Nach Kindestod: Trauerhilfe per Internet

Vorbemerkung: Es folgt eine Pressemitteilung der Universität Münster. Sie wurde ausgewählt zur Wiedergabe auf Simmformation, weil hier eine Methode beschrieben wird, die es mit vergleichsweise geringem Aufwand ermöglichen könnte, Eltern zu helfen, die ihr Kind während der Schwangerschaft oder unmittelbar danach verloren haben.

„Der Verlust eines ungeborenen Kindes ist für die betroffenen Eltern oft ein traumatisches Erlebnis.“ Diese Erfahrung hat Professor Anette Kersting als Ärztin und Psychotherapeutin in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster (UKM) bereits häufig gemacht. Aus diesem Grund entwickelte sie ein bundesweit einmaliges Projekt: Eltern, die während oder unmittelbar nach der Schwangerschaft ein Kind verloren haben, bietet Anette Kersting gemeinsam mit den Diplom-Psychologinnen Kristin Kroker und Katja Baus eine Internettherapie, in der sie ihre Trauer verarbeiten können. Vor rund 18 Monaten startete das Onlineportal „Internettherapie nach Verlust eines Kindes in der Schwangerschaft“ (leider nicht mehr aktiv). Mittlerweile liegen im Rahmen der wissenschaftlichen Evaluierung des Projekts erste Ergebnisse vor, die auf eine gute Wirksamkeit der Internettherapie schließen lassen.

Insgesamt 54 Patienten (52 Frauen und zwei Männer) nahmen bisher an der Behandlung teil – mit Erfolg, wie die Untersuchungsergebnisse des Projekts belegen: „Im Anschluss an die Behandlung zeigten die Klienten signifikante Verbesserungen auf allen Symptomebenen. Gemessen auf den Ebenen Trauer, traumatisches Erleben, allgemeine psychische Belastungen, Depressivität, Ängstlichkeit und Somatisierung ging es den Teilnehmern der Therapie signifikant besser als vor der Behandlung,“ freut sich Kersting. Drei Monate nach Abschluss der Behandlung wurden die Teilnehmer erneut befragt – auch zu diesem Zeitpunkt war der Zustand der Betroffenen weiterhin so stabil wie direkt nach der Therapie.

Diese positive Entwicklung würdigt auch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das eine Weiterförderung des Projekts in Höhe von 65000 Euro pro Jahr bis 2011 bewilligte. Dank dieser Förderung können betroffene Eltern die Onlinetherapie kostenlos in Anspruch nehmen. Das Team um Anette Kersting hofft nun, noch viele weitere Eltern in ihrem Trauerprozess zu unterstützen und langfristige Daten zur Wirksamkeit ihrer Therapie sammeln zu können. Dabei wünschen sich die Therapeutinnen, dass in Zukunft auch mehr Männer das Angebot nutzen. Denn Männer trauern anders als Frauen, sind vom Verlust eines Kindes aber ebenso betroffen wie Frauen: „Eine Fehl- oder Totgeburt ist für beide Elternteile ein einschneidendes Erlebnis, das psychisch sehr belastend sein kann“, erklärt Kersting den Leidensdruck trauernder Mütter und Väter. Therapeutische Unterstützung nehmen jedoch nur wenige Väter in Anspruch. Eine herkömmliche Psychotherapie ist für viele immer noch mit einem gesellschaftlichen Makel behaftet. Die Internettherapie hingegen bietet den Betroffenen mehr Anonymität und senkt die Hemmschwelle, professionelle Hilfe in dieser schwierigen Zeit in Anspruch zu nehmen. Doch nicht für alle Patienten ist die Internettherapie die geeignete Therapieform: Menschen, die unter Begleiterkrankungen wie Depressionen leiden oder suizidgefährdet sind, verweist das Team an andere Behandlungsangebote.

Obwohl die Kommunikation in der Onlinetherapie ausschließlich schriftlich per E-Mail erfolgt, entwickelt sich eine intensive Beziehung zwischen Patient und Therapeut: „Die Therapie ging vielen Teilnehmern unglaublich nahe und sie waren erstaunt darüber, wie sehr ihnen die Beratung hilft“, berichtet Kersting. Die Behandlung besteht aus zehn strukturierten Schreibaufgaben, die über einen Zeitraum von fünf Wochen durchgeführt werden. Innerhalb eines Werktages erhalten die Patienten eine Rückmeldung auf ihren Essay und Instruktionen für die nächsten Aufgaben. „Dabei gehen wir individuell auf die Situation der Klienten ein“, betont die Therapeutin. Das Behandlungskonzept selbst gliedert sich in drei Module: In der ersten Phase der Selbstkonfrontation beschäftigen sich die Eltern in vier Texten detailliert mit dem Verlust, indem sie eine besondere Situation ausführlich beschreiben. In der zweiten Phase werden die Patienten aufgefordert einen unterstützenden Brief an eine fiktive Freundin zu schreiben, die das gleiche erlebt hat. So sollen die eigenen Gedanken in Frage gestellt und eine neue Perspektive des Verlusts eingenommen werden. Die dritte Behandlungsphase zielt schließlich darauf ab, das soziale Netzwerk zu reaktivieren und in die Situation der Eltern einzubeziehen.

Hilfe zur Bewältigung der Trauer um ein totes Kind versprechen zudem mehrere Bücher. Die folgenden wurden von den weitaus meisten Lesern bei Amazon als einfühlsam und hilfreich bewertet: „Schmetterlingsflüstern – Botschaften einer Kinderseele„, „Meine Trauer wird Dich finden„, „Tief im Herzen und fest an der Hand“ sowie „Ein Engel ist von uns gegangen„.

Kritisches Nachwort: Trotz des löblichen Ansatzes habe ich oben bewusst geschrieben, die Trauertherapie über das Internet könnte wirksam sein. Zwar waren die Psychotherapeuten offensichtlich „erfolgreich“ in dem Sinne, dass es den Trauernden nach der Therapie besser ging als zuvor. Es fehlt allerdings ein Vergleich, ob es den Betroffenen nicht auch ohne diese Therapie besser gegangen wäre – zumindest steht davon nichts in der Pressemitteilung und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die Studie in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht und von Kollegen auf ihre Stichhaltigkeit überprüft wurde. Für das Familienministerium und deren Leiterin Ursula von der Leyen ist dies anscheinend nicht so wichtig. Es ist Wahlkampfzeit und deshalb halte ich mich mit Hurra-Schreien zurück, wenn ich lese, dass nun erst einmal 65000 Euro jährlich für eine „Weiterförderung“ des Projekts bewilligt wurden, damit betroffene Eltern diese Online-Therapie kostenlos erhalten. Die Chancen stehen gut, dass sich die Wirksamkeit der Psychotherapie per Internet auch für trauernde Eltern erbringen lässt, (für Schlaflosigkeit ist dies bereits gelungen). Aber erst danach würde ich solch ein Angebot für alle Betroffenen gerne mit meinen Steuern oder Krankenkassenbeiträgen mitfinanzieren. Geld ist ja genug vorhanden, 65000 Euro sind nämlich – wenn ich mich nicht verrechnet habe – gerade einmal 0,000065 Milliarden.

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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