Lehrreicher Krankenhausreport

Wie gut sind unsere Krankenhäuser? Diese Frage hat Utta Seidenspinner im Auftrag des ZDF untersucht, und weil mich diese Frage beruflich ebenso wie privat interessiert habe ich die gleichnamige 45 Minuten lange Sendung angeschaut, kritisch hinterfragt und – auch für Sie – das Wichtigste mitgeschrieben.

Beginnen wir mit einigen Fakten: Fast 2000 Krankenhäuser gibt es in Deutschland, jeweils etwa ein Drittel davon sind kommunale Einrichtungen, sie haben gemeinnützige Träger, oder es handelt sich um Privatkliniken. In den 2000 Krankenhäusern stehen eine halbe Million Betten, etwa 30 Prozent davon sind leer.

Geht Profit vor Patientenwohl? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Sendung, und dazu sollte man wissen, dass fast 40 Prozent aller Häuser Verluste machen und 20 Prozent die Schließung wegen Pleite droht. Das Geld ist also knapp, obwohl jeder dritte Euro aus unseren Kassenbeiträgen in die Krankenhäuser fließt. Eine mögliche Lösung wären vielleicht höhere Beiträge – aber wer will die schon bezahlen? Schon jetzt erhalten die Kliniken jährlich 87 Milliarden Euro.

Ursprünglich hatten die Kliniken bei der Abrechnung ihrer Leistungen Tagessätze zugrunde gelegt. Vor 13 Jahren wurde das System dann umgestellt auf Fallpauschalen. Das bedeutet, dass es für jede Diagnose bzw. jeden Eingriff (wie z.B. einen entzündeten Blinddarm, der in einer Operation entnommen wird), einen festen Betrag gibt, egal wie lange der Patient dafür in der Klinik bleiben muss. So entstand der wirtschaftliche Anreiz, schneller und effizienter zu arbeiten, aber auch mehr Eingriffe zu machen. Vor allem solche mit besonders attraktiven Fallpauschalen.

Die Folgen waren absehbar: Früher mussten die Kliniken ihre Patienten möglichst lange behalten, wenn sie viel Geld verdienen wollten. Heute kommt es darauf an, möglichst viele in möglichst kurzer Zeit zu „verarzten“. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Klinik ist drastisch gesunken. Wie das Statistische Bundesamt kürzlich berichtete waren es im Jahr 2015 nur noch 7,4 Tage gegenüber fast doppelt so vielen (14) im Jahr 1991. Die Zahl der Klinken verringerte sich im gleichen Zeitraum von 2411 auf 1980. Gleichzeitig stieg aber die Zahl der Operationen auf 16 Millionen im Jahr. Die ambulanten Eingriffe verdreifachten sich sogar im Zeitraum 2003 bis 2013, wie eine weitere Statistik belegt.

Jetzt aber genug der Zahlen. Der Verdacht steht im Raum, dass der wirtschaftliche Druck auf den Krankenhäusern zu Lasten der Patienten geht, und dass sich eine Zwei-Klassen-Medizin entwickelt, bei der die besser zahlenden Privatpatienten gegenüber den gesetzlich Versicherten bevorzugt werden.

Getestet haben die Macher der Sendung ihre Vermutung, indem sie zwei verschiedene Patienten in einem Münchner Klinikum begleiteten: Eine gesetzlich versicherte Hausfrau und ein privat versicherter Geschäftsmann, die aber beide wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert werden mussten. Tatsächlich wurden beide im selben OP von dem selben Chirurgen operiert. Das Team umfasste jeweils sechs Personen und auch die benutzten Gerätschaften waren identisch. „Wir stellen fest: Der medizinische Aufwand ist der Gleiche.“ Dies bescheinigt auch der befragte Experte, Prof. Klaus-Dieter Zastrow.

Bei Verpflegung und Unterkunft gab es sehr wohl Unterschiede. Einzel- versus Mehrbettzimmer, mehr oder weniger gutes Essen,. Und natürlich die freie Arztwahl als „Bonus“ für die Privatversicherten. Dabei muss eine Chefarztbehandlung nicht unbedingt besser sein, sagt der Gesundheitsökonom Prof. Gerd Glaeske.

Ein weiterer Test soll die Frage beantworten, ob wegen der finanziellen Anreize zu viel operiert wird. Dieser Verdacht besteht insbesondere bei den jährlich 155000 Knie- und 212000 Hüftoperationen, sowie den 150000 Bandscheiben-Operationen.

Also lässt man einen Testpatienten mit vorgeschädigtem Knie zunächst bei einem medizinischen Gutachter beraten.  Der hält eine Operation für unnötig und rät eher zu einer Physiotherapie. Den gleichen Rat erhält der Testpatient in allen drei Kliniken, die er besucht. Dies obwohl doch eine Physiotherapie für die Klinik viel weniger Einnahmen bedeutet, als eine Operation…

Die These von den kommerzgetriebenen Kliniken (und Ärzten) ist damit aber nicht vom Tisch. Es folgt ein Bericht über einen frühgeborenen Jungen, der offenbar zu spät in eine Spezialklinik verlegt wurde, weil das Geburtskrankenhaus seine Möglichkeiten überschätzte. Ob bei der Verzögerung wohl eine Rolle spielte, dass die Versorgung von Frühchen besonders gut honoriert wird?

Der Abbau des Pflegepersonals wird ebenfalls angesprochen. Die wohl schwächsten Glieder in der Versorgung-Kette sind doppelt so häufig krank wie der Durchschnitt der Berufstätigen; ein Drittel sei vom Burn-Out gefährdet. Spätestens an dieser Stelle wird es fast unmöglich, dies nicht am Personalabbau und falschen finanziellen Anreizen für die Klinikbetreiber festzumachen.

Dass wir Patienten ebenfalls kräftig an der Kostenspirale drehen, zeigt ein Blick in eine Notaufnahme. Hier finden sich nämlich auch zahlreiche Mitmenschen ein, die mit ihren eher harmlosen Beschwerden nicht warten wollen, bis sie einen Termin beim Facharzt bekommen. Und jeder fünfte Patient hier könnte ebenso gut zu seinem Hausarzt gehen, so das Ergebnis einer Auswertung.

Schließlich wird auch noch eine Sorge diskutiert, die meines Erachtens wegen einer oft reißerischen Berichterstattung viele Menschen umtreibt: Wie groß ist die Gefahr durch Keime im Krankenhaus? Schön, dass man hier einen Rückblick eingebaut hat, der auf die enorm gestiegene Lebenserwartung von mittlerweile 80 Jahren verweist. Hygienemaßnahmen hätten erheblich dazu beigetragen, erinnert die Sprecherin. Doch das Problem ist ungelöst.

„Bis zu 900000 Menschen infizieren sich jährlich bei einem Klinikaufenthalt, schätzungsweise 30000 sterben daran.“

Dass die Keime gegen Arzneien unempfindlich werden ist der oftmals zu häufigen und ungenauen Gabe von Antibiotika geschuldet. Weil Hygienemaßnahmen wie das ständige Händewaschen und Desinfizieren zeitaufwändig sind, fällt es Ärzten und Pflegepersonal schwer, alle Regeln einzuhalten, berichtet anonym eine Krankenschwester aus eigener Erfahrung.

Wie sich die Keime verbreiten, wird anschaulich dargestellt. Dazu gehört auch der Hinweis, dass Bakterien und Viren häufiger von außen eingeschleppt werden, als in der Klink abgeholt. Etwa fünf Prozent der Patienten tragen jene Erreger am Leib, mit denen das Personal dann zu kämpfen hat. Sie verbreiten sich zum Beispiel über Türgriffe oder die Knöpfe im Aufzug, aber auch durch Ärzte, die auf Visite von einem Krankenhauszimmer zum nächsten gehen.

Dass eine Reporterin sich als Reinigungskraft getarnt in einem Krankenhaus umsieht und heimlich Proben zieht, darf man wohl als investigativen Journalismus bezeichnen. Später berichtet sie, dass sie statt einer fachgerechten Einweisung ein Formblatt erhalten hat mit dem Hinweis, sie müsse das zwar unterschreiben, aber jetzt nicht alles durchlesen.

Eine obligatorische Pflichtschulung drei Wochen nach Dienstbeginn sei aber eingeplant gewesen, rechtfertigt sich das Klinikum. Experte Zastrow stuft bestimmte Sparmaßnahmen wie eine zu geringe Anzahl an Putzlappen und unterdosierte Desinfektionsmittel als „skandalös“ ein. Ähnliche Zustände herrschen wohl auch an anderen Krankenhäusern, sagen die Experten. Die beanstandete Klinik relativiert die Ergebnisse des verdeckten Test und argumentiert, es seien nur geringe Keimbelastungen gewesen und keine Ansteckungen bekannt geworden.

Trotzdem lautet die Schlussfolgerung: „Das Risiko, sich mit einem Krankenhauskeim anzustecken, ist in Deutschland relativ hoch. Viele Fälle wären durch eine gründlichere Desinfektion vermeidbar. Regeln gibt es genug, doch die Umsetzung kostet Geld, und der Sparzwang ist groß.“

Zur besseren Einordnung hätte man meines Erachtens aber durchaus erwähnen können, dass Zastrow Mitglied dreier Fachgesellschaften ist, die schon seit langem für eine Besserstellung von Hygienikern in deutschen Kliniken kämpfen. Samt entsprechender Bezahlung, versteht sich. Im Abspann werden dann die entdeckten und vermuteten Mängel nochmals aufgezählt, doch endet der Beitrag mit einer positiven Note:

„andererseits werden in unseren Krankenhäusern in jedem Jahr Millionen Menschen behandelt und geheilt. Auch Dank innovativer Spitzenmedizin“.

Insgesamt eine wohltuend unaufgeregte Sendung zu einem lebenswichtigen Thema. Aufklärung und verantwortungsvoller Journalismus im besten Sinne. Wäre da nicht die reißerische, klischeebeladene Ankündigung der Sendung gewesen, hätte ich fast gesagt: „Na also, ZDF. Geht doch.“

Quelle: Wie gut sind unsere Krankenhäuser? ZDF, 1.3.2016. Im August 2016 noch unter ZDFmediathek

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft