Krebsforschung – Verunsicherung durch falsche Zellen

Dutzende von Forschungsarbeiten zum Speiseröhrenkrebs haben womöglich falsche Ergebnisse erbracht, weil die dabei benutzten Zelllinien tatsächlich von Tumoren der Lunge, des Darms und des Magens abstammen. Dass die angeblichen Speiseröhren-Zellen verunreinigt sind, hat ein internationales Team von Wissenschaftlern mit einer Methode bewiesen, die auch bei der Verbrecherjagd immer häufiger zu Einsatz kommt: Dem so genannten STR-Fingerprinting.

Wie die Forscher im Journal of the National Cancer Institute berichten, hatten sie Labors aus aller Welt gebeten, Zelllinien einzusenden, die ursprünglich einmal aus den Zellen bestimmter Tumoren (Adenokarzinome) der Speiseröhre gezüchtet worden waren. Diese Tumoren hatte man bei der Operation einzelner Patienten entfernt. Als die Wissenschaftler um Jurjen J. Boonstra vom Medizinischen Zentrum der Universität Rotterdam jedoch die Abstammung von 13 solcher Zelllinien überprüften, fanden sie drei „Ausreißer“, die offensichtlich verunreinigt waren. Statt Zellen der Speiseröhre fanden sie im Fingerprinting-Test charakteristische Merkmale für Zellen aus Lunge, Magen und Darm. Experimente mit den drei offensichtlich verunreinigten Zelllinien SEG-1, BIC-1 und SK-GT-5 aber hätten in den USA zu elf Patenten geführt, zu mehr als 100 Fachpublikationen sowie zu klinischen Studien mit Patienten, die an Speiseröhrenkrebs leiden.“Die weitverbreitete Nutzung dieser Zelllinien könnte die Entwicklung neuer Therapien gefährden“, befürchten nun die Forscher.

"Wir hätten das gemerkt" Prof. Hans Drexler, DSZM (Foto mit freundlicher Genehmigung)

Dabei sind verunreinigte oder falsch gekennzeichnete Zelllinien kein neues Problem, weiß Professor Hans G. Drexler, der als Abteilungsleiter an der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSZM) zuständig ist für menschliche und tierische Zelllinien. Manchmal stecken in der ursprünglich entnommen Probe eines Tumors zusätzlich Krebszellen aus einem anderen Organ. Wenn diese schneller wachsen als die eigentlich gewünschten Zellen wird der Anteil der Fremdlinge im Laufe der Zeit immer größer und die ursprünglichen Eigenschaften der Zelllinie gehen verloren. Solch eine „feindliche Übernahme“ droht auch bei handwerklichen Fehlern im Labor. Am häufigsten aber, schätzt Drexler, sind ganz einfache Verwechslungen. „Man beschriftet gerade 96 Röhrchen, wird dabei abgelenkt – und schon steht ein A, wo eigentlich B stehen sollte“, so der gegenwärtige Interimsdirektor des DSZM. Bereits vor elf Jahren hat Drexler eine Studie vorgelegt, bei der er unter 252 menschlichen Zelllinien 45 fand, die nicht das waren, was sie schienen. Das entspricht einem Anteil von 18 Prozent, also fast einem Fünftel.

Am DSZM arbeitet man schon lange mit der Fingerprinting-Technik, um die Identität der dort angebotenen Zelllinien zu überprüfen. Tatsächlich befindet sich im Katalog der DSZM keine der von Boonstra enttarnten „falschen“ Zelllinien – eine Absicherung, von der jeder  Wissenschaftler für 270 Euro profitieren kann. „Wir hätten das gemerkt“, behauptet Drexler selbstbewusst und verweist auf die Kooperation mit US-amerikanischen und japanischen Zellbanken, die allen Beteiligten Zugriff auf eine gewaltige Datenbank mit den typischen Kennzeichen der verschiedenen Zelllinien erlaubt. „Es gibt aber immer wieder Schlaumeier, die sich das Geld sparen wollen und Zellen fragwürdiger Qualität aus dem Kühlschrank eines befreundeten Labors benutzen“, so Drexler. „Bei einer Fehlerquote von 18 Prozent ist dies ein ziemlich großes Risiko – nicht nur für jemanden, der gerade eine Doktorarbeit schreibt.“

Quellen:

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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