EU-Kommission sieht Pharmaindustrie als Preistreiber

Die Pharma-Industrie behindert systematisch die Einführung preisgünstiger Medikamente, so das Ergebnis einer Studie, die die EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes in Brüssel vorgestellt hat. „Die Hersteller von Originalpräparaten bemühen sich aktiv darum, den Markteintritt von Generika zu verzögern“, sagte Kroes. Für das Gesundheitswesen bedeute dies unnötige Kosten in Milliardenhöhe. Durchschnittlich sieben Monate müssten die Verbraucher darauf warten, dass billigere Nachahmer-Präparate (Generika) auf den Markt kommen, nachdem die Patente für die Originale ausgelaufen sind. Einsparungen von 20 Prozent wären möglich, wenn die Generika unmittelbar nach Ablauf der Patente für die „Großen“ auf den Markt kämen, hat die Kommission anhand einer Reihe von Medikamenten errechnet. Wie die Presseagentur AP berichtet, wurde als eine der ersten Konsequenzen aus der Untersuchung ein Kartellverfahren gegen den französischen Pharmakonzern Les Laboratoires Servier eröffnet, sowie gegen mehrere Produzenten von Nachahmer-Präparaten.

Wacht über den Wettbewerb: EU-Kommissarin Neelie Kroes
Wacht über den Wettbewerb: EU-Kommissarin Neelie Kroes

Auslöser der Untersuchung seien „beunruhigende Trends“ auf dem Pharmamarkt gewesen, teilte die Kommission mit. Demnach hat sich die Zahl neuer Arzneien von durchschnittlich 40 in den Jahren 1995 bis 1999 auf lediglich 27 in den Jahren seit 2000 verringert. Demgegenüber stehen Ausgaben der Bürger für Medikamente von derzeit 430 Euro pro Kopf und Jahr. In der gesamten Europäischen Gemeinschaft summiert sich dies auf 214 Milliarden Euro jährlich, was etwa zwei Prozent des Bruttosozialproduktes entspricht. Weil die Bevölkerung immer älter wird, werde sich der Druck auf die Gesundheitssysteme weiter erhöhen, sagt die EU-Kommission voraus und sieht sich in der Pflicht, den Zugang zu „innovativen, erschwinglichen und sicheren Medikamenten ohne unzulässige Verzögerungen“ zu gewährleisten.

„Der Wettbewerb funktioniert nicht so, wie er sollte“, lautet das wichtigste Ergebnis der Untersuchung, bei der neben 70 pharmazeutischen Firmen und Interessenverbänden auch Verbraucher- und Patientengruppen, Ärzte und Apotheker, Versicherungen, Kliniken, Patentämter und weitere Interessensgruppen angehört wurden. In den Dokumenten, die von den Mitarbeitern der Wettbewerbskommissarin Kroes durchforstet wurden, fanden sich klare Belege für eine Blockadepolitik der großen Pharmafirmen: „Wir identifizieren Möglichkeiten, an Patente heran zu kommen, die alleine dem Zweck dienen, die Bewegungsfreiheit unserer Konkurrenten einzuschränken“, wird eine Strategie beschrieben und weiter: „Die Rechte an konkurrenzfähigen Alternativen in den großen Märkten halten wir so lange, bis das Risiko minimal ist, dass konkurrierende Produkte erscheinen“.

Kroes wirf den Herstellern der Originalpräparate vor, den Zulassungsanträgen der billigeren Konkurrenten oftmals aus rein taktischen Gründen zu widersprechen. Vor Gericht hatten sich dann aber nur zwei Prozent aller geprüften Fälle als stichhaltig erwiesen, bei denen große Pharmafirmen behauptet hatten, die Nachahmerpräparate seien weniger sicher oder weniger wirksam als das Original.

Den Argwohn der Wettbewerbskommission haben außerdem mehrere Gerichtsverfahren erweckt, die nach einem ähnlichen Muster abliefen: Firmen der forschenden Arzneimittelindustrie klagten dabei zunächst gegen die Hersteller von günstigeren Nachahmerpräparaten, dann wurden die Verfahren gegen Zahlung einer Geldsumme an die Generika-Produzenten eingestellt. Diese Abkommen will die Kommission nun ebenfalls genauer untersuchen mit der Begründung: „Vergleichsvereinbarungen, die die Markteinführung von Generika beschränken sind potentiell rechtswidrig“.

Für die Hersteller der Originalpräparate liegen die Probleme dagegen ganz woanders: Sie unterstützten zwar die Forderung der Kommission nach Einführung von EU-weit gültigen Patenten. An der verzögerten Markteinführung der preiswerteren Nachahmer-Arzneien seien aber nicht die forschenden Unternehmen schuld, sondern „Mängel im Rechtrahmen“.

Quellen:

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MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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