Keuchhusten – Gefährliche Angst vor der Impfung

Jedes Jahr sterben in Deutschland bis zu 100 Kinder und Säuglinge an Keuchhusten. Sie sterben umsonst, denn schon heute gibt es einen Impfstoff, der vor dem Erreger der Krankheit, dem Bakterium Bordetella pertussis schützt. „Die Todesrate wird auf Null, maximal aber zwei oder drei Kinder sinken, wenn eine flächendeckende Impfung in Deutschland Realität wird“, erklärte der an der Mainzer Universitätsklinik tätige Kinderarzt Heinz-J. Schmitt.

Die kühne Prognose wird gestützt durch einen Blick ins benachbarte Ausland: In Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und  Großbritanien wo zwischen 90 und 98 Prozent der Bevölkerung geimpft wurden, sind die jährlichen Todesfälle an einer Hand abzuzählen. Auch in der ehemaligen DDR, wo bis zum Mauerfall nur wenige Risikogruppen von der Impfpflicht ausgenommen waren, hatte man die Gefahr durch die bodenlebenden Bakterien gebannt.

Selbst in vielen afrikanischen und südamerikanischen Entwicklungländern sind die Menschen besser geschützt als in der drittmächtigsten Wirtschaftsnation der Welt. Hier steht jeder dritte Einwohner der äußerst ansteckenden Krankheit schutzlos gegenüber.

Eine Erklärung für diese erschreckenden Zustände lieferten Mediziner, Mikrobiologen und Impfstoffhersteller am vergangenen Wochenende auf einem Presse-Workshop der Firma SmithKline Beecham in Salzburg: Alarmiert von Meldungen über schwere Nebenwirkungen der Keuchhusten-Impfung hatte die Ständige Impfkommission (Stiko) des Berliner Bundesgesundheitsamtes 1975 ihre Empfehlung zurückgezogen, alle Kinder und Jugendlichen nicht nur gegen Diphterie und Tetanus, sondern gleichzeitig auch gegen Keuchhusten impfen zu lassen.

Drei wissenschaftliche Publikation hatten unabhängig voneinander den Schluß nahegelegt, daß maximal eines unter 20000 Kindern nach der Dreifach-impfung bleibende Hirnschäden entwickeln könnte „Für eine vorbeugende Maßnahme erschien mir das zuviel“ erklärte jetzt das Stiko-Mitglied Heinz Spiess von der Kinderpoliklinik München. Ohne die „öffentliche Empfehlung“ aber verlieren Geschädigte im Falle eines nachgewiesenen Impfschadens ihren Versorgungsanspruch gegenüber dem Staat. Mit entsprechender Zurückhaltung reagierten denn auch die Kinderärzte.

Erst 1990 stand für die Stiko unumstößlich fest, daß die beobachteten Hirnschäden mit der Impfung nichts zu tun hatten, sondern auf verschiedene Stoffwechselerkrankungen zurückgingen. Seit 1991 wird die Keuchhusten-Impfung wieder für alle Kinder und Säuglinge empfohlen. Die entstandene Impflücke und die Furcht vor etwaigen Nebenwirkungen aber sind geblieben. Die in Salzburg versammelten Experten waren sich darin einig, daß daran nicht nur der falsche Alarm in den siebziger Jahren schuld ist, sondern auch der bisher gebräuchliche Impfstoff selbst.

Dieser besteht nämlich aus kompletten, abgetöteten Bakterien und mehreren Hilfsstoffen, die es dem menschlichen Immunsystem erleichtern sollen, beim „Wiedersehen“ mit lebenden Erregern deren entscheidende Merkmale zu erkennen und sie unschädlich zu machen. Alle Bestandteile zusammen verursachen bei neun von zehn Kindern Schmerzen an der Infektionsstelle und Fieber; Schwellungen und Rötungen werden fast bei fast jedem zweiten Fall beobachtet.

Neben diesen, in geringer Häufigkeit bei allen Impfungen auftretenden Unannehmlichkeiten, kann es in seltenen Fällen auch zu Krämpfen kommen und – für Mütter und Ärzte gleichermaßen irritierend – zu stundenlangem Schreien der Säuglinge. Trotzdem stehen diese und andere extrem seltene Nebenwirkungen in keinem Verhältnis zu den Folgen einer Infektion. Ein bis drei Wochen nachdem sich die Mikroben in den Schleimhäuten der Atemwege festgesetzt haben, führen die abgesonderten Gifte zu staccatoartigen Hustenanfällen mit schwerer Atemnot. Manchmal zwei Monate lang müssen die kleinen Patienten täglich bis zu 30 solcher Anfälle erdulden. Lungenentzündungen, innere Blutungen und eine Vielzahl weiterer Komplikationen führen dann etwa in jedem tausendsten Fall zum Tode.

Da selbst diese Gefahren allzuoft auf die leichte Schulter genommen werden, hofft der Keuchhusten-Experte Schmitt jetzt auf einen verbesserten Impfstoff, der nicht mehr aus ganzen Bakterien sondern nur noch aus drei hochgereinigten Eiweißen besteht. Dieser „azelluläre“ Pertussis-Impfstoff hat, wie Versuche in Japan, Schweden und den USA gezeigt haben, nur einen Bruchteil der Nebenwirkungen im Vergleich zur herkömmlichen Vakzine und schützt mindestens genauso gut.

Die Daten aus einer deutschen Studie, bei der innerhalb der letzten zwei Jahre rund 15000 Säuglinge geimpft wurden, werden Mitte des nächsten Jahres vorliegen und dann, so hofft Schmitt, eine schnelle Zulassung ermöglichen. Blut oder Blutprodukte, so stellte Hugues Bogaerts im Namen der Herstellerfirma klar, seien weder im alten, noch im neuen Impfstoff enthalten.

(erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 16. Dezember 1993)

Quelle: Presse-Workshop Salzburg, 10. – 12.12.1993, besucht auf Einladung der Firma SmithKline Beecham)

Neues vom „Aids-Skandal“

Im Skandal um den Vertrieb von nicht ausreichend auf HIV getestetem Blutplasma sind in den vergangenen Tagen neue Details bekannt geworden. Im Falle der Koblenzer Firma UB Plasma wurden jeweils zwei bis vier Proben von verschiedenen Einzelspendern zusammen getestet, sagte der leitende Oberstaatsanwalt Norbert Weise. Durch dieses Vorgehen sei die Sensitivität des Antikörpertests vermindert worden. „Wir vermuten, daß bei dieser Methode das diagnostische Fenster um etwa sechs Wochen verlängert wird.“

Eine weitere gravierende Verletzung der Vorschriften war das sogenannte „visuelle Testen“, bei dem eine mögliche Verfärbung der Teströhrchen zunächst nur mit dem bloßen Auge abgeschätzt wurde. „Wenn eine Verfärbung sichtbar war, hat man den kompletten Test gemacht; wenn nicht ging man davon aus, daß die Proben HIV-negativ seien“, erklärte Weise. Vorgeschrieben ist dagegen eine exakte maschinelle Bestimmung der optischen Dichte.

Bei den drei bekannt gewordenen Infektionen, die mit Spender Nummer 2505 in Verbindung gebracht wurden, hätten zwei womöglich vermieden werden können, wenn entsprechend den Vorschriften getestet worden wäre, mutmaßte Weise. Das Plasma eines weiteren HIV-positiven Spenders ist vermutlich nie in den Verkehr gelangt. Eine Niederlassung der Koblenzer Firma im rumänischen Bukarest hatte die zugehörige Blutprobe zum Testen nach Deutschland eingeschickt, wobei die Infektion erkannt wurde. Hinweise darauf, daß Plasma dieses Spenders vertrieben wurde, gibt es laut Schmidt bisher nicht.

Mittlerweile wurden von den 24000 sichergestellten Rückstellproben, die eine Überprüfung der ursprünglichen Testergebnisse gestatten, an der Universitätsklinik Mainz gut 10000 untersucht und mit den Eintragungen in den sichergestellten Laborbüchern verglichen. „Bis jetzt stimmen alle Ergebnisse mit denjenigen der Firma überein“, sagte Dr. Franz-Josef Schmidt, leitender Regierungsdirektor im Bezirk Koblenz gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.

Auch dem Testlabor der Firma Haemoplas im niedersächsischen Osterrode wird vorgeworfen, die einschlägigen Vorschriften verletzt zu haben. Laut dem Sprecher im Gesundheitsministerium, Thomas Steg, sind in diesem Fall jedoch keine Rückstellproben vorhanden, die einen Vergleich der Testergebnisse ermöglichen würden. Die „Aufwandsentschädigungen“ in Höhe von etwa 50 Mark pro Spende, die sowohl von UB Plasma als auch von Haemoplas gezahlt wurden, bringen nach Meinung von DRK-Sprecher Fritz Duppe ein erhöhtes Infektionsrisiko mit sich und sollte deshalb abgeschafft werden. Duppe zitierte eine Studie, wonach in Deutschland etwa jeder Hundertausendste unbezahlte Spender HIV-infiziert ist. Bei den bezahlten Spendern seien Infektionen dagegen acht Mal häufiger anzutreffen.

(erschienen im Deutschen Ärzteblatt am 3. Dezember 1993)

Hepatitis C: Die lange Suche nach dem Virus

Während der „Aids-Skandal“ in der vorigen Woche seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte, wurden in Bonn zwei Männer geehrt, die sich abseits der großen Schlagzeilen um die Sicherheit von Blutpräparaten verdient gemacht haben. Daniel Bradley und Michael Houghton gelang es in zwei Jahrzehnten hartnäckiger Detektivarbeit, das Hepatitis C-Virus aufzuspüren – einen Erreger, der ebenso wie das Immunschwächevirus HIV durch Blut und Blutprodukte übertragen werden kann. Für ihre Arbeiten erhielten die beiden Biochemiker jetzt zusammen mit dem Deutschen Hans-Georg Rammensee den mit 100000 Mark dotierten Robert-Koch-Preis, eine der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnungen der Bundesrepublik Deutschland.

Das Hepatitis C-Virus (HCV) ruft bei der Mehrzahl der Infizierten eine langwierige Leberentzündung hervor. Bei jedem Zehnten entwickelt sich eine Zirrhose – eine Krankheit bei der Leberzellen zerstört und die Funktion des Organs gefährdet werden. In einigen wenigen Prozent der Fälle kommt es 15 bis 25 Jahre nach der Infektion sogar zum Leberkrebs.

Diesem Risiko standen Ärzte und Patienten bis vor kurzem noch relativ hilflos gegenüber: Zwar wurden Schutzmaßnahmen und Impfungen gegen das ebenfalls auf dem Blutwege übertragene Hepatitis B-Virus, und das vergleichsweise harmlose, über Fäkalien verbreitete Hepatitis A-Virus schon in den 1970er Jahren entwickelt. Trotzdem kam es auch weiterhin nach Bluttransfusionen zu Hepatitiserkrankungen. Vier Fünftel dieser, per Ausschlußdiagnose als „Nicht-A-Nicht-B-Hepatitis“ (NANBH) benannten Infektionen gingen, wie man heute weiß, auf das Konto von HCV.

In Deutschland ging die Zahl der dem Bundesgesundheitsamt gemeldeten Fälle von 7396 im Jahre 1980 auf 851 im Jahr 1990 drastisch zurück. Einen Beitrag zu diesen Erfolg bildete dabei die immer strengere Auswahl der Blutspender während der sich ausbreitenden Aids-Epidemie. Ein Bluttest, mit dem man die an HCV Erkrankten direkt hätte nachweisen können, stand aber nicht zur Verfügung. Einerseits wurden deshalb viele Infizierte übersehen, andererseits wurden willige Spender unnötigerweise zurückgewiesen.

Die NANBH war zwar als schwerwiegendes Gesundheitsproblem erkannt worden, die Fahndung nach dem Erreger erwies sich jedoch als ebenso frustrierend wie die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Bis zum heutigen Tag ist es auch mit den modernsten Elektronenmikroskopen nicht gelungen, das Virus sichtbar zu machen.

Für Bradley begann die Suche 1977, als wieder einmal eine Lieferserie des hochkonzentrierten Blutgerinnungsfaktor VIII aus dem Verkehr gezogen werden mußte. Zwei Bluterpatienten hatten sich mit NANBH infiziert, was früh genug festgestellt wurde, um den noch nicht verbrauchten Teil der Charge dem Zentrum für Krankheitskontrolle (CDC) im amerikanischen Atlanta zur Verfügung zu stellen. Dort erhielt Bradley den Auftrag, den geheimnisvollen Erreger aus dem Material zu isolieren und dessen Eigenschaften zu ermitteln.

Zwar gelang es, mehrere Schimpansen zu infizieren und krankhafte Veränderungen der Leber festzustellen, ansonsten tappte man aber weiter im Dunkeln. Immerhin konnte man zeigen, daß Blutplasma seine infektiösen Eigenschaften verlor, wenn es mit Chloroform behandelt wurde. Da Chloroform die fetthaltigen Hüllen anderer Viren aufzulösen vermag, schloß Bradley auf ein sehr kleines, umhülltes Virus.

Die typischen Veränderungen in den infizierten Zellen verglich der Amerikaner dann sorgfältig mit dem Krankheitsbild bei zahlreichen anderen Virusinfektionen. Er fand Parallelen zu bestimmten Pflanzen-, Insekten- und Tierviren, die alle eines gemeinsam hatten: Das Erbmaterial bestand aus Ribonukleinsäure (RNS). Ein Großteil der bekannten Virusfamilien, die stattdessen Desoxyribonukleinsäure (DNS) benutzen, wurde deshalb von der weiteren Suche ausgenommen. Schließlich fand Bradley heraus, daß der oder die Erreger der NANBH ein eher kleines Virus sein mußte: Selbst Filter, deren Poren kleiner als ein Zehntausendstel Millimeter war, konnten sie noch passieren.

Die Arbeitsgruppe um Bradley versuchte dann, im Blut infizierter Menschen und Schimpansen Antikörper gegen den großen Unbekannten zu finden. 40000 Versuchsreihen später war klar, daß viel zu wenige Virusbestandteile im Blut waren, um die „Spürhunde“ des Immunsystems in ausreichender Menge zu binden und damit sichtbar zu machen. „Man kann aus Steinen kein Blut pressen“, sagte Bradley jetzt in Bonn mit Rückblick auf die zahlreichen Fehlschläge und Enttäuschungen.

Schließlich setzte er in seinem Labor in Atlanta alles daran, zellfreie Blutflüssigkeit (Plasma) mit möglichst vielen „infektiösen Einheiten“ zu gewinnen. Dahinter stand die Idee, einzelne Abschnitte des Erbmaterials „blind“ zu isolieren und durch molekularbiologische Verfahren zu vermehren. Den Schimpansen „Don“ und „Rodney“ wurde deshalb während ihrer Krankheitsschübe bis zu 11 Jahre lang immer wieder Plasma abgenommen und auf Infektiosität getestet. Die gesammelten Fraktionen höchster Aktivität enthielten schließlich eine Million infektiöser Einheiten je Milliliter.

Um aus den gut drei Litern Flüssigkeit das Erbmaterial des Erregers herauszufischen, bedurfte es der Zusammenarbeit mit einem Spezialisten: Bei der im kalifornischen Emeryville ansässigen Chiron Corporation machte sich der gebürtige Brite Michael Houghton an die Aufgabe, die von seinen immer wieder gescheiterten Kollegen als reine Zeitverschwendung abqualifiziert wurde.

Nach fünf ergebnislosen Jahren verfiel man auf den Trick, alle Nukleinsäuren aus einem Teil des wertvollen Plasmas durch Zentrifugation zu konzentrieren und diese Erbinformationen in sogenannte Expressionsvektoren einzuschleusen. Expressionsvektoren sind gentechnisch hergestellte „Sklavenmoleküle“ aus DNS, deren Aufgabe darin besteht, die in fremden Nukleinsäuren verschlüsselten Botschaften lesbar zu machen.

Verpackt in Expressionsvektoren wurden die Bruchstücke genetischen Materials in Bakterien eingeschleust, welche dann die Übersetzung in zahllose Eiweiße besorgten. Mit Antikörpern aus dem Blut eines NANBH-Patienten gelang es schließlich, unter einer Million Bakterienkolonien eine einzige Kolonie herauszufischen. Sie produzierte relativ große Mengen von einem Eiweiß des gesuchten Parasiten und enthielt folglich zumindest ein Bruchstück von dessen Erbanlagen.

Die fehlenden Teile konnten dann mit Standardmethoden der molekularen Biologie schnell gefunden und zusammengesetzt werden. Man hatte mit der neu entwickelten „Schrotschuß-Technik“ einen unsichtbaren Erreger identifiziert, über dessen Eigenschaften man vorher nur spekulieren konnte. Das Verfahren eignet sich auch zum Aufspüren anderer, noch unbekannter Krankheitserreger.

Aus den viralen Eiweißen, die jetzt in großer Menge hergestellt werden konnten, entwickelte die Firma Chiron einen Bluttest, der 1989 auf den Markt kam. Durch Anwendung dieses Test bei der Auswahl von Blutspendern habe man die Häufigkeit der Posttransfusionshepatitis weltweit um 90 Prozent senken können, verkündete Houghton in Bonn.

Einen perfekten Schutz vor HCV gibt es zwar immer noch nicht, der größte Teil der Infektionen wird aber inzwischen vermieden, wie Gregor Caspari vom Institut für Medizinische Virologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen bestätigte. Mittlerweile ist auch die zweite Generation von Bluttests im Einsatz. Eine großangelegte Untersuchung an 200000 deutschen Blutspendern belegt, daß die unvermeidlichen Lücken weiter geschlossen wurden.

Ein anderes Problem rückt jetzt in den Mittelpunkt des Interesses: HCV ist nämlich auch für viele Leberleiden verantwortlich, die nicht durch Blut oder Blutprodukte übertragen werden – es sind also noch nicht alle Übertragungswege bekannt. Weltweit dürfte HCV eine der wichtigsten Ursachen von Leberkrebs sein, mutmaßte Hoechst-Vorstandschef Wolfgang Hilger in seiner Laudatio bei der Preis-Verleihung. Für Bradley und Houghton ist die Arbeit deshalb noch lange nicht zu Ende: Sie haben inzwischen mit der Entwicklung eines Impfstoffes gegen den noch immer unsichtbaren Erreger begonnen.

(erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 2. Dezember 1993)

Hautkrebs mit „Genspritze“ geschrumpft

Amerikanische Wissenschaftler haben den ersten klinischen Versuch erfolgreich abgeschlossen, bei dem Gene direkt auf den Menschen übertragen wurden. Gary Nabel behandelte mit seinen Mitarbeitern am Medizinischen Zentrum der Universität Michigan fünf Patienten, die unter dem schwarzen Hautkrebs in einem weit fortgeschrittenen Stadium litten.

Wie die Fachzeitschrift PNAS in ihrer heutigen Ausgabe berichtet, spritzten die Forscher eine Mischung aus Fettkügelchen und nackter Erbsubstanz direkt in die Tumoren der Krebskranken. Die Fettkügelchen – auch Liposomen genannt – dienten dabei als Transportbehälter für das fremde Erbmaterial. Im Gegensatz zu den abgeschächten Viren, die bisher bei ähnlichen Experimenten als „Gen-Taxis“ eingesetzt wurden, können Liposomen sich nicht vermehren und gelten daher als besonders sicher.

Unter der Regie des fremden Gens begannen die Krebszellen ein Fremdeiweiß herzustellen, das auf der Zellhülle präsentiert wurde. Die Abwehrzellen der Patienten griffen daraufhin die Tumoren an, und zwar auch solche, die zuvor nicht injiziert worden waren. Zumindest in einem Fall begannen die Krebsgeschwüre zu schrumpfen, obwohl sämtliche anderen Heilversuche zuvor versagt hatten.

(gesendet im Deutschlandfunk am 1. Dezember, Fachversion in der Ärzte-Zeitung vom 2. Dezember 1993)

Quelle: Nabel GJ, Nabel EG, Yang ZY, Fox BA, Plautz GE, Gao X, Huang L, Shu S, Gordon D, Chang AE. Direct gene transfer with DNA-liposome complexes in melanoma: expression, biologic activity, and lack of toxicity in humans. Proc Natl Acad Sci U S A. 1993 Dec 1;90(23):11307-11. doi: 10.1073/pnas.90.23.11307.

Dioxin – wie gefährlich ist es wirklich?

Dioxin ‑ ein einziges Wort genügt, um auch heute noch, 17 Jahre nach dem Chemieunfall im italienischen Seveso, Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Bilder der vom Gift entstellten Gesichter, der toten Tiere und der Bagger, die monatelang den verseuchten Boden abtrugen, haben ihre Spuren hinterlassen. Als 1982 auch noch die 2400 Einwohner des amerikanischen Städtchens Times Beach ihre Heimat wegen Dioxin‑verseuchter Böden verlassen mußten, war die Substanz endgültig zum „Supergift“ geworden.

Mit immer empfindlicheren Geräten haben Wissenschaftler sich daraufhin auf die Suche gemacht. Dabei fand man heraus, daß über 200 verschiedene Arten von Dioxinen und den verwandten Furanen immer dann gebildet werden, wenn chlorhaltige Substanzen bei Temperaturen über 250 Grad verbrennen. Die „Kinder des Feuers“, wie sie manchmal bezeichnet werden, entweichen nicht nur aus Müllverbrennungsanlagen, sondern auch aus Hausheizungen und den Auspuffrohren unserer Autos, beim Rauchen und beim Schmelzen von Metallen.

Nicht alle dieser Verbindungen sind gleichermaßen giftig, die Suche der Forscher konzentriert sich deshalb auf rund drei Dutzend Stoffe, unter denen das Seveso‑Gift an erster Stelle steht. Inzwischen ist es möglich, ein einziges Dioxin‑Molekül unter einer Billion anderer Teilchen aufzuspüren. Kein Wunder also, daß die Wissenschaftler fast überall fündig wurden: Im Waldboden ebenso wie im Zeitungspapier, in Kaffeefiltern und Kosmetika, auf Kinderspielplätzen und in der Muttermilch.

Trotz alledem ist die Gefahr nicht so groß, wie die Schlagzeilen vermuten lassen. Im Gegensatz zu anderen Schadstoffen wie Asbest und Benzol streiten sich die Gelehrten noch immer darüber, ob kleine Mengen Dioxin beim Menschen Krebs verursachen können.

Selbst unter den 10000 Erwachsenen und Kindern von Seveso konnte man bisher weder eine erhöhte Krebsrate noch Anzeichen für eine Schädigung der Immunabwehr finden.

Alles deutet darauf hin, daß Menschen längst nicht so empfindlich gegenüber dem „Supergift“ sind, wie man früher vermutete. Für die zuständigen Behörden ‑ das Umweltbundesamt und das Bundesgesundheitsamt ‑ bleibt Vorsicht dennoch oberstes Gebot. Sie wiederholten kürzlich ihre Forderung nach neuen Maßnahmen, um Mensch und Umwelt zu schützen.

Um ganz sicher zu gehen, sollten täglich nicht mehr als ein billionstel Gramm Dioxin je Kilogramm Körpergewicht aufgenommen werden, verlangten die Gesundheitswächter in einem Bericht zum 2. Internationalen Dioxin‑Symposium. Die tatsächliche Belastung liegt in Deutschland etwa doppelt so hoch, doch ist auch diese Menge so winzig, daß selbst im Laufe von 100 Jahren alle Deutschen zusammen nicht einmal ein halbes Gramm abbekämen.

Der weitaus größte Teil der Schadstoffe, nämlich 95 Prozent, wird dabei über die Nahrung aufgenommen, vor allem über Fleisch und Fisch, Eier und Milchprodukte. Auch Muttermilch enthält Dioxin in vergleichsweise hohen Konzentrationen, weil aber „die Belastung nur kurze Zeit stattfindet und das Stillen nachweislich von großem Nutzen ist“, sind sich die Experten darin einig, daß alle Säuglinge trotzdem vier bis sechs Monate voll gestillt werden sollten.

Mit einer Reihe von Verordnungen und Verboten hat Umweltminister Klaus Töpfer inzwischen erste Erfolge im Kampf gegen die Dioxine erzielt. Die 50 deutschen Müllverbrennungsanlagen, aus deren Schornsteinen noch vor fünf Jahren insgesamt 400 Gramm Dioxinäquivalente entwichen, sind dank modernster Technik schon deutlich sauberer geworden und sollen in drei Jahren nur noch vier Gramm freisetzen.

Chlorhaltige Zusatzstoffe im Benzin wurden verboten und auch die einheimischen Papier‑ und Zellstoffstoffhersteller verzichten mittlerweile auf das Element, dessen Gegenwart die Entstehung des „Supergiftes“ begünstigt.

Eine Dioxinverordnung, mit der schon im Januar die weltweit niedrigsten Grenzwerte für 25 Verbindungen festgelegt wurden, ist allerdings noch immer nicht rechtskräftig: Schlimmstenfalls wird man in Bonn ein ganzes Jahr auf die nötige Zustimmung der Brüsseler EG‑Bürokraten warten müssen.

(Geschrieben für die Neue Apotheken Illustrierte, Erscheinungsdatum unbekannt)

Quelle: 2. Internationales Dioxin‑Symposium

Wege zu sauberem Blut

Horst Seehofer hat keine Angst vor Bluttransfusionen. „Niemand kann absolute Sicherheit versprechen“, räumte der Bundesgesundheitsminister zwar gegenüber dem Nachrichtensender n-tv ein. Dennoch würde er sich bei Bedarf eine Transfusion verabreichen lassen. Kaum ein Drittel der Bundesbürger teilt indessen die Zuversicht des umstrittenen Politikers, wie eine Umfrage des Wickert-Instituts ergab.

Selbst die Zahl der Blutspenden ist im Gefolge des „Aids-Skandals“ zurückgegangen. Obwohl dabei wegen der einmaligen Verwendung sterilisierter Nadeln jegliches Infektionsrisiko ausgeschlossen ist, bleiben laut einem Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) bis zu 20 Prozent der Spender lieber zu Hause. Viele Bundesbürger, so scheint es, betrachten inzwischen jeglichen Umgang mit dem lebensspendenden Saft als tödliche Gefahr.

Dagegen betonen Experten auch nach der Verhaftung führender Mitarbeiter der Koblenzer Firma UB-Plasma das äußerst geringe Risiko deutscher Transfusionsempfänger für eine Infektion mit dem Immunschwächevirus HIV seit dem 1. Oktober 1985. Ab diesem Datum durften Blutpräparate nur noch dann in Verkehr gebracht werden, wenn das Ausgangsmaterial zuvor auf das Immunschwächevirus HIV getestet wurde. Entdeckt wurde HIV zwar schon im Mai 1983, die Rolle des Erregers bei der Entstehung von Aids war damals aber unter Fachleuten umstritten, einen Bluttest gab es nicht.

Die 2300 Menschen, die sich in Deutschland durch verseuchtes Blut und Blutprodukte infiziert haben, stellen unter den 60000 gemeldeten HIV-Infizierten eine kleine Minderheit dar. Angesteckt wurden – fast ausschließlich vor Einführung des Bluttests – 1843 Bluter, die wegen der benötigten hochkonzentrierten Gerinnungsfaktoren besonders gefährdet waren. Auf dem Transfusionsweg wurden 462 Menschen infiziert, davon laut Auskunft des BGA „maximal 20“ nach Einführung des Bluttests.

Nicht Schlamperei ist die Ursache für diese „Ausreißer“, sondern die verspätete Reaktion des menschlichen Immunsystems auf den Eindringling: Die gebräuchlichen Tests weisen nämlich das Virus nicht direkt nach, sondern nur die – verspätete – menschliche Abwehrreaktion darauf. Vier bis sechs Wochen, in sehr seltenen Fällen auch sechs Monate können vergehen, bis im Blut genügend Antikörper schwimmen, um das Virus nachzuweisen. Ein zusätzlicher neuer Bluttest (p24 Antigen-Test), der in manchen Bundesländern bereits eingeführt wurde, spürt ein Viruseiweiß direkt auf, und verringert dadurch theoretisch die Dauer des „diagnostischen Fensters“.

Gregor Caspari vom Institut für Medizinische Virologie der Justus-Liebig-Universität Gießen hat allerdings errechnet, daß jede zusätzlich aufgespürte Infektion mindestens 50 Millionen Mark kosten würde, im ungünstigsten Fall bis 400 Millionen. Zum Vergleich: Das Bundesministerium für Gesundheit hat zur Aids-Bekämpfung in den letzten drei Jahren jeweils circa 50 Millionen Mark bereitgestellt. Außerdem befürchtet Caspari eine Anlockung von Risikogruppen durch den neuen Test. Der kann eine Infektion zwar früher anzeigen, aber auch er erfaßt längst nicht alle Infizierten.

Ulrich Kania, leitender Oberarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik Bonn beziffert das Risiko einer Ansteckung durch Blut und Blutplasma aus Einzelspenden heute auf etwa eins zu dreihunderttausend bis eins zu einer Million, Caspari hält den letzteren Wert für realistischer. Diese Zahlen müssten allerdings in Bezug gesetzt werden zu den ungleich größeren Gefahren die vielen Patienten drohen, wenn die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen verzögert wird oder ganz unterbleibt, sagte Kania. Auch der Marburger Bund, die Vertretung von rund 57000 Krankenhausärzten, betonte, es gebe keinen Anlaß zu Angst vor Blutübertragungen oder Operationen.

Die Zweckmäßigkeit verschiedener Maßnahmen, die mittlerweile zur Reduktion des verbleibenden Risikos gefordert, geplant oder im Eilverfahren bereits umgesetzt umgesetzt wurden, wird von Medizinern vielfach skeptisch beurteilt. Die Sicherheitsvorkehrungen hängen davon ab, welche Bestandteile des Blutes verarbeitet, und in welcher Menge diese dann an die unterschiedlichen Patientengruppen verabreicht werden.

Nach großem Blutverlust werden vor allem rote Blutkörperchen (Erythrozyten) gebraucht, die für den Sauerstofftransport ins Gewebe verantwortlich sind, außerdem Blutplättchen (Thrombozyten), die für die Gerinnung sorgen und beispielsweise nach einer Chemotherapie oft ergänzt werden müssen. Beide sind nur kurzfristig haltbar; die Erythrozyten drei bis sieben Wochen, die Thrombozyten nur einige Tage. Jede Form von Virusabtötung mit Hitze oder Chemikalien würde diese empfindlichen Blutbestandteile zerstören, das Restrisiko des „diagnostischen Fensters“ muß hier also in Kauf genommen werden.

Unter Plasma versteht man den „Blutsaft“ ohne die zellulären Bestandteile. Er enthält mehrere hundert verschiedene Eiweiße, darunter Antikörper und verschiedene Gerinnungsfaktoren. Das Plasma ist tiefgefroren bis zu einem Jahr haltbar. Vor der Verwendung als „Einzelspenderplasma“ fordert das BGA entweder eine Quarantäne oder ein Verfahren zur Virusinaktivierung. Bei der Quarantäne wird der ursprüngliche Spender nach Ablauf von mindestens vier Monaten ein zweites Mal getestet. Nur wenn er dabei wie schon bei der ersten Blutentnahme „HIV-negativ“ ist, wird das Plasma zur weiteren Verwendung freigegeben. Diese Methode wird von Zentren, die nur Blutplasma sammeln, favorisiert, weil diese einen hohen Anteil regelmäßig wiederkehrender Spender haben.

Die Blutspendedienste befürchten allerdings große Versorgungslücken bei Einführung dieser Maßnahme. Gerade Organisationen wie das Rote Kreuz, die einen auch im internationalen Vergleich sehr niedrigen Anteil HIV-infizierter Spender haben, sind auch abhängig von Menschen, die sporadisch und oft nur ein einziges Mal spenden. Sie tun dies meist aus Verantwortungsbewußtsein und erhalten dafür lediglich einen Imbiß, bei kommunalen Diensten dagegen eine „Aufwandsentschädigung“ von fünfzig Mark.

Die Spenden dieser Personen könnten nicht nachgetestet werden und würden nach einem Jahr ungenutzt verderben. Die entstehende Lücke müßte dann durch Importe – vorwiegend aus den USA – geschlossen werden. Dort findet aber ebenfalls keine Doppeltestung statt; der Anteil von HIV-Infizierten an der Gesamtbevölkerung ist außerdem deutlich höher als in Deutschland.

Als Alternative zur Quarantäne wird deshalb von einigen DRK-Diensten die Virusinaktivierung von gefrorenen Frischplasma bereits praktiziert, mit der die wichtigen transfusionsübertragenen Viren (neben HIV auch verschiedene Hepatitis-Viren) abgetötet werden.

Mindestens die Hälfte allen gespendeten Blutes wird in Deutschland zur Herstellung von sogenannten „Pool-Produkten“ verbraucht. Dies sind hochkonzentrierte Eiweiße wie der für die Blutgerinnung unverzichtbar Faktor VIII. Bis zu 60000 Plasma-Einzelspenden werden dabei zusammengeführt und gemeinsam verarbeitet. Vier verschiedene Inaktivierungsverfahren stehen zur Verfügung, von denen das teuerste – die „feuchte Hitze-Inaktivierung bei 60 Grad“ – sich als das Sicherste erwiesen hat.

Der für einen Großteil der Bluter lebenswichtige Faktor VIII kann seit kurzem auch gentechnisch, also ohne die Verwendung von Blut, hergestellt werden. Umstritten ist, ob dieses Produkt wirklich – wie die etablierten Hersteller von Faktor VIII behaupten – weniger verträglich für das Immunsystem der Patienten ist, oder ob es sich dabei nur um ein vorgeschobenes Argument handelt, mit dem bestehende Marktanteile verteidigt werden.

Prinzipiell ist das nach einer Inaktivierung verbleibende Restrisiko von Plasmapools natürlich davon abhängig, wieviele Krankheitserreger vor der Inaktivierung vorhanden waren. „Der entscheidende Faktor bei der Sicherheit von Blutprodukten ist deshalb die Auswahl der Spender,“ sagt Wolfram Gehrlich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Kommission für Virussicherheit von Arzneimitteln der Deutschen Gesellschaft für Virologie. Hier liegt auch der Grund für die Ablehnung bezahlter Spenden durch viele Fachleute im Gesundheitswesen:  Durch die Bezahlung, so wird argumentiert, schafft man eine Motivation, mögliche Gebrechen – und damit Infektionsrisiken – zu verschweigen.

Drogen- und Alkoholabhängige, Strafgefangene und die Partner HIV-infizierter Personen zählen zu den Risikogruppen, die in Deutschland permanent von der Blutspende ausgeschlossen werden müssen. Nach den Richtlinien von Bundesärztekammer und Bundesgesundheitsamt sind außerdem für mindestens sechs Monate gesperrt alle neu Operierten und Empfänger von Blut- und Blutprodukten. Auch das Durchstechen von Ohrläppchen oder Nasenflügel, Tätowierungen, Tropenreisen und zurückliegende Hepatitisinfektionen sind Ausschlußgründe.

Der „vertrauliche Selbstausschluß“ zielt auf Spender unter Gruppendruck wie beispielsweise die Mitglieder freiwilliger Feuerwehren in kleineren Ortschaften, die einmal im Jahr geschlossen zur Blutabnahme gehen. Angehörige von Risikogruppen können nach der Spende durch eine Art Kreuzchen in der Wahlkabine ihr Blut von der weiteren Verwendung ausschließen, ohne sich gegenüber den Kollegen offenbaren zu müssen.

Die in jeder Zehnten Klinik bereits angebotene Eigenblutspende wäre ebenfalls eine Möglichkeit zur Senkung des Infektionsrisikos. Allerdings wird vielfach übersehen, das die dafür nötige viermalige Blutentnahme den Spender unter Umständen stärker gefährden kann, als eine Übertragung von Fremdblut. Die Gefahr eines Herz-Kreislaufversagens während der Prozedur ist besonders bei vorbelasteten älteren Spendern mit ins Kalkül zu ziehen. Minister Seehofers Erkenntnis „Niemand kann absolute Sicherheit versprechen“, trifft bei näherer Betrachtung nicht nur auf den „Aids-Skandal“ zu, sondern auf jede Art von ärztlicher Behandlung.

(Original-Manuskript zu einem Artikel, der am 11. November 1993 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.)

Scharfe Regeln für Gentests gefordert

Die Genomanalyse ermöglicht die Früherkennung von Krankheiten. Doch je weiter die menschlichen Gene entschlüsselt werden, desto größer ist auch die Möglichkeit, das neue Wissen zu mißbrauchen. Das ergab eine Studie im Auftrag des Büros der Technikfolgenabschätzung des Bundestages (TAB). Für Forschungspolitiker entsteht daraus die Forderung nach gesetzlichen Regelungen für die Nutzung der Genomanalyse.

Die immer schneller voranschreitende Entschlüsselung des menschlichen Erbmaterials wird nach Meinung der Experten eine ganze Reihe ethischer und rechtlicher Probleme mit sich bringen. Für den Einzelnen werde diese Entwicklung von größerem Einfluß sein als beispielsweise die Entdeckung der Kernspaltung, mußmaßte Professor Karl-Hans Laermann vor der Bonner Wissenschaftspressekonferenz. „Eine freiwillige Selbstbeschränkung reicht deshalb nicht aus – wir streben eine bundesweite Regelung an“, sagte der forschungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Schon heute besteht die Möglichkeit, über 700 verschiedene Krankheiten durch einen Gentest festzustellen. Zum Teil handelt es sich dabei um Krankheiten mit tödlichem Ausgang, für die es noch keinerlei Therapie gibt.

In der TAB-Studie wird nicht nur der Trend erkennbar, die Möglichkeiten der vorgeburtlichen Diagnose immer mehr auszuschöpfen. Es zeichnet sich auch ab, daß unerwünschte Merkmale immer häufiger mit „krank“ gleichgesetzt werden. Edelgard Bulmahn, stellvertretende forschungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, verwies in diesem Zusammenhang auf eine Befragung von Schwangeren, die ergab, daß eine genetische Veranlagung des Embryos zur Fettleibigkeit für 18 % aller Frauen ein Grund zur Abtreibung wäre.

Um derartige Mißbräuche auszuschließen, forderte Frau Bulmahn, pränatale Genomanalysen nur in Ausnahmen zuzulassen, etwa dann, wenn es sich um schwerwiegende Krankheiten handelt, deren Erkennung eine Behandlung vor der Geburt ermöglicht. Ebenfalls erlaubt wäre ein Gentest zur Früherkennung schwerwiegender Krankheiten, die im Kindes-oder Jugendalter auftreten und nicht therapierbar sind. Ein entsprechender Indikationskatalog sollte von der ärztlichen Standesvertretung unter Beteiligung von Patienten-Selbsthilfegruppen erstellt werden, meinte die SPD-Abgeordnete.

Enge Grenzen müssen nach dem Willen aller Beteiligten auch bei den Versicherungsgesellschaften gezogen werden, die ein besonders großes Interesse daran haben, ihr Risiko durch den Ausschluß krankheitsgefährdeter Menschen zu minimieren, was in den USA schon heute der Fall ist. „Die exakte Kenntnis des individuellen Risikos ist mit dem Versicherungsgedanken der Solidargemeinschaft unvereinbar“, erklärte dazu Karl-Hans Laermann. Deshalb dürften genetische Analysen in diesem Zusammenhang nicht gefordert werden. Ob man sich mit diesen Vorstellungen auf EG-Ebene durchsetzen kann, wurde jedoch allgemein bezweifelt.

Am Arbeitsplatz soll eine Analyse des Erbguts nur dann möglich sein, wenn dadurch Risiken für den Arbeitnehmer vermieden werden. Beispiel: Für den Bäckerlehrling wäre es gesundheitsschädigend, wenn er seine Mehlstauballergie nicht rechtzeitig erkennt. Dem Arbeitgeber darf dagegen nach den Vorstellungen der Forschungspolitiker kein Anspruch auf die genetischen Daten seiner Angestellten gewährt werden.

Ergänzt werden soll der Schutz der persönlichen genetischen Daten durch das „Recht auf Wissen“. Demnach wird es dem Einzelnen prinzipiell erlaubt sein, einen Gentest in Anspruch zu nehmen, allerdings nur nach vorheriger Beratung durch einen Fachmann. Fraglich bleibt dann bloß, was ein gesunder junger Mensch macht, wenn er durch einen Test erfährt, daß er mit 40 an einer unheilbaren Krankheit leiden wird. Das ist die Kehrseite des Wissens.

(erschienen in den VDI-Nachrichten am 24. September 1993)

Neue Rezepte gegen die Epilepsie

Es kann jedem passieren, zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort: Eine vorübergehende Geistesabwesenheit oder mitten im Satz das völlige Unvermögen, die eben noch präsenten Worte zu formulieren, zählen zu den vergleichsweise harmlosen Varianten epileptischer Anfälle.

Für Unbeteiligte oftmals erschreckend sind dagegen die von Medizinern als „Grand mal“ (französich: Großes Übel) beschriebenen Erscheinungsformen: Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommt es etwa zu einem plötzlichen Verkrampfen der Muskulatur – manchmal noch ein Schrei und die Betroffenen stürzen wie ein gefällter Baum zu Boden. Unfähig zu atmen bleiben sie mehrere Sekunden liegen, bis dann rhythmische Muskelzuckungen einsetzen, die zwei bis drei Minuten anhalten können. Rötlicher Schaum vor dem Mund, verstärkt noch das Entsetzen der Umstehenden, dabei hat sich der jetzt scheinbar tief schlafende Mensch während des Muskelkrampfes doch „nur“ auf die Zunge gebissen. Wenn dieser endlich erwacht, kann er sich an nichts mehr erinnern. Um sich herum lauter verstörte Gesichter, hat er selbst oftmals Schwierigkeiten, das Geschehene zu begreifen.

Nicht selten wird auch sofort der Notarzt verständigt, was laut dem früheren Vorsitzenden des Kuratoriums Epilepsie, Jürgen Peiffer, „zwar verständlich, aber unnötig“ ist. Wichtig sei es vor allem, den „krampfenden“ Menschen vor Verletzungen durch die unkontrollierten Bewegungen zu schützen,  rät der ehemalige Direktor des Instituts für Hirnforschung an der Universität Tübingen. Peiffer wird nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, daß keiner vor solch einem Mißgeschick gefeit ist.

„Jedes menschliche Gehirn kann unter bestimmten Umständen mit einem epileptischen Anfall reagieren“, unterstreicht auch Peter Berlit von der Neurologischen Klinik am Essener Alfried Krupp Krankenhaus. Auf einem Journalistenseminar der Firma Wellcome, das kürzlich in München stattfand, hob Berlit hervor, daß etwa jeder Zwanzigste damit rechnen muß, einmal in seinem Leben einen mehr oder weniger stark ausgeprägten „Gelegenheitsanfall“ zu bekommen. Auslöser können so unterschiedliche Faktoren sein wie Schlafentzug, Sauerstoffmangel, Alkohol oder Drogen, das Flimmern eines Fernsehapparates oder die rhythmischen Lichtblitze in einer Diskothek.

Von einer Epilepsie sprechen die Experten zwar erst dann, wenn die Anfälle sich wiederholen, dennoch geht man für die Bundesrepublik von 800000 Kranken aus – etwa ebenso viele, wie es Zuckerkranke gibt. Unter ihnen muß ein Drittel damit rechnen, mehr als einen Anfall pro Monat zu erleiden. Ein weiteres Drittel ist zwischen einem und zwölf Mal jährlich betroffen, das letzte Drittel seltener. Zwischen den Anfällen sind die Patienten geistig meist völlig störungsfrei und ohne sorgfältige Diagnose von gesunden Menschen nicht zu unterscheiden.

Trotz ihrer weiten Verbreitung wird die manchmal als „heimlich-unheimliche Krankheit“ titulierte Epilepsie in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Noch immer hält jeder vierte Deutsche die Epilepsie für eine Geisteskrankheit, fast ein Drittel gab in einer Umfrage sogar an, ihr Kind dürfe keinen Epilepsiekranken heiraten. Gerade Schulkinder haben unter solchen Einstellungen sehr zu leiden, wie Gerda Hefner, Psychiaterin an der Bonner Epileptologischen Klinik, zu berichten weiß. Sie sind dem Spott der Mitschüler ausgesetzt, wenn nach einem Anfall etwa eine Pfütze unter dem Stuhl zurückbleibt, als sichtbarer Beweis dafür, daß sie das Wasser nicht haben halten können.

Auch die gutgemeinten Bemühungen der Eltern oder Lebenspartner können Anfallskranken zu schaffen machen. Die übertriebene Fürsorge der Familie und die daraus erwachsende Abhängigkeit hinterläßt zwangsläufig ihre Spuren, auch wenn die Epilepsie im Laufe der Jahre kuriert werden kann. „Natürlich haben diese Menschen ein erhöhtes Risiko, aber man darf sie auch nicht zu sehr unter die Käseglocke setzen“, rät Gerda Hefner.

Zur sozialen Ausgrenzung, die in der Bundesrepublik laut Professor Heinz-Joachim Meenke viel stärker ausgeprägt ist, als in den Vereinigten Staaten oder den europäischen Nachbarländern, kommen noch eine Reihe handfester Nachteile hinzu. Meenke, der sich am Berliner Rudolf Virchow Klinikum immer wieder mit den psychosozialen Folgen der Krankheit auseinandersetzten muß, trifft häufig auf besorgte Patienten, die ihr Leiden aus Angst vor Entlassung gegenüber ihrem Arbeitgeber und den Kollegen verschweigen.

Schwierigkeiten gibt es auch beim Abschluß privater Lebens-, Kranken- und Unfallversicherungen, denn die früher auch als „Fallsucht“ bezeichnete Krankheit erhöht das Risiko tödlicher Unfälle beträchtlich. Meist tritt eine Ausschlußklausel in Kraft, die alle Folgen der Epilepsie vom Versicherungsschutz ausnimmt, oder es werden erheblich höhere Prämien verlangt. Eine erhöhte Selbstmordrate unter Epileptikern kann als trauriger Beweis dafür gelten, daß ein Leben in ständiger Angst und die oft ablehnende Reaktion der Mitmenschen für viele zur unerträglichen Belastung wird.

Weniger dramatisch scheint dagegen das für alle Epileptiker geltende generelle Fahrverbot, doch wird auch diese Vorsichtsmaßnahme von vielen als beträchtliche Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden. Den Führerschein dürfen die Betroffenen erst wieder beantragen, wenn sie mindestens zwei Jahre anfallsfrei waren. Während der Sinn dieser Regelung von Ärzten und Patienten kaum in Frage gestellt wird, traf ein anderes Handicap auf weniger Verständnis: „Bis vor kurzem war die Verbeamtung von Anfallskranken grundsätzlich nicht möglich“, erläutert Meenke.

Die Krankheit mag unheimlich sein – unheilbar ist sie nicht. Gerade in den letzten Jahren wurde das Arsenal an Medikamenten, die gegen die zahlreichen Formen der Epilepsie zum Einsatz kommen, beträchtlich erweitert. Vigabatrin und Lamotrigin, Clobazam und Gabapentin, Oxacarbazepin, Felbamat und Topiramat heißen die Präparate, die in jüngster Zeit neu auf Markt kamen oder kurz vor der Zulassung stehen.

Den raschen Fortschritten in der Hirnforschung ist es größtenteils zu verdanken, daß derzeit rund 100 weitere Arzneimittelkandidaten in amerikanischen und europäischen Labors getestet werden. „Insgesamt eine Verbesserung der Therapie“ erwartet daher Christian E. Elger, Direktor der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn, für die nähere Zukunft. „Der große Durchbruch aber wird ausbleiben“, sagte Elger gegenüber der Ärztezeitung.

Trotz der vergleichsweise großen Zahl von Arzneimitteln gelingt es derzeit nur in etwas mehr als der Hälfte aller Fälle, sämtliche Anfälle zu unterdrücken, so Stefan R.G. Stodieck von der Klinik für Neurologie der Universität Münster. Bei einem weiteren Viertel wird zwar die Zahl der Anfälle verringert; die psychologische Belastung aber bleibt. Außerdem leidet ein Drittel aller Patienten – auch derjenigen, bei denen sich keine Besserung zeigt – unter Arzneimittelnebenwirkungen, die laut Stodiek „zum Teil sehr massiv sein können“.

Da nicht jedes Medikament bei jeder Anfallsform hilft, wird die Suche nach der besten Arznei oftmals zu einem jahrelangen Wechselspiel von Versuch und Irrtum. Es verwundert daher nicht, daß jeder dritte Patient seine verordneten Medikamente nur unregelmäßig einnimmt.

Stodiek ist sich mit seinen Kollegen dennoch einig, daß es viele Gründe für einen möglichst frühzeitigen Therapiebeginn gibt. Zum einen sinken die Erfolgschancen, je länger die Krankheit unbehandelt bleibt; zum anderen erhöht jeder Anfall die Wahrscheinlichkeit für den Nächsten. Warum das so ist, glaubt der Epileptologe mit neueren Erkenntnissen aus der Gehirnforschung erklären zu können:

Demnach handelt es sich bei der Epilepsie um spontane elektrische Entladungen größerer Gruppen von Nervenzellen (Neurone). Bei vielen Patienten werden offensichtlich immer die gleichen Nervenbahnen aktiviert, die sich dadurch einschleifen und – so die Theorie der Neurobiologen – immer leichter erregbar werden. Die Entladungen selbst kommen vermutlich zustande, weil sich ein Ungleichgewicht eingestellt hat zwischen einem anregenden Botenstoff – dem Glutamat und der aus dem Glutamat gebildeten Gamma-Aminobuttersäure (GABA), welche die Aufregung im Gehirn zu dämpfen vermag.

Das resultierende Dauerfeuer der Neurone kann von verschiedenen Regionen des Gehirns seinen Ausgang nehmen. Bei bestimmten Formen der Epilepsie, den sogenannten fokalen Anfällen, sind dann jeweils die Körperpartien oder -funktionen zuerst betroffen, die von der entsprechenden Hirnregion gesteuert werden. Beginnt solch ein fokaler Anfall beispielsweise mit einem Zucken des Mundwinkels oder rhythmischen Kaubewegungen gelingt es oftmals, die Störung einer eng umschriebenen Hirnregion zuzuschreiben. Bleibt die medikamentöse Behandlung erfolglos, so kann bei schweren Fällen ein chirurgischer Eingriff erwogen werden, bei dem das „epileptogene Areal“ entfernt wird, ohne daß es beim Patienten zu bleibenden Schäden kommt.

Drei Zentren für derartige Eingriffe gibt es in Deutschland: Neben Bonn und Bethel verfügt seit kurzem auch die Universität Erlangen-Nürnberg über ein Epilepsiezentrum der höchsten Leistungsstufe. Mit fünf Millionen Mark fördert dort das Bundesministerium für Gesundheit die Versorgung von Epilepsiepatienten, für die ein operativer Eingriff die einzige Chance auf ein normales Leben bedeutet.

Allerdings ist auch dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Den jährlich etwa 200 Operationen, die in Deutschland durchgeführt werden, stehen etwa 20000 Epileptiker gegenüber, die durch solch einen Eingriff geheilt werden könnten. Immerhin dauert die Vorbereitung eines Eingiffs rund drei Wochen, in denen der Patient rund um die Uhr überwacht werden muß. Anhand von Videoaufnahmen und der laufend aufgezeichneten Hirnstromkurven versuchen Neurologen und Neurochirurgen, Informatiker und Ingenieure, Physiker und Psychologen gemeinsam, den Krankheitsherd zu ermitteln.

Modernste Diagnosegeräte messen winzige Magnetfelder im Gehirn und erlauben eine dreidimensionale Darstellung der feinsten Strukturen. All der Aufwand dient letztlich dazu, das Risiko für den Patienten möglichst gerimg zu halten. In bis zu 85 Prozent aller Fälle führen diese Operationen am kompliziertesten Organ des Menschen zum Erfolg: Die Patienten werden auf Dauer von ihren Anfällen befreit.

Für die Zukunft träumt Stodiek jedoch von einem Verfahren, das auf den ersten Blick utopisch erscheinen mag: Ein „Hirnschrittmacher“ soll mit kleinen Stromstössen den rechten Takt angeben, sobald die grauen Zellen aus dem Schritt geraten. Wie der „New Scientist“ vermeldet, ist ein erster Schritt in diese Richtung bereits gelungen:

Mit Elektroden, die im Nacken von Epilepsiepatienten angebracht wurden, stimulierte ein amerikanisch-europäisches Forscherteam in kurzen Abständen den Nervus vagus, einen der großen Nervenstränge, die vom Gehirn ausgehend die Arbeit der inneren Organe steuern.

Dazu implantierten die Ärzte bei 127 Patienten ein kleines Steuergerät auf der linken Brustseite unter der Haut. In etwa zehnminütigem Abstand schickte dieser Stimulator elektrische Reize an den Nervus vagus. Nach 18 Monaten zählten die Wissenschaftler im Durchschnitt nur noch halb so viele Anfälle wie zu Beginn der Behandlung.

Die Epilepsiekranken, bei denen Medikamente wirkungslos geblieben waren, mußten dabei als Nebenwirkung ein Kribbeln während der Stimulationen in Kauf nehmen, auch klagten manche über leichte Halsschmerzen. Mit einem über den Stimulator gehaltenen Magneten konnten die Patienten die elektrischen Reize auch selbst hervorrufen, was in einigen Fällen ausrichte, um eine sich anbahnende Attacke im Keim zu ersticken.

(erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 16. September 1993)

Quellen:

Doppeltherapie: Johanniskraut plus Licht mildert Winterdepression

Bei der Therapie von Patienten mit saisonal abhängiger Depression (SAD) zeigt ein Johanniskraut (=Hypericum) -Extrakt eine gute Wirkung und Verträglichkeit, berichtete Professor Siegfried Kasper, Bonn. In der ersten kontrollierten Studie zur Wirkung des Johanniskraut-Extraktes bei diesem Krankheitsbild untersuchte Kasper 20 SAD-Patienten.

Gefragt wurde nicht nur nach der Wirkung des Hypericum-Extraktes, sondern auch danach, ob die Arznei den positiven Einfluß einer Lichttherapie zu potenzieren vermag. Alle Patienten erhielten über vier Wochen 900 mg Hypericum-Extrakt LI 160 (Jarsin®) täglich und randomisiert zusätzlich entweder therapeutisches Licht von 3000 Lux oder „Placebo-Licht“ von weniger als 300 Lux.

Die Lichttherapie wurde dabei täglich für die Dauer von zwei Stunden durchgeführt. Als wichtigster Parameter wurde die Veränderung des mittleren Hamilton-Gesamtscores bestimmt. Bei den Patienten mit Hypericum-Extrakt plus therapeutischem Licht sank er von 21,9 auf 6,1 Score-Einheiten, was einer Reduktion um 73 Prozent entspricht.

In der Gruppe mit Placebo-Licht sank der Gesamtscore ebenfalls; die Reduktion betrug hier 59 Prozent. Der deutlich positive Effekt einer Hypericum-Behandlung scheint also durch zusätzliche Lichttherapie verstärkt zu werden, wenn auch diese Aussage aufgrund der kleinen Patientenzahl nicht statistisch signifikant belegt werden konnte.

Hervorgehoben wurde von Kasper besonders die gute Verträglichkeit des Johanniskraut-Extraktes im Vergleich zu synthetischen Antidepressiva.

(erschienen als Teil eines, vom Hersteller Lichtwer finanzierten, Sonderberichtes für die Ärzte-Zeitung am 14. September 1993)

Quelle:

Symposium „Therapie mit pflanzlichen Antidepressiva. Forschungsergebnisse 1991 – 1993“, Düsseldorf

Minussymptomatik bei Schizophrenie

Neuentwickelte Medikamente zur Therapie der chronischen schizophrenen Minussymptomatik haben bisher nur zu „sehr bescheidenen“ Erfolgen geführt, wenn auch diese Präparate weniger unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen. Dies sagte Professor Hans-Jürgen Möller anläßlich des Symposiums „Fortschritte in der Diagnostik und Therapie schizophrener Minussymptomatik“ an der Psychiatrischen Klinik Bonn.

Dieser Symptombereich der Schizophrenie, der unter ande­rem mit Effektverarmung, ver­minderter Belastbarkeit und sozialem Rückzug einhergeht, hat auch heute noch eine be­sonders schlechte Prognose, berichtete der Klinikdirektor. Jeder zweite Patient tendiere zu ei­nem ungünstigen bis schlechten Verlauf.

Schwierig ist schon die Dia­gnose, vor allem wenn die Be­troffenen noch keine akute Krankheitsphase durchgemacht haben. Da sich Schizophrene im Gegensatz zu Depressiven sel­ten als krank einstufen, sind es meistens die Angehörigen, welche bei schweren Fällen auf die Minussymptomatik aufmerk­sam machen. Mit der kürzlich erfolgten Einrichtung einer Angehörigengruppe verfolgt man an der Bonner Klinik auch das Ziel, eine bessere Compliance zu erreichen.

Angesichts der Tatsache, daß von einem einprozentigen Le­benszeitrisiko zur Entwicklung einer Schizophrenie ausgegan­gen werden muß, stellt die Mi­nussymptomatik auch ein gewal­tiges sozioökonomisches Pro­blem dar. Die Bettlägerigkeit der Patienten geht in den mei­sten Fällen mit Arbeitslosig­keit einher, sagte Gerd Laux, Oberarzt an der Psychiatri­schen Klinik Bonn. „Selbst kleine Fortschritte in der Therapie können bedeuten, daß die Betroffenen im Kreise ih­rer Familie leben können und nicht hospitalisiert werden müssen“, begründete Laux die Forderung nach mehr Personal und verhal­tenstherapeutischen Program­men.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 14. September 1993)