Neuroforscher entzaubert das Rätsel der Liebe

Einer winzig kleinen Regionen des Gehirns verdanken die Menschen das schönste aller Gefühle: Die Große Liebe. „Es ist faszinierend, das die Hirnaktivität bei diesem überwältigenden Gefühl so eng beschränkt ist“, kommentierte der Schweizer Neurowissenschaftler Andreas Bartels das Ergebnis seiner Forschungen, die er auf der Jahrestagung der amerikanischen Society for Neuroscience in New Orleans präsentiert hat. Nur wenige Quadratzentimeter gross sind demnach die Areale in unserem Denkorgan, die auf computergenerierten Hirnbildern regelrecht aufleuchten, wenn Frauen oder Männer das Abbild ihrer Geliebten sehen.

17 Freiwillige, die nach eigenen Angaben „wahnsinnig verliebt“ waren, hatte Bartels für seine Doktorarbeit am University College in London gewinnen können. Sie führten seit mindestens zwei Jahren eine feste und glücklichen Beziehung und hatten als Belohnung für die Studienteilnahme jeweils knapp 40 Mark und ein T-Shirt mit dem Abbild des eigenen Gehirns erhalten. Dafür mussten die elf Frauen und sechs Männer jeweils mehrere Minuten bewegungslos in dem halbkugelförmigen Untersuchungsgerät liegen, einem so genannten funktionellen Kernspintomographen (fMRI). In dieser Zeit sahen die Studienteilnehmer entweder Porträts ihrer Herzallerliebsten oder Bilder von guten Freunden gleichen Alters und Geschlechts. Die anschließende Auswertung mit dem Computer ergab, dass regelmäßig nur vier eng begrenzte Regionen des Gehirns beim Anblick des Geliebten aktiv wurden.

Das  „neuronale Korrelat der romantischen Liebe“ – so der Titel von Bartels Arbeit – findet sich demnach in Teilen der „medialen Insula“ und des „anterioren Cingulus“ der Großhirnrinde, sowie in tiefer liegenen Arealen des „Nucleus caudatus“ und des „Putamen“. All diese Hirnregionen waren bereits früher von anderen Wissenschaftlern mit Emotionen und Glücksgefühlen in Zusammenhang gebracht worden. Beispielsweise gehört der von Bartels identifizierte Teil des Putamen zu einer viel größeren Zone, in der der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird, wenn Testpersonen bei einem Videospiel erfolgreich sind. Auch liegen alle „Liebesareale“ in Bereichen des Gehirns, die nach der Einnahme von Drogen wie Kokain aktiv werden.

Selbst für das mitunter sehr beschränkte Denkvermögen verliebter Menschen hat Bartels eine plausible Erklärung gefunden:  Ein Blick auf das Bild des Geliebten genügte nämlich, um die Funktion mehrerer Hirnregionen zu beeinträchtigen, die für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und die Lösung komplizierter Aufgaben gebraucht werden. „Außerdem wurde der rechte präfrontale Kortex deaktiviert – eine Region, die interessanterweise bei Depressionen überaktiv ist“, sagte Bartels. Schliesslich seien bei den Verliebten zwei weitere Hirnteile ausgeschaltet worden, die bei Angstgefühlen eine wichtige Rolle spielen, nämlich der so genannte Mandelkern (Amygdala) und der „posteriore cingulate Gyrus“.

Außer einigen wenigen Untersuchungen, bei denen Wissenschaftler mit der gleichen Methode die Hirnaktivität freiwilliger Versuchspersonen bei sexueller Erregung gemessen haben, sei dies wohl die erste fMRI-Studie zu intensiven Glücksgefühlen, mutmaßte Bartels. „Ich war selbst erstaunt, dass vorher niemand auf die Idee gekommen ist“, berichtete der Neurowissenschaftler.

Auf die Frage nach der praktischen Bedeutung seiner Erkenntnisse entgegnete der Jungforscher lächelnd: „Jetzt wissen wir, welche Hirnteile man bei unglücklich Verliebten entfernen muss“. Außerdem werde man in Zukunft den Wahrheitsgehalt von Liebesschwüren mit Hilfe eines Kernspintomographen überprüfen können, scherzte Bartels.

Quelle:

  • Jahrestagung der Society for Neuroscience, New Orleans, 2000. Erschienen bei www.netdoktor.de, in der Stuttgarter Zeitung, der Ärzte-Zeitung, der Rheinpfalz, den Nürnberger Nachrichten, der Berliner Zeitung, der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Rheinischen Post

Weitere Informationen:

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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