Parkinson-Krankheit: Risikofaktor Kopfverletzung

Schwere Kopfverletzungen vervierfachen das Risiko für die Parkinsonsche Krankheit, berichten Forscher der Mayo-Klinik im amerikanischen Rochester. Patienten, die längere Zeit bewusstlos waren und deren Verletzungen auf Röntgenbildern (CT) sichtbar waren, erkrankten nach etwa 20 Jahren sogar bis zu elf Mal häufiger als Menschen, die niemals am Kopf verletzt wurden. Ein Ärzte-Team um den Neurologen James Bower hatte die Krankengeschichten von 196 Parkinson-Patienten ausgewertet und mit den Daten von 196 Menschen gleichen Alters und Geschlecht verglichen, die nicht an Parkinson erkrankt waren. Möglich war dies im Rahmen des Rochester Epidemiology Project. Seit 1909 erfassen Statistiker dabei sämtliche medizinischen Leistungen für die Einwohner des Bezirks Olmsted, in dem die Mayo Klink liegt.

„Ich war erstaunt, wie deutlich der Zusammenhang zwischen Kopfverletzungen und der Parkinson-Krankheit ist“, kommentierte Bower das Ergebnis der Untersuchung. Auch dass durchschnittlich 20 Jahre bis zum Ausbruch der Krankheit vergehen, habe ihn überrascht, sagte der Mediziner. Der Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen ist bisher nicht bekannt. Deshalb könne man auch derzeit keine Ratschläge geben, wie Menschen nach einer Kopfverletzung mit dem erhöhten Parkinson-Risiko umgehen sollten, bekannte Bower. Sinnvoll sei es aber, beim Radfahren und ähnlichen Aktivitäten einen Helm zu tragen.

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Hirnforscher unter der Gürtellinie

Erstmals ist es Wissenschaftlern gelungen, jene Hirnregionen sichtbar zu machen, die während des menschlichen Orgasmus aktiv sind. „Wir wollten wissen, wie das beim Menschen funktioniert“, sagte der Anatomieprofessor Gert Holstege von der niederländischen Universität Groningen mit Blick auf Hunderte von Kollegen, die ähnliche Fragen bislang nur bei Ratten und Mäusen untersucht haben.

Mit seinem Doktoranden Janniko Georgiadis hatte Holstege zunächst 13 „ganz normale Männer“ untersucht, „die nur ein wenig trainieren mussten.“ Zwei Schwierigkeiten galt es während der Messungen mit einem so genannten PET-Scanner zu überwinden: Die Versuchspersonen durften sich nicht bewegen und sie mussten ihren Höhepunkt innerhalb eines vorgegebenen Zeitfensters von 40 Sekunden erreichen.

Wie Holstege jetzt auf der Jahrestagung der Society for Neuroscience in Orlando berichtete, lieferten die Freundinnen der Probanden den Schlüssel zum Erfolg. Sie stimulierten ihre Partner per Hand, wobei es sechs von ihnen gelang, den Versuchspersonen innerhalb von annähernd sieben Minuten und 40 Sekunden zum Orgasmus zu verhelfen. Zu diesem Zeitpunkt registrierte der PET-Scanner dann die Regionen im Gehirn, die besonders viel Energie verbrauchten.

Die Forscher fanden bei allen Männern ein extrem starkes Signal aus dem obersten Teil des Hirnstammes. Hier leuchteten auf den Schnittbildern drei Areale auf: das ventrale Tegmentum, der subparafaszikuläre thalamische Kern und das lateral zentrale tegmentale Feld. Inzwischen hat Holstege den Versuch auch mit weiblichen Probanden gemacht und heraus gefunden, dass dort die gleichen Hirnregionen aktiv werden. Bei den Männern zeigte zusätzlich noch die Sehrinde eine erhöhte Aktivität, obwohl die Augen der Versuchspersonen geschlossen waren. „Es ist möglich, dass sie während ihrer Erfahrung auch die bildliche Vorstellungskraft bemühten“, erklärt Holstege.

Das extrem intensive Gefühl eines Orgasmus resultiere jedoch aus der Aktivierung der tiefer gelegenen Areale, so Holstege. Das dort gelegene ventrale Tegmentum (VTA) scheint der wichtigste Bestandteil eines Belohnungssystems zu sein, in dem auch verschiedene Drogen ihre Wirkung entfalten. So weiß man aus den Untersuchungen englischer Wissenschaftler, dass die Injektion von Heroin die gleichen Regionen aktiviert, die nun auch bei der „Orgasmus-Studie“ sichtbar wurden. Das „High“ nach Einnahme der Droge wird von Süchtigen zudem häufig mit dem Gefühl eines sexuellen Höhepunkts verglichen.

Gibt man Ratten die Möglichkeit, das ventrale Tegmentum mittels einer implantierten Elektrode zu reizen, so drücken die Tiere den Hebel dafür bis zur totalen Erschöpfung. Alle anderen Tätigkeiten wie Essen oder Trinken interessieren dann nicht mehr. „In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns kaum von Tieren“, stellt Holstege fest.

Ihre Forschungsergebnisse hatten die Niederländer zunächst bei den beiden grössten Wissenschaftsjournalen „Science“ und „Nature“ zum Abdruck eingereicht. Beide hätten jedoch die Veröffentlichung abgelehnt mit der Begründung: „Das interessiert unsere Leser nicht.“

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Ursache von Cluster-Kopfschmerzen gefunden?

Die folgende Pressemitteilung stammt vom Deutschen Schmerzkongress und wurde hier aufgenommen, weil sie wichtige Hintergrundinformationen liefert zur Entstehung von Cluster-Kopfschmerzen:

Der besonders qualvolle Cluster-Kopfschmerz geht auf eine fehlerhafte Regulation biologischer Rhythmen zurück. Das zeigen Untersuchungen eines deutsch-britischen Teams um Dr. Arne May von der Universität Regensburg mit einem kurz PET genannten Verfahren: Während der Attacken sind bestimmte Strukturen im Hypothalamus ­ dem Sitz der „inneren Uhr“ tief im Gehirn ­ der betroffenen Patienten besonders aktiv.

Als Ursache des Cluster-Kopfschmerzes galten bis vor kurzem Entzündungen an erweiterten Blutgefäßen im Gehirn. Doch dessen typisches gehäuftes Auftreten ­ englisch Cluster ­ zu bestimmten Zeiten nährte einen anderen Verdacht: Hinter der zyklischen Pein könnte eine Störung der „inneren Uhr“ stecken. Mit einer Serie raffinierter Untersuchungen an Patienten und gesunden Freiwilligen gelang es kürzlich Dr. Arne May von der Neurologischen Klinik der Universität Regensburg zusammen mit Kollegen vom University Department of Clinical Neurology in London, diese Vermutung zu erhärten. Die Schmerzforscher konnten mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) belegen, dass bei Cluster-Patienten während einer Attacke bestimmte Strukturen im Hypothalamus besonders aktiv sind. Diese Gehirnregion gilt als Sitz der „inneren Uhr“, die unter anderem den Schlaf-Wach-Rhythmus und andere so genannte zirkadiane Rhythmen steuert. PET, ein bildgebendes Verfahren, macht Stoffwechselvorgänge im Gehirn wacher Patienten sichtbar.

Wenn die „innere Uhr“ nicht richtig tickt

Wie die Forschergruppe heraus fand, sind die verdächtigen Hypothalamus-Strukturen sowohl bei spontanen Kopfschmerz-Attacken aktiv als auch bei Anfällen, welche die Wissenschaftler durch eine Nitroglycerin-Behandlung bei Cluster-Patienten künstlich auslösten, die sich gerade in einer aktiven Phase befanden. Außerhalb dieser aktiven Phase konnte die Nitroglycerin-Behandlung dagegen keine Attacke auslösen: Der „Cluster-Motor“ im Hypothalamus blieb inaktiv ­ ebenso wie bei gesunden Freiwilligen, bei denen das Team einen experimentellen Kopfschmerz auslöste.

Bei weiteren Untersuchungen mit der so genannten Magnet-Resonanz-Angiographie fand May heraus, dass erweiterte Blutgefäße im Gehirn offensichtlich eine unspezifische Begleiterscheinung von Kopfschmerzen sind: Sowohl bei Patienten mit Cluster-Attacken als auch bei gesunden Personen mit experimentellen Kopfschmerzen erweiterten sich die Hirnarterien. Derartige Gefäßveränderungen treten auch bei einer Migräne auf. „Deshalb gehen wir davon aus“, erklärt May, „dass der Cluster-Kopfschmerz ursächlich durch eine Fehlfunktion der ,inneren Uhr“ im Gehirn verursacht wird und die Gefäßveränderungen nur eine Folge dieser Störung sind.“

Der Cluster-Kopfschmerz trifft zwar höchstens vier von 10.000 Menschen, gehört jedoch zu den schlimmsten Schmerzen, unter denen Menschen leiden können. „In der Attackenphase können die Patienten keine Nacht durchschlafen“, so May. Unter ihm leiden Männer häufiger als Frauen. Für die Betroffenen scheint er hinter einem Auge zu sitzen, zudem treten weiterere Symptomen in der betroffenen Gesichtshälfte auf. Wie sein Name sagt, tritt er meist zeitlich gehäuft auf, vor allem im Frühjahr und Herbst. Mehrwöchige aktive Phasen mit bis zu acht Attacken pro Tag, die jeweils eine halbe bis zwei Stunden dauern, wechseln sich mit schmerzfreien Phasen ab. Zwar lässt sich Cluster-Kopfschmerz vergleichsweise einfach diagnostizieren.

Weil er jedoch selten auftrittt, dauert es oft viele Jahre bis ein Arzt ­ meist ein Kopfschmerz-Spezialist ­ die korrekte Diagnose stellt und eine wirksame Behandlung einleitet. Herkömmliche Schmerzmittel helfen bei Cluster-Schmerz nicht, da ihre Wirkung zu langsam eintritt. Mittel der ersten Wahl ist das Migräne-Medikament Sumatriptan, weil der Patient es sich mit einem Autoinjektor selbst unter die Haut spritzen kann. Etwa 70 Prozent der Patienten profitieren davon, wenn sie reinen Sauerstoff über eine Maske einatmen. Bei länger andauernden Cluster-Phasen setzen Kopfschmerz-Experten auch bestimmte Medikamente zur Vorbeugung ein.

Untersuchungen mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) belegen darüber hinaus, dass auch bei einem Migräneanfall bestimmte Regionen im Hirnstamm und im Mittelhirn besonders aktiv sind, der sogenannte „Migränegenerator“. Die Aktivität dieser Region, so die Theorie, aktiviert bestimmte Äste des Trigeminus-Nervs, die dann ihrerseits an Blutgefäßen der Hirnhaut und am Nervengewebe eine schmerzhafte Entzündung verursachen. Dabei werden verschiedene Hirnbotenstoffe (Neurotransmitter) und Entzündungs-Botenstoffe freigesetzt. Diese Zusammenhänge können erklären, warum Schmerzmittel mit entzündungshemmenden Eigenschaften oder die neue Gruppe der Triptane, die in den Stoffwechsel von Neurotransmittern eingreift, einen Anfall lindern können.

Parkinson-Krankheit: Neurologen ziehen Bilanz

Die Kenntnisse über Entstehung und Diagnose der Parkinsonschen Krankheit sind in den letzten Jahren enorm angewachsen, erklärten Experten auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Aachen. Zwischen 150 000 und 240 000, meist ältere Menschen leiden nach Schätzungen unter der Krankheit, deren wichtigste Merkmale verlangsamte Bewegungen, Zittern und Muskelstarre sind. Gegen diese Beschwerden stehen nicht nur eine Vielzahl von Medikamenten zur Verfügung, sondern neuerdings auch die Methode der Tiefen Hirnstimulation zur Behandlung besonders schwerer Fälle, betonten die in Aachen versammelten Spezialisten.

Ein vom Bundesforschungsministerium mit 17 Millionen Mark gefördertes „Kompetenznetzwerk“ steckt allerdings auch nach zwei Jahren noch in der Startphase. Mehr als die Hälfte der bislang verausgabten Gelder sind alleine für die Planung und Erstellung einer vielfach gesicherten Datenbank für standardisierte wissenschaftliche Untersuchungen verbraucht worden, sagte Projektkoordinator Professor Wolfgang Oertel von der Universität Marburg. Die Abstimmung mit den zuständigen 13 Datenschutzbeauftragten habe 18 Monate gedauert. Im Prinzip könne jetzt aber „jeder Doktor von jedem Internet-Cafe der Welt“ zu dem Projekt beitragen, so Deutschlands bekanntester Parkinson-Experte. Oertel erwartet, dass die Investitionen sich langfristig auszahlen und das Datenbanksystem innerhalb von zwei Jahren EU-weit übernommen wird.

Erklärtes Ziel des „Kompetenznetz Parkinson-Syndrom“ ist es, die Versorgung der Patienten zu verbessern und den Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis zu beschleunigen. Zu den acht Forschungsschwerpunkten gehören Studien zur Früherkennung sowie zur Wirksamkeit neuer Medikamente und Operationsverfahren ebenso wie Kosten-Nutzenrechnungen und der Aufbau von Datenbanken mit Gewebeproben und genetischen Informationen.

Durch Vergleiche zwischen den Erbinformationen Betroffener und gesunder Menschen haben Wissenschafter in aller Welt mittlerweile sieben Gene gefunden, die mit den Parkinson-typischen Krankheitszeichen in Zusammenhang stehen. Eines dieser Gene – es enthält den molekularen Bauplan für das Eiweiß Alpha-Synuklein – könnte vielleicht den Tod spezialisierter Nervenzellen in einem winzigen Teil des Kleinhirns erklären. Diese Zellen, die mit Hilfe des Botenstoffes Dopamin Bewegungssignale übertragen, beginnen bereits viele Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit zu sterben. Bei Gewebeuntersuchungen Verstorbener fanden Pathologen in den Zellen immer wieder Klümpchen aus Alpha-Synuklein. Bei einer Handvoll Familien, die unter einer erblichen Form von Parkinson leiden, sind die fatalen Klümpchen offensichtlich die Folge eines Defekts im Gen für Alpha-Synuklein.

Zwar haben die weitaus meisten Parkinson-Kranken das Leiden nicht geerbt, doch könnten zufällige Mutationen auch bei ihnen eines der bekannten oder unbekannten „Parkinson-Gene“ beschädigt haben. Außerdem halten es viele Wissenschaftler es für wahrscheinlich, dass normales Alpha-Synuklein sich in Gegenwart bestimmter, Drogen, Medikamente oder anderer Umwelteinflüsse in die giftige, klümpchenbildende Variante umwandelt.

Die Suche nach Substanzen, welche die Klümpchenbildung verhindern könnten, ist bereits in vollem Gange. In Verbindung mit einer verbesserten Früherkennung könnte diese Strategie den Ausbruch der Krankheit verzögern oder gar verhindern. Denn noch immer vergehen zwischen fünf und zehn Jahren zwischen dem Beginn des Nervenzerfalls und der Diagnose der Krankheit, berichtete Oertels Mitarbeiter Günter Höglinger. Zu diesem Zeitpunkt sind etwa achtzig Prozent der Dopamin bildenden Nervenzellen im Bereich der so genannten Substantia nigra untergegangen. Ob die viel diskutierten Stammzellen den Verlust ersetzen können, wird man erst in vielen Jahren beurteilen können, räumt einer der prominentesten Verfechter dieser Forschungsrichtung ein, Otmar Wiestler vom Institut für Neuropathologie der Universität Bonn.

Helfen können die Ärzte ihren Patienten derzeit nur mit Arzneien, die den Verlust des Botenstoffes Dopamin vorrübergehend ausgleichen. Zusätzlich verschreibt man oft Psychopharmaka gegen Schlafstörungen, Depressionen und anderer Gemütsschwankungen, die sowohl eine Folge der Krankheit sein können als auch eine Nebenwirkung der Dopamin-Behandlung.

Probleme bereitet die Ersatztherapie auch deshalb, weil ihre Wirksamkeit mit zunehmender Krankheitsdauer nachlässt. Das Zittern wird immer stärker, kontrollierte Bewegungen sind mitunter kaum mehr möglich. Mehr noch fürchten viele das „OFF“, einen Starrezustand, der völlig unberechenbar eintritt und bis zu zwei Stunden anhalten kann.

Die einzige verbleibende Möglichkeit für diese Patienten sind komplizierte Operationen am Denkorgan. Mit millimetergenauen Eingriffen schalteten Neurochirurgen früher die betroffenen Hirnregionen unwiderruflich durch Hitzeeinwirkung aus (Pallidotomie). Heute bevorzugt man das Verfahren der Tiefen Hirnstimulation (auch Tiefhirnstimulation), bei dem in spezialisierten Kliniken eine Elektrode samt programmierbarem Minicomputer implantiert wird. Der lässt sich dann per Knopfdruck vom Patienten aktivieren, um die zappelnden Gliedmaßen binnen Sekunden zu beruhigen. Videoaufnahmen, die den dramatischen Effekt der Tiefen Hirnstimulation dokumentieren, wurden auch in Aachen gezeigt und gehören sicher zu den eindrucksvollsten Belegen für die Fortschritte der Neurologie. Um durchschnittlich 80 bis 90 Prozent ließen sich die Bewegungsstörungen verringern, berichtete beispielsweise Jens Volkmann von der Neurologischen Klinik der Universität Kiel. Der Medikamentenverbrauch sinke nach dem Eingriff im Mittel um 60 Prozent. Etwa jeder zehnte Parkinson-Patient könnte durch die Tiefhirnstimulation von seinem Leiden befreit werden, schätzt Professor Volker Sturm, der solche Operationen an der Kölner Universitätsklinik durchführt.

Wunder können allerdings auch die Neurologen nicht vollbringen: Die Wirkung der Tiefen Hirnstimulation hält zwar über mindestens neun Jahre an, wie die Daten der ersten Patienten belegen. Die Lebensqualität scheint aber nicht im gleichen Maße zuzunehmen, fand die Arbeitsgruppe um Volker Tronnier an der Universität Heidelberg heraus. Die Ärzte beobachteten vermehrte Sprech- und Schluckstörungen und notierten außerdem häufige Depressionen bei gleichzeitiger Abnahme von Initiative und Motivation. Damit werde „ein Teil des Zugewinns aufgewogen“, mussten die Experten in Aachen bekennen.

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  • 74. Kongress Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Aachen

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Neuroforscher entzaubert das Rätsel der Liebe

Einer winzig kleinen Regionen des Gehirns verdanken die Menschen das schönste aller Gefühle: Die Große Liebe. „Es ist faszinierend, das die Hirnaktivität bei diesem überwältigenden Gefühl so eng beschränkt ist“, kommentierte der Schweizer Neurowissenschaftler Andreas Bartels das Ergebnis seiner Forschungen, die er auf der Jahrestagung der amerikanischen Society for Neuroscience in New Orleans präsentiert hat. Nur wenige Quadratzentimeter gross sind demnach die Areale in unserem Denkorgan, die auf computergenerierten Hirnbildern regelrecht aufleuchten, wenn Frauen oder Männer das Abbild ihrer Geliebten sehen.

17 Freiwillige, die nach eigenen Angaben „wahnsinnig verliebt“ waren, hatte Bartels für seine Doktorarbeit am University College in London gewinnen können. Sie führten seit mindestens zwei Jahren eine feste und glücklichen Beziehung und hatten als Belohnung für die Studienteilnahme jeweils knapp 40 Mark und ein T-Shirt mit dem Abbild des eigenen Gehirns erhalten. Dafür mussten die elf Frauen und sechs Männer jeweils mehrere Minuten bewegungslos in dem halbkugelförmigen Untersuchungsgerät liegen, einem so genannten funktionellen Kernspintomographen (fMRI). In dieser Zeit sahen die Studienteilnehmer entweder Porträts ihrer Herzallerliebsten oder Bilder von guten Freunden gleichen Alters und Geschlechts. Die anschließende Auswertung mit dem Computer ergab, dass regelmäßig nur vier eng begrenzte Regionen des Gehirns beim Anblick des Geliebten aktiv wurden.

Das  „neuronale Korrelat der romantischen Liebe“ – so der Titel von Bartels Arbeit – findet sich demnach in Teilen der „medialen Insula“ und des „anterioren Cingulus“ der Großhirnrinde, sowie in tiefer liegenen Arealen des „Nucleus caudatus“ und des „Putamen“. All diese Hirnregionen waren bereits früher von anderen Wissenschaftlern mit Emotionen und Glücksgefühlen in Zusammenhang gebracht worden. Beispielsweise gehört der von Bartels identifizierte Teil des Putamen zu einer viel größeren Zone, in der der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird, wenn Testpersonen bei einem Videospiel erfolgreich sind. Auch liegen alle „Liebesareale“ in Bereichen des Gehirns, die nach der Einnahme von Drogen wie Kokain aktiv werden.

Selbst für das mitunter sehr beschränkte Denkvermögen verliebter Menschen hat Bartels eine plausible Erklärung gefunden:  Ein Blick auf das Bild des Geliebten genügte nämlich, um die Funktion mehrerer Hirnregionen zu beeinträchtigen, die für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und die Lösung komplizierter Aufgaben gebraucht werden. „Außerdem wurde der rechte präfrontale Kortex deaktiviert – eine Region, die interessanterweise bei Depressionen überaktiv ist“, sagte Bartels. Schliesslich seien bei den Verliebten zwei weitere Hirnteile ausgeschaltet worden, die bei Angstgefühlen eine wichtige Rolle spielen, nämlich der so genannte Mandelkern (Amygdala) und der „posteriore cingulate Gyrus“.

Außer einigen wenigen Untersuchungen, bei denen Wissenschaftler mit der gleichen Methode die Hirnaktivität freiwilliger Versuchspersonen bei sexueller Erregung gemessen haben, sei dies wohl die erste fMRI-Studie zu intensiven Glücksgefühlen, mutmaßte Bartels. „Ich war selbst erstaunt, dass vorher niemand auf die Idee gekommen ist“, berichtete der Neurowissenschaftler.

Auf die Frage nach der praktischen Bedeutung seiner Erkenntnisse entgegnete der Jungforscher lächelnd: „Jetzt wissen wir, welche Hirnteile man bei unglücklich Verliebten entfernen muss“. Außerdem werde man in Zukunft den Wahrheitsgehalt von Liebesschwüren mit Hilfe eines Kernspintomographen überprüfen können, scherzte Bartels.

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  • Jahrestagung der Society for Neuroscience, New Orleans, 2000. Erschienen bei www.netdoktor.de, in der Stuttgarter Zeitung, der Ärzte-Zeitung, der Rheinpfalz, den Nürnberger Nachrichten, der Berliner Zeitung, der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Rheinischen Post

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Wachsende Begeisterung über Stammzellen

Sechs Tage, 25000 Teilnehmer, 13500 Abstracts. Hinter diesen beeindruckenden Zahlen steckt die US-amerikanische Society for Neuroscience, die auch bei ihrem 30. Jahrestreffen gezeigt hat, dass die Begriffe „Masse“ und „Klasse“ durchaus vereinbar sein können. „Alle beschweren sich über die Größe des Meetings“, räumt der scheidende Präsident. Dennis Choi von der Washington University in St. Louis, ein. Und die Meisten sind genau deshalb zu „Stammgästen“ dieser Tagung geworden, ließe sich hinzufügen. Denn nirgendwo sonst wird Neurowissenschaftlern eine solche Themenvielfalt geboten. Wie Tauben den Weg nach Hause finden und mit welchen Nervenzentren die Schaben Madagaskars die Zischlaute ihrer Artgenossen empfangen, wurde ebenso diskutiert wie die neuesten Theorien der Bewußtseinsforscher oder High-Tech-Methoden zur holographischen Darstellung von Nervengeflechten.

Im Vordergrund standen jedoch gleichermaßen zukunftsträchtige wie medizinisch relevante Themen. Hunderte von Vorträgen waren alleine den Stammzellen gewidmet. Dass diese oftmals nur unscharf definierten biologischen Verwandlungskünstler schon bald als Ausgangsmaterial für eine Vielzahl klinischer Studien dienen werden, war die Conclusio, die in fast jeder Session mit großer Überzeugung vorgetragen wurde. Zwar handelte es sich bei den vorgestellten Arbeiten mit wenigen Ausnahmen um Tierversuche. Dennoch belegen Dutzende von Experimenten an Mäusen, Ratten und auch Affen die Reparatur der unterschiedlichsten Nervenschäden.

Erstmals konnte beispielsweise Tracy McIntosh vom Head Injury Center der University of Pennsylvania zeigen, dass embryonale neuronale Stammzellen bei erwachsenen Tieren die Erholung motorischer Funktionen nach traumatischen Hirnverletzungen beschleunigen. Evan Snyder von der Harvard Medical School präsentierte alleine ein halbes Dutzend Arbeiten, wonach die Stammzellen sogar die Fähigkeit besitzen, nach einer Injektion beispielsweise am Hinterkopf weite Strecken bis zum Läsionsort im frontalen Cortex zu wandern und die Schäden zu lindern. Bei einem Rattenmodell des Schlaganfalls reduzierte die Kombination aus Stammzellen und Nervenwachstumsfaktor (NGF) den Zellverlust um 20 Prozent, bei einem Modell der amyotrophen Lateralsklerose verlängerte sich die Überlebenszeit der Tiere von etwa zwei auf sechs Monate und bei experimentellen Glioblastomen erzielte Snyder eine hochsignifikante Reduktion der Tumormasse. Ein weitere mögliche Anwendung zeigte Jeffrey Rothstein von der Johns Hopkins University in Balitmore auf, dem es gelang, die Bewegungsfähigkeit vollständig gelähmter Ratten und Mäuse teilweise wieder herzustellen, indem er den Tieren eine Woche nach der virusinduzierten Läsion Stammzellen in den Spinalraum spritzte.

Im Mittelpunkt zahlreicher Vorträge standen die „Rezepte“, nach denen Stammzellen Wachstumsfaktoren gegeben oder entzogen werden müssen, um im Labor größere Mengen spezifischer Neuronen oder Gliazellen für Transplantationszwecke zu gewinnen. So gelang einem Team um Ron McKay am Labor für Molekulare Biologie des National Institute for Neurological Disorders and Stroke nicht nur die Zucht dopaminerger Neuronen aus embryonalen Stammzellen der Maus. Nach der Transplantation dieser Zellen in die Substantia nigra erwachsener Tiere konnte McKay auch funktionelle Verbindungen zu präexistenten Neuronen nachweisen, die mit einer deutlichen Verringerung der Bewegungsstörungen bei den vorgeschädigten Versuchstieren einher gingen.

„Wenn uns dieser Schritt auch mit menschlichen Zellen gelänge, so stünde damit eine unerschöpfliche Quelle von Nervenzellen für die Transplantation bei Parkinson-Kranken bereit“, erläuterte McKays Mitarbeiterin Nadya Lumelsky. Tatsächlich hat einer der Pioniere auf diesem Gebiet, Anders Björklund von der schwedischen Universität Lund, bereits angekündigt, er wolle mit derartigen Zellinien die in seinem Land erfolgreich praktizierte Transplantation embryonaler Zellen aus abgetriebenen menschlichen Embryonen überflüssig machen. Neben den vielen technischen Schwierigkeiten bei der Gewinnung dieser Gewebe ließen sich so auch die ethischen Probleme überwinden, die eine Anwendung der Technik in Deutschland bislang verhindert haben.

Vielleicht wird die Ethikkommission der Bundesärztekammer ein entsprechendes Votum aber auch nochmals überdenken müssen, nachdem in New Orleans gleich zwei Arbeitsgruppen über die erfolgreiche Transplantation humaner Fötalzellen aus Patienten mit Chorea Huntington berichtet haben: Marc Peschanski vom INSERM-Forschungsinstitut in Creteil bei Paris stellte zwei Jahre nach der Operation steht fest, dass lediglich einer von fünf Patienten nicht von dem Eingriff profitierte. Bei den anderen sah Peschanski zum Teil drastische Verbesserungen. „Die praktische Relevanz zeigt sich daran, dass die Patienten bereits verloren gegangene Fähigkeiten wieder erlangten: Sie können zum Beispiel wieder Fahrrad fahren oder Gitarre spielen.“ Der Star der Studie sei ein Patient gewesen, der sich auf der Bewertungsskala UHDRS (Unified Huntington´s Disease Rating Scale) von 28 auf 13 verbessert hat. „Vorher konnte er nicht einmal auf einem Stuhl sitzen, zwei Jahre später sind seine Behinderungen bis auf gelegentliche Zuckungen im Gesicht verschwunden“, übersetzte der Neurochirurg den Befund.

Auch Thomas B. Freeman, Professor für Neurochirurgie an der University of South Florida, konnte die ersten Daten zu fünf transplantierten Huntington-Patienten vorlegen. Einer erlitt eine Subdural-Blutung; bei den anderen vier aber hätten sich die Bewegungsstörungen um durchschnittlich 20 Prozent verringert, das Geh- und Balancevermögen um etwa sieben Prozent verbessert und die Aufnahme des Botenstoffes Dopamin in den transplantierten Hirnregionen um etwa neun Prozent zugenommen. „Dies macht Hoffnung auf eine Reparatur der Hirnfunktion bei Huntington-Kranken“, erklärte der Mediziner.

Neben der „harten Wissenschaft“ konnte man in New Orleans auch einiges über die innersten menschlichen Regungen dazu lernen. So gelang es Andreas Bartels vom University College London das „neuronale Korrelat der romantischen Liebe“ dingfest zu machen. Der schweizerische Doktorand in der Arbeitsgruppe von Seymour Zeki hatte 17 Freiwillige, die nach eigenen Angaben „wahnsinnig verliebt“ („truly and madly in love“) waren, zur kernspintomographischen Untersuchung gebeten. Dort präsentierte Bartels den Studienteilnehmer entweder Porträts ihrer Herzallerliebsten oder Bilder von guten Freunden gleichen Alters und Geschlechts. Die anschließende Auswertung ergab, dass regelmäßig nur vier eng begrenzte Regionen des Gehirns beim Anblick des Geliebten aktiv wurden: es handelt sich dabei um Teile der medialen Insula und des anterioren Cingulus der Großhirnrinde, sowie um tiefer liegende Arealen des Nucleus caudatus und des Putamens. All diese Hirnregionen waren bereits früher von anderen Wissenschaftlern mit Emotionen und Glücksgefühlen in Zusammenhang gebracht worden. Beispielsweise gehört der von Bartels identifizierte Teil des Putamen zu einer viel größeren Zone, in der der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird, wenn Testpersonen bei einem Videospiel erfolgreich sind. Auch liegen alle „Liebesareale“ in Bereichen des Gehirns, die nach der Einnahme von Drogen wie Kokain aktiv werden.

Die unvermeidlichen Fragen der Journalisten nach der praktischen Bedeutung seiner Erkenntnisse konterte der Jungforscher souverän: „Jetzt wissen wir, welche Hirnteile man bei unglücklich Verliebten entfernen muss“. Außerdem werde man in Zukunft den Wahrheitsgehalt von Liebesschwüren mit Hilfe eines Kernspintomographen überprüfen können, scherzte Bartels.

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Teure Reagenzglasbefruchtung

Die Erfolgsquote der Reagenzglasbefruchtung ist offenbar nicht höher als beim vergleichsweise einfachen Samentransfer in die Gebärmutter. Wie aus einer Studie mit 258 Paaren hervorgeht, gilt dies zumindest für jene Frauen, deren Kinderwünsche aus ungeklärten Ursachen oder wegen schlechter Spermienqualität des Mannes nicht in Erfüllung gehen. „Das Ergebnis hat uns selbst überrascht und ist wohl damit zu erklären, dass die körperlichen und emotionalen Belastungen durch die Reagenzglasbefruchtung sehr oft zum Abbruch der Behandlung führten“, erklärte Studienleiterin Angelique Goverde von der Freien Universität Amsterdam. Die Teilnehmerinnen der Untersuchung repräsentieren der Gynäkologin zufolge „einen großen Teil“ aller unfruchtbaren Frauen.

Die 87 Frauen, welche in der Studie die Reagenzglasbefruchtung (In-Vitro-Fertilisation, IVF) erhalten hatten, gebaren 33 gesunde Kinder. 85 Frauen, denen nach einer Hormonstimulation Samen in die Gebärmutter gespritzt wurde (Intra-Uterine Insemination, IUI), brachten 31 gesunde Kinder zu Welt; das gleiche Verfahren ohne Hormonstimulation führte zu 25 Geburten unter 86 Frauen.

Viele Fachleute waren bislang davon ausgegangen, dass die In-Vitro-Fertilisation, bei der Samen und Eizelle in einer Kulturschale miteinander verschmolzen werden, die bessere Methode ist. Allerdings sind dafür umfangreiche Vorbereitungen notwendig, weil der weibliche Körper mit zeitlich genau abgestimmten Hormongaben auf die Schwangerschaft eingestellt werden muss. Zudem müssen reife Eizellen in einer Operation abgesaugt und nach der Befruchtung im Labor entwicklungsfähige Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt werden. Die Berechnungen der niederländischen Wissenschaftler zeigen, dass dieses Verfahren außer den körperlichen Strapazen und der emotionalen Belastung auch drei mal so hohe Kosten verursacht wie die Intra-Uterine Befruchtung.

In der nun veröffentlichten Studie waren mit jeder Methode maximal sechs Behandlungszyklen vorgesehen. Während jedoch die Teilnehmerinnen mit IVF insgesamt nur 270 Behandlungszyklen über sich ergehen ließen, waren es in den beiden IUI-Gruppen 355 bzw. 338 Versuche. So war die Erfolgsquote pro Behandlungszyklus zwar mit IVF am höchsten, die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden aber wegen der vielen abgebrochenen Behandlungen nicht höher als mit dem billigeren Samentransfer in die Gebärmutter.

„Ratsuchenden Paaren sollte man sagen, dass die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft mit beiden Methoden gleich gut sind und das die Intra-Uterine Insemination das bessere Kosten/Nutzen-Verhältnis bietet“, kommentierte Goverde ihre Studie. „Weil die IUI ohne Hormonstimulation überdies weniger Gesundheitsrisiken birgt, ist sie die Methode der ersten Wahl.“

Die In-Vitro-Fertilisation war ursprünglich für Frauen entwickelt worden, bei denen beschädigte oder verschlossene Eileiter eine Schwangerschaft verhinderten. In manchen Ländern wie Belgien und den USA verlangen jedoch viele Frauen nach der Methode, bei denen diese Voraussetzung nicht gegeben ist, erklärte Goverde. „Sie haben in den Zeitungen von den tollen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmediziner gelesen und unterschätzen die Belastung durch das High-Tech-Verfahren IVF. Die Intra-Uterine-Befruchtung hat dagegen bei vielen das Image einer landwirtschaftlichen Zuchtmethode“.

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Frische Zellen gegen die Schüttellähmung

Ob Herz oder Niere, längst ist die Organtransplantation zur Routine geworden. Nur das Gehirn stellte die Medizin bisher vor scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten. Dabei gelangen Wissenschaftlern schon in den 80er Jahren beeindruckende Erfolge mit der Verpflanzung von Nervenzellen bei Ratten, die an einer Parkinson-ähnlichen Krankheit litten. Tiere, die sich zuvor hilflos im Kreis gedreht hatten, gewannen ihre ursprüngliche Bewegungsfähigkeit zurück oder drehten sich zumindest deutlich langsamer. Allerdings waren die Spenderzellen für die Tierversuche aus dem Gewebe abgetriebener Rattenembryonen gewonnen worden.

Da die Umsetzung dieser Strategie beim Menschen große ethische Probleme bereitet, versuchte man zunächst, Gewebe aus dem Nebennierenmark von Parkinsonpatientenzu entnehmen und in die geschädigten Hirnregionen zu transplantieren. Bis 1989 wurden weltweit mehr als 300 solcher Eingriffe vorgenommen, jedoch führte dies nur bei einem Drittel der Kranken zu einer leichten Verbesserung der Bewegungsstörungen in den ersten neun Monaten. Den bei Parkinsonpatienten fehlenden Botenstoff Dopamin konnten die Zellen aus der Niere offenbar nicht ersetzen.

Hirngewebe aus abgetrieben menschlichen Embryonen implantierte 1987 erstmals ein Ärzteteam aus Mexico City bei einem Parkinsonpatienten. Ähnliche Eingriffe gab es seitdem rund 250 Mal, wobei die Arbeitsgruppe um Anders Björklund an der schwedischen Universität Lund besonders erfolgreich war. Die transplantierten Zellen übernehmen die Aufgabe abgestorbenen Gewebes in der Hirnregion der Substantia nigra und sie überleben dort mindestens ein halbes Jahr nach dem Eingriff.

In den letzten zehn Jahren hat Björklund mindestens 16 Patienten behandelt, darunter auch zwei Deutsche. Für die Entnahme der Zellen hatte die schwedische Regierung eigens ein Gesetz erlassen. Durch die vollständige Trennung von legalen Abtreibungen und Zelltransplantationen soll verhindert werden, dass Embryonen als Organspender missbraucht werden. Auch die europäische Expertenkommission Nectar (Network on European CNS Transplantation and Restoration) hat Richtlinien verabschiedet, die eine strikte Trennung zwischen Schwangerschaftsabbruch und Gewebegewinnung vorschreiben. Die mögliche Nutzung von Gewebe darf also keinerlei Einfluss auf die Entscheidung der Frau haben.

In den Vereinigten Staaten ist die staatliche Förderung derartiger Experimente derzeit verboten. Renommierte Forscher wie Curt Freed von der University of Colorado haben dennoch zahlreiche Patienten behandelt, die an der Parkinson´schen Krankheit litten. Das Geld dafür wurde Freed von privaten Spendern und Biotechfirmen bereitgestellt. Zwar sind die Ergebnisse von Freeds Arbeiten größtenteils noch unveröffentlicht, doch konnte er auf einer Fachkonferenz im Frühjahr 1999 zumindest berichten, daß ein Teil der jüngeren Patienten von der Behandlung profitiert.

In Deutschland gelten die Richtlinien der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zur Übertragung von Nervenzellen in das Gehirn von Menschen. Darin werden „erhebliche Bedenken“ gegen Heilversuche und klinische Studien zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorgebracht und ein Versuchsstopp empfohlen, bis die Grundlagenforschung weiter fortgeschritten ist. Einen möglichen Ausweg aus dem ethischen Dilemma sehen Björklund, Freed und andere Wissenschaftler darin, Nervenzellen im Labor zu züchten oder von Tieren zu gewinnen. Ron McKay vom Nationalen Schlaganfallinstitut der USA ist es bereits gelungen, die Zahl embryonaler Rattenzellen in Kulturschalen zu verzehnfachen und mit diesen Zellen erwachsene Tiere erfolgreich zu behandeln. Im Herbst vergangenen Jahres verpflanzte Freed klonierte Kuhzellen auf parkinsonkranke Ratten. Wenig später fanden Forscher der Universitäten Lund und Konstanz einen Trick, um die Haltbarkeit embryonaler Zellen nach der Transplantation zu verbessern. Ihnen gelang es, ein Enzym auszuschalten, welches kurz nach der Transplantation einen Großteil des verpflanzten Gewebes zerstört. Der Anteil überlebender Zellen konnte so in Ratten auf das Vierfache gesteigert werden.

Mit embryonalen Schweinezellen versucht die amerikanische Biotechfirma Genzyme die Versorgungslücke zu schließen. Erste Versuche seien sowohl bei 12 Parkinsonpatienten als auch bei 12 Patienten mit Chorea Huntington ermutigend verlaufen, teilte die Firma im April 1999 mit. Im Februar diesen Jahres hat Genzyme ähnliche Experimente in Großbritannien beantragt, meldete der Nachrichtensender BBC. Allerdings hat der Europarat kürzlich ein Moratorium für die Verpflanzung tierischer Organe auf den Menschen gefordert. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dabei Krankheitserreger verschleppt oder gar neue Seuchen verursacht werden.

Ohne embryonales Gewebe und ohne tierische Zellen behandelte Douglas Kondziolka vom Center for Image-Guided Neurosurgery der University of Pittsburgh bisher neun Patienten, die einen Schlaganfall erlitten hatten. Kondziolka nutzte Zellen, die ursprünglich aus einem Tumor gewonnen und durch Zugabe von Vitamin A dauerhaft in Nervenzellen verwandelt wurden. Lizenznehmer ist die Firma Layton Bioscience welche die „gezähmten“ Tumorzellen in ihren Katalogen zum Versand anbietet. Ihre Bewährungsprobe haben die so genannten hNT-Neuronen bereits bestanden, wie Kondziolka im Februar 1999 auf einer Fachtagung der American Heart Association berichtet hat: Alle Operationen die jeweils etwa ein halbes Jahr nach dem Schlaganfall erfolgten, seien unproblematisch und sicher gewesen, berichtete der Neurochirurg. Bereits 24 Stunden nach dem Eingriff konnten die Patienten die Klinik verlassen. Drei von ihnen vermeldeten „geringfügige Verbesserungen der Beweglichkeit“, doch ist laut Kondziolka unklar, ob dieser Erfolg dem Eingriff selbst oder anderen Faktoren zu verdanken ist.

Forschern der kanadischen Firma NeuroSpheres Limited ist es sogar schon gelungen, mit Nervenstammzellen Mäuse zu retten, die eine normalerweise tödliche Strahlendosis erhalten hatten. Wie Christopher R.R. Bjornsen und seine Kollegen in der Fachzeitschrift „Science“ berichteten (Band 283, S. 534, 1999), wanderten die transplantierten Stammzellen ins Rückenmark und übernahmen dort die Herstellung aller Arten von Blutzellen.

In Fachkreisen haben derartige Versuche große Begeisterung hervorgerufen, berichtete Evan Snyder vom Children´s Hospital in Boston im Januar 1999 auf der Jahrestagung der US-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (AAAS) in Anaheim. Snyder, der selbst zu den erfolgreichsten Forschern auf diesem Gebiet zählt, verglich die neuronalen Stammzellen mit Saatgut, das die Löcher in einem kaputten Rasen stopfen könnte. Menschliche Nervenstammzellen, die Evans auf Mäuse mit verschiedenen Arten von Hirnschäden transplantierte, wanderten selbstständig dorthin, wo sie gebraucht wurden. Am Unfallort reiften sie dann zu exakt den Zelltypen heran, die am dringendsten benötigt wurden und nahmen Kontakt zu intakten Nachbarzellen auf. „Ich denke, wir haben jetzt eine Alternative zur Transplantation embryonaler menschlicher Zellen gefunden“, sagte Snyder. Ausreichende finanzielle Mittel vorausgesetzt können die Erprobung der Technik bereits in zwei Jahren beginnen.

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Tiefe Hirnstimulation bei Parkinson erfolgreich

Das Zittern und Zappeln seiner Patienten kann Andries Bosch hervorragend imitieren: Wie eine Marionette an den Fäden eines ungeschickten Puppenspielers bewegt sich der Neurochirurg durch den Raum, um plötzlich wieder in einen normalen, entspannten Gang zu verfallen. „So sieht es aus, wenn ich den Schalter umlege und das Gehirn elektrisch stimuliere”, beschreibt der Niederländer das spektakuläre Ergebnis des Eingriffes, den er schon Dutzende Male an der Universität Amsterdam durchgeführt hat.

Meist sind es ältere Menschen im fortgeschrittenem Stadium der Parkinson-Krankheit, die von der sogenannten Tiefhirnstimulation profitieren, erklärte Bosch auf dem 8. Kongress der Europäischen Gesellschaft für Stereotaktische und Funktionale Neurochirurgie, der kürzlich in Freiburg stattfand. Etwa ein Viertel aller Vorträge waren der Tiefhirnstimulation und ähnlichen Techniken gewidmet. Das starke Interesse überrascht Bosch nicht im geringsten: „Bis zu 80 Prozent aller Patienten könnten von diesen Eingriffen profitieren, wenn sechs bis acht Jahre nach Beginn des Leidens die Medikamente ihre Wirkung verlieren.” Probleme gibt es allerdings noch mit den Krankenkassen. In den Niederlanden ebenso wie in Deutschland weigern sie sich derzeit noch, die Kosten von etwa 15000 Mark zu erstatten. Doch das wird sich ändern, wenn Bosch mit seiner derzeit laufenden Studie Erfolg hat. Videoaufnahmen, die 70 Patienten, mit „Zitterkrankheiten”, Parkinson oder Multipler Sklerose jeweils vor und nach der Operation zeigen, sollen zusammen mit verschiedenen Bewertungssystemen den Beweis erbringen, daß die Tiefhirnstimulation auch unter finanziellen Gesichtspunkten eine sinnvolle Methode darstellt.

Die Chancen dafür stehen gut, weiß Bodo-Christian Kern, Oberarzt am Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) der Freien Universität Berlin. Zwar wurde die High-Tech-Operation, bei der dem Patienten eine Elektrode ins Gehirn implantiert wird, erst kürzlich von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA genehmigt. In Europa hat man damit jedoch schon seit 1989 Erfahrungen gesammelt.

Allein acht Zentren in Deutschland verfügen über das nötige Know-how, darunter die Universitätskliniken in Heidelberg, Köln, Homburg an der Saar und München. Weltweit, schätzt Kern, wurden bisher rund tausend Parkinsonkranke mit der neuen Methode behandelt. 50 bis 60 dieser Patienten erhielten die Therapie in Berlin an der Neurochirurgischen Klinik des UKBF, die Kerns Chef, Mario Brock, leitet. Die Erfolgsquote des neuen Verfahren, berichtet Kern, liegt bei 80 bis 85 Prozent. Bei anderen Zitterkrankheiten seien es sogar 90 Prozent.

Durch ein kleines Loch in der Schädeldecke schieben die Ärzte während der Operation vorsichtig eine Elektrode in eines jener Nervenzentren, deren Schädigung Zittern, Zuckungen und Muskelsteife verursachen kann. Anders als beim einfachen Zittern (Tremor), bei dem in der Regel das Zwischenhirn Ziel der Operation ist, steuern die meisten Arbeitsgruppen bei ihren Parkinsonpatienten tiefer liegende Hirnregionen an. Zu diesen zählen der sogenannte Globus pallidus im Endhirn sowie der Nucleus subthalamicus. Die erbsengroßen Nervenknoten sind beide an der Feinsteuerung von Bewegungen beteiligt.

Während der Operation müssen sich die Chirurgen quasi blind zu ihrem Ziel vortasten. Zwar kartieren Neuroradiologen das Operationsgebiet zuvor mit Hilfe modernster bildgebender Verfahren. Die Feinortung im Hirn des Patienten können die Mediziner jedoch nur gemeinsam mit dem Kranken vornehmen: Bei vollem Bewußtsein muß er während des Eingriffs auf Zuruf einen Finger, die Hand oder den Arm bewegen, bis die Ärzte zum richtigen Hirnareal vorgedrungen sind. Unter Vollnarkose wird schließlich ein Stimulator vom Format eines größeren Feuerzeugs unterhalb des Schlüsselbeins implantiert und mit der Elektrode im Kopf verbunden. Nach der Operation stellt der Arzt Stromstärke und Frequenz der Schrittmacher-Impulse individuell auf den Kranken ein. Mit einem Magneten kann der Patient seinen Hirnschrittmacher später nach Belieben einschalten, sobald das Zittern beginnt. Die elektrischen Impulse bringen die Zuckungen sofort zum Stopp.

Kommt es durch die Operation trotz aller Vorsicht zu Problemen – etwa zu einem Taubheitsgefühl in der Hand – bleibt als letzte Möglichkeit noch immer: Abschalten. Diese Option ist für Kern der Hauptvorteil der Tiefhirnstimulation gegenüber der fast 50 Jahre alten Pallidotomie. Auch bei dieser wird dem Patienten eine Elektrode ins Gehirn eingeführt – doch nur für die Dauer der Operation. Der Draht dient hierbei dazu, ein etwa linsengroßes Stück Gewebe im Zwischenhirn regelrecht zu verbrennen. Spezialisten wie Christoph Ostertag von der Universität Freiburg haben die Pallidotomie in den vergangenen Jahren ständig verfeinert und haben damit bereits große Erfahrung, die bei der noch jungen Hirnschrittmacher-Methode fehlt. Die Methode ist laut Ostertag wesentlich billiger und erspart entfernt lebenden Patienten den Weg in die Spezialklinik zur Nachjustierung des Stimulators. Der Trend in der Neurochirurgie gehe jedoch seit einigen Jahren weg vom Zerstören, das immer irreversibel ist, hin zur Stimulation von Hirnzentren, die man jederzeit beenden wieder kann, sagt Kern.

Der Oberarzt des Berliner Universitätsklinikums räumt aber ein, daß auch die Tiefhirnstimulation Risiken mit sich bringt. Bei vier Prozent der Eingriffe entstünden im Gehirn größere Verletzungen an Blutgefäßen, die ähnliche Folgen haben wie ein kleiner Schlaganfall. Viele Patienten würden diese Gefahr bereitwillig in Kauf nehmen. Doch auch in Berlin verweigern die Krankenkassen die Kostenerstattung, so daß die Stimulatoren derzeit noch aus der Klinikkasse bezahlt werden müssen. Kern empfindet dies als große Ungerechtigkeit, da Medikamente täglich bis zu 10 Mark kosten und anstandslos erstattet werden. Dabei sei die Wirkung der Substanzen von begrenzter Dauer. Denn sie können zwar den Botenstoff Dopamin ersetzen, nicht jedoch seine Empfängerzellen in der winzigen Hirnregion Substantia nigra, die im Verlauf der Krankheit absterben.

Möglicherweise werden sich jedoch Stoffe wie der gentechnisch hergestellte Wachstumsfaktor GDNF, den Forscher derzeit in klinischen Studien testen, besser bewähren. Er soll den Tod der Hirnzellen verzögern. Gleichzeitig arbeitet man daran, Nervenzellen von Verstorbenen oder von Tieren im Labor auf die Produktion von GDNF und ähnlichen Substanzen zu programmieren. Die Zellen sollen dann ins Gehirn von Patienten verpflanzt werden und dort als lebende Arzneifabriken dem Verfall entgegenwirken. Bis es jedoch soweit ist, sind Hirnschrittmacher neben der Pallidotomie die einzige Alternative für die etwa 280 000 Parkinsonkranken hierzulande. Von den Elektroden im Kopf profitieren sie mindestens zwei Jahre, wie die wenigen bisher veröffentlichten Studien zeigen – vielleicht sogar länger.

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Blutdruck senken ohne Pillen

„Sie können mir glauben, daß wir von unseren eigenen Ergebnissen überrascht waren”, bekannte Deborah Young. Ursprünglich hatte die Professorin an der Johns Hopkins University School of Medicine im amerikanischen Baltimore nur prüfen wollen, ob leichte gymnastische Übungen den Blutdruck bei älteren Menschen senken können. Doch beim Vergleich der chinesischen Entspannungstechnik Tai Chi mit einem Fitness-Programm mittlerer Intensität erwiesen sich beide Methoden als gleichermaßen wirksam.

Wie Young vergangene Woche auf einer Fachkonferenz in Santa Fe berichtete, hatten 62 größtenteils weiblich Senioren über 60 Jahren an der Untersuchung teilgenommen. Mit Werten zwischen 130 und 159 Millimeter Quecksilber (mmHg) für den systolischen (oberen) Blutdruck lagen die Versuchsteilnehmer anfänglich knapp unterhalb des kritischen Bereiches. Während nun die eine Hälfte der Senioren ein zwölfwöchiges Bewegungsprogramm mit strammen Spaziergängen und leichten Aerobic-Übungen absolvierte, lernte die zweite Gruppe Tai Chi: Ausgehend von mehreren, festgeschriebenen Grundpositionen werden bei diesem chinesischen „Volkssport“ fließende, rhythmische Bewegungen ausgeführt, die zu verschiedenen Abbildern führen wie etwa „der Storch zeigt seine Flügel”.

Schon nach sechs Wochen verzeichneten die Ärzte in beiden Gruppen eine Blutdrucksenkung. Nach zwölf Wochen waren die Werte in der Tai Chi-Gruppe um durchschnittlich sieben mmHg verringert, in der Fitness-Gruppe waren es acht mmHg.

„Es könnte sein, daß es bei älteren Menschen genügt, einfach aufzustehen und einige langsame Bewegungen auszuführen, um den Blutdruck zu senken”, folgerte Young. Gleichzeitig warnte die Ärztin jedoch davor, die Wanderschuhe an den Nagel zu hängen und durch Tai Chi zu ersetzen. „Unsere Untersuchung muß erst noch mit einer größeren Anzahl von Menschen bestätigt werden. Der gesundheitliche Nutzen strammer Spaziergänge ist eindeutig nachgewiesen; für Tai Chi fehlt es uns noch an Daten.”

Fast zeitgleich mit Young haben US-Forscher die Ergebnisse der sogenannten TONE-Studie vorgestellt, die ebenfalls belegt, daß eine Blutdrucksenkung bei leicht erhöhten Werten in vielen Fällen ohne Medikamente möglich ist. Im Journal of the American Medical Association berichten Studienleiter Paul Whelton, Dekan der Tulane University School of Public Health and Tropical Medicine in New Orleans und dessen Kollegen, daß ein „verringerter (Natrium)-Salzkonsum und Gewichtsreduktion eine mögliche, effektive und sichere Therapie des Bluthochdrucks bei älteren Personen ist.”

Mit 30 Monaten Dauer und 975 Teilnehmern zwischen 60 und 80 Jahren ist die von den US-Gesundheitsinstituten (NIH)  finanzierte TONE-Studie die bislang größte ihrer Art. Obwohl die Studienteilnehmer nur leicht erhöhte Blutdruckwerte hatten, erhielten anfänglich alle auf anraten ihrer Ärzte Medikamente. Eine viermonatige Schulung durch Ernährungs- und Bewegungsberater half den Probanden beim Abnehmen und bei der Umstellung der Ernährung auf salzarme Kost. Immerhin jeder dritte Teilnehmer konnte zum Studienende auf Arzneimittel verzichten. „Das zeigt, daß Verhaltensänderungen bei der Behandlung des Bluthochdrucks eine wichtige Rolle spielen”, kommentierte Richard Hodes, Direktor des amerikanischen Altersinstituts NIA (National Institute on Aging).

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