G-Punkt wieder nicht gefunden

Ein Forscherteam vom Kings College in London hat 900 weibliche Zwillingspaare untersucht und ist dabei zu einem erstaunlichen Schluss gekommen: Der G-Punkt, dessen Stimulation Frauen angeblich das größtmögliche Glücksgefühl verschaffen soll, existiert gar nicht. Die umstrittene Zone ist nach dem deutschen Arzt Ernst Gräfenberg benannt, der vor nunmehr 60 Jahren in einem Fachartikel diesen Punkt ausgemacht haben will. Er soll circa fünf Zentimeter vom Eingang der Scheide entfernt an deren Vorderwand liegen.

Doch die nun vorgelegte, bislang größte Untersuchung zu dieser Frage konnte dies nicht bestätigen. Die Wissenschaftler um die Schweizer Sexualforscherin Andrea Burri hatten dies bereits vermutet und auf eine Bestätigung durch die 1800 befragten Frauen gehofft . Von denen gab zwar die Mehrzahl (56 Prozent) an, sie hätten einen G-Punkt. Vor allem jüngere und sexuell aktivere Frauen behaupteten dies. Das Muster der Antworten legt jedoch nahe, dass diese Frauen irrten.

Nicht umsonst hatten sich die Wissenschaftler bei ihrer Untersuchung nämlich auf Zwillingspaare konzentriert. Die Überlegung war, dass eineiige Zwillingspaare jeweils die gleiche Antwort hätten geben müssen, da sie ja aus der gleichen Eizelle hervorgegangen sind und somit identische Gene haben – mit einem (fast) identischen Körperbau. Zweieiige Zwillinge, deren Erbmaterial wie bei anderen Geschwistern jeweils nur zu 50 Prozent übereinstimmt, haben einen deutlich unterschiedlichen Körperbau. Also hätten die Antworten dieser Paare häufiger verschieden ausfallen müssen als bei den eineiigen Zwillingen. Dies war aber nicht der Fall. Den Einwand, dass der Besitz eines G-Punktes etwa von der Ernährung oder von bestimmten Sexualpraktiken abhängen könne, wies Burris Kollege Professor Tim Spector zurück, denn dies sei extrem unwahrscheinlich.

Burri legte großen Wert darauf, Frauen ihre Minderwertigkeitsgefühle zu nehmen, die bei sich keinen G-Punkt feststellen konnten. „Es ist ziemlich unverantwortlich, die Existenz einer Struktur zu behaupten, die niemals nachgewiesen wurde, und damit Frauen und Männer unter Druck zu setzen“, sagte die erst 30-jährige Forscherin.

Kritik an der neuen Studie kam von Beverly Whipple, einer mittlerweile emeritierten Professorin der Rutgers Universität im US-amerikanischen New Jersey, die mit geholfen hatte, den G-Punkt populär zu machen. Die Untersuchung sei fehlerhaft, weil die Erfahrungen lesbischer und bisexueller Frauen nicht ausgewertet wurden und weil man die Auswirkungen unterschiedlicher Sextechniken nicht berücksichtigt habe. „Und das größte Problem ist, dass auch Zwillinge im Allgemeinen unterschiedliche Partner im Bett haben“, so Whipple.

Nachtrag vom 29.1.2010:

Anscheinend hat den Franzosen die aus England stammende Forschungsarbeit überhaupt nicht gefallen. Wie die Tageszeitung The Guardian in einem köstlichen Artikel berichtet, beharrten mehrere in Paris versammelte ForscherInnen darauf, dass der G-Punkt existiert – und zwar bei „mindestens 60 Prozent“ der (französischen?) Frauen. Die Engländer hätten eine ungute Tendenz, die Mysterien der Sexualität in absoluten Dimensionen erfassen zu wollen, kritisieren die Französinnen. Und der Chirurg Pierre Foldès warf den Anglosachsen mangelnden Respekt vor den Äußerungen der Frauen vor. „Für alles müssen sie einen Grund haben oder ein Gen, das die Sache erklärt“, schimpfte die Gynäkologin Odile Buisson und fügte hinzu: „Das ist totalitär“. Eine Sache haben die französischen „Wissenschaftler“ allerdings übersehen: Dass nämlich die „englische“ Studie von der Schweizerin Andrea Burri geleitet wurde, und die ist, wie man einem Porträt in der Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ entnehmen kann, weder prüde, noch frauenfeindlich und erst recht nicht häßlich.

Weitere Informationen:

  • Dass die Existenz des G-Punktes umstritten ist, bemerkt auch die Wikipedia in diesem lesenswerten Artikel.
  • Wer mehr über die Fragen und Methoden der Sexualforschung wissen will, dem sei das ebenso lustige wie gründlich recherchierte Buch „Bonk“ von Mary Roach empfohlen.
MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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