „umgebaute“ Polioviren sollen in Zukunft dazu beitragen, das Impfrisiko noch einmal zu senken.

[ad name=“Google Banner“]

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist von der Wirksamkeit der Poliomyelitis-Impfung so überzeugt, dass sie 1976 ein Programm startete, das sich neben anderen Krankheiten auch die Ausrottung der Kinderlähmung bis zum Jahre 1990 zum Ziel gesetzt hatte. Leider wurde der schöne Traum, Krankheiten weltweit auszurotten, bisher nur für die Pocken verwirklicht. Im Falle der Poliomyelitis stehen dem jedoch die mangelhaften hygienischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern entgegen: Das Virus wird nämlich häufig durch Fäkalien übertragen, die ins Trinkwasser gelangen.

Der Lebendimpfstoff muss auch dort versagen, wo Durchfall (Diarrhö) eine weitverbreitete Erscheinung ist. In Indien sind etwa 30 Prozent der Neuerkrankungen darauf zurückzuführen, dass die Impfviren, die den Schutz vermitteln sollen, ausgeschieden werden, bevor sie sich im Darm ansiedeln können. Es wird daher auch die Frage diskutiert, ob sich für diese Länder nicht die gute alte – inzwischen mehrfach verbesserte – Vakzine aus abgetöteten Erregern besser eignet, die mittels Spritzen injiziert wird.

Für die Bundesrepublik jedoch halten es Fachleute wie Dr. Horst- Günther Weber, Medizinischer Direktor des Gesundheitsamtes Hannover, für erforderlich, die gegenwärtige Praxis der Poliomyelitis-Schluckimpfung beizubehalten. Diese solle auch weiterhin vom öffentlichen Gesundheitsdienst und niedergelassenen Ärzten gleichermaßen angeboten werden, betont der Experte in einem Beitrag für die Zeitschrift „Sozialpädiatrie“.

Wiederholungsimpfungen sollten im Abstand von etwa zehn Jahren durchgeführt werden, um einen hohen Durchimpfungsgrad zu gewährleisten. Die einstmals gefürchtete Kinderlähmung kann so auch weiterhin in Schach gehalten werden.

(erschienen in der WELT am 26. August 1989)

Was ist daraus geworden? N59-info@2xoch immer ist die Kinderlähmung nicht ausgerottet. Seit dem Erscheinen meines Artikels ist die Zahl der Fälle zwar weltweit um 99 % gesunken, und die letzte Ansteckung in Deutschland gab es im Jahr 1990. Zu oft wurden jedoch Impfkampagnen durch Kriege und neuerdings auch religiöse Fanatiker verhindert oder abgebrochen.

Forschung betreibt vor allem die deutsche Industrie

Rund eine Milliarde Mark werden in der Bundesrepublik jährlich für die Krebsforschung aufgebracht. Bei dieser Summe handelt es sich um eine grobe Annäherung, da offizielle Zahlenangaben nicht erhältlich sind. Das liegt nicht etwa daran, dass man Zahlen für die Krebsforschung hierzulande nicht veröffentlichen will.

Vielmehr lässt sich bei einem Großteil aller Forschungsgelder nicht von vornherein sagen, zu welchen praktischen Anwendungen sie später führen werden. Das betrifft besonders die Grundlagenforschung: So kommen zum Beispiel Fortschritte auf dem Gebiet der Molekularbiologie außer der Krebsforschung unter anderem auch der Herz-Kreislauf-Forschung sowie der Arzneimittel- und Impfstoffherstellung zugute.

Mit einer Milliarde Mark aber fließt in die Krebsforschung weniger als ein Fünfzigstel dessen, was Wirtschaft, Bund und Länder insgesamt für Forschung und Entwicklung ausgeben. Die Bundesregierung finanziert Krebsforschung im weitesten Sinne mit über 250 Millionen Mark, die vornehmlich über das Bundesforschungsministerium verteilt werden.

Die größten Summen werden allerdings von der Industrie ausgegeben. Allein die deutschen Pharmakonzerne lassen sich in diesem Jahr die Erforschung von Medikamenten zur Krebsbehandlung 400 Millionen Mark kosten. Hier geht es vor allem um die Verbesserung und Neuentwicklung von Wirkstoffen zur Hemmung des Zellwachstums (Zytostatika). Auch Substanzen, die an der Regulation des Immunsystems beteiligt sind, und solche mit hormonartiger Wirkung werden untersucht.

[ad name=“Google Banner“]

Andere Wirtschaftsbereiche forschen kräftig mit. So war vom Elektroriesen Siemens zu erfahren, dass die Neu- und Weiterentwicklung von Geräten, die vorwiegend in der Krebserkennung und -behandlung eingesetzt werden, jährlich zwischen 150 und 200 Millionen Mark verschlingt. Es handelt sich hier um Computertomographen, Mammographiegeräte sowie Systeme für Strahlentherapie und Ultraschalldiagnose.

Der Bund fördert vor allem die Grundlagenforschung: Von der Biotechnologie erwarte man sich entscheidende Hilfen für die menschliche Gesundheit. Besonders gelte dies für die weitere Aufklärung der Tumorentstehung und der Struktur-Funktionsbeziehungen in der Immunologie und Virologie, heißt es im Bundesbericht Forschung 1988.

Der größte Posten staatlicher Förderung entfällt dabei auf das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, eine der 13 Großforschungseinrichtungen des Bundes. Die Arbeit der 1200 Forscher wird im laufenden Jahr 119 Millionen Mark kosten. Es folgt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit über 35 Millionen Mark sowie die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) in Neuherberg bei München, die 22,5 Millionen für die Krebsforschung ausgibt.

Der Beitrag gemeinnütziger Vereine, die ihre Mittel aus Spenden beziehen, darf nicht unterschätzt werden. Sie springen vor allem dort in die Bresche, wo eine schnelle und unbürokratische Hilfe nötig ist. Hier ist zum Beispiel der Verein zur Förderung der Krebsforschung in Deutschland zu nennen, der 1958 gegründet wurde mit dem primären Ziel, an der Universität Heidelberg ein Krebsforschungszentrum zu errichten. Aus Spendenmitteln wurde die Betriebsstufe I des Institutes finanziert, das später zur größten Forschungseinrichtung auf diesem Gebiet in der ganzen Bundesrepublik avancierte – dem DKFZ. Dieser Initialzündung sind mittlerweile mehr als eine halbe Milliarde Mark gefolgt.

Die klinische Versorgung von Krebspatienten lässt in Deutschland nach Angaben von Experten noch manche Wünsche offen. Obwohl seit 1981 der Auf- und Ausbau von Tumorzentren und onkologischen Schwerpunkten gefördert wurde, sind personelle und sachliche Mittel weiterhin knapp. Über 20 Tumorzentren – sie sind meist den Universitäten angeschlossen – gibt es mittlerweile in der Bundesrepublik. Dennoch findet längst nicht jeder Krebspatient ein Bett in einer dieser spezialisierten Kliniken, wie Dr. Volker Budach vom Westdeutschen Tumorzentrum in Essen beklagte.

[ad name=“Google Banner“]

Die Kapazitäten der Universitäten würden von Problemfällen voll in Anspruch genommen; hier suchten vor allem Patienten mit Rückfällen (Rezidiven) Rat, deren Erstbehandlung in anderen Krankenhäusern oder durch den Hausarzt erfolgte. „Die Finanzierung reicht hinten und vorne nicht“, meinte der Oberarzt im Gespräch mit der WELT.

Ohne die finanzielle Unterstützung aus Drittmitteln wie DFG und Deutsche Krebshilfe wäre nicht einmal die klinische Routine möglich. Gerade die medizinische Versorgung von Tumorpatienten erfordere nämlich einen immensen Aufwand an Personal und Sachmitteln, der dem einer Intensivstation durchaus vergleichbar sei.

Lücken in der Patientenversorgung versuchen zahlreiche Gesellschaften, Organisationen und Selbsthilfegruppen zu schließen, die sich um direkte Hilfe für Tumorpatienten bemühen. Die Deutsche Krebshilfe – mittlerweile eine der größten Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik – führt ihren Kampf gegen den Krebs unter bewusstem Verzicht auf die Inanspruchnahme staatlicher Subventionen. Im vorigen Jahr setzte der Verein über 50 Millionen Mark an Spendengeldern ein.

Neben umfangreichen Forschungsprojekten ist die Organisation auf vielen anderen Gebieten tätig: Selbsthilfegruppen, alternativen Möglichkeiten der Krebsbekämpfung, Schmerztherapie. Es gibt kaum ein Gebiet, das von dem Verein nicht gefördert wird. Hilfe für den Betroffenen soll durch Information und Aufklärungsprogramme über die Bedeutung von Früherkennung und Prävention geleistet werden. Dazu bietet der Verein eine Vielzahl von Broschüren an, die für jedermann kostenlos erhältlich sind.

Eine weitere wichtige Einrichtung für Kranke und deren Angehörige ist der Krebsinformationsdienst (KID), eine telefonische Auskunftsstelle am DKFZ, die vom Bundesgesundheitsamt dieses Jahr noch mit 550 000 Mark unterstützt wird. Unter der Telefonnummer 0800 – 420 30 40 geben Experten dort werktags von sieben bis 20 Uhr Auskunft über Adressen, Therapien, Nachsorge, Prävention und Diagnostik sowie staatliche und karitative Hilfe. Mittlerweile ist es zu bestimmten Zeiten sogar möglich, die Informationen in türkischer Sprache zu erhalten. Ein fachübergreifendes Team tritt in Aktion, wenn die Anfragen nicht spontan beantwortet werden können.

(erschienen in der WELT am 21. August 1989)

59-info@2x Was ist daraus geworden? Der obige Artikel war damals schwer zu recherchieren, weil es keine Statistik gibt, die Forschungsausgaben für ganz Deutschland nach Sachgebieten auflistet! Sicher scheint nur, dass die staatliche Förderung im Vergleich zu den USA beschämend niedrig ist. Und dass die jährlichen Einnahmen aus der Tabaksteuer (zuletzt ca. 14 Milliarden Euro) die Forschungsausgaben um ein Vielfaches übertreffen. Selbst der Krebsinformationsdienst – sicher eine der besten Einrichtungen auf diesem Gebiet – hatte zwischendurch Finanzierungsprobleme, die jetzt aber behoben sind. Und aus Dr. Budach ist Prof. Budach geworden 😉