Depression – Das heimliche Leiden

Robert Enke ist tot und ungezählte Fans sind ebenso fassungslos wie die Familie, Freunde, Nachbarn und Kollegen des deutschen Fußballnationaltorwarts. Dass ein körperlich gesunder Mensch mit 32 Jahren seinem Leben ein Ende bereitet, ist für die meisten unerklärlich – zu weit weg sind sie von jenen düsteren Geisteswelten in denen so viele Depressive gefangen sind. Mein Mitgefühl, aber auch meine Bewunderung gilt Teresa Enke, die den Mut hatte, auf einer Pressekonferenz im Detail über jenes grausame Gedanken-Gefängnis zu berichten, in dem ihr Mann so lange eingesperrt war. Denn noch immer ist die Depression – wie die meisten „Geisteskrankheiten“ – von Mauern des Schweigens und des Unverständnis umgeben. Es sind diese Mauern, hinter denen die „Seelenfinsternis“ wachsen kann. Dank Teresa Enke werden viele nun genauer hinschauen.

Je früher die versteckte Volkskrankheit erkannt wird, umso besser stehen die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung, betont Professor Mathias Berger, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Uniklinikums Freiburg. „Wichtig ist, dass die Depression vom behandelnden Arzt schnellstmöglich erkannt wird, um eine speziell auf den Patienten zugeschnittene Therapie beginnen zu können“, denn „wurde die richtige Diagnose einmal gestellt, kann 80 Prozent der Erkrankten in einem überschaubaren Zeitraum entscheidend geholfen werden“, sagt Berger in amPuls-online, einer Veröffentlichung der Uniklinik Freiburg.

Dort wird auch auf Zahlen der Weltgesundheitsorganisation verwiesen, wonach Depressionen die häufigste Ursache sind für „durch eine gesundheitliche Behinderung gravierend beeinträchtigten Lebensjahre.“ Laut den deutschen Rentenversicherern zählen Depressionen zu den wichtigsten Ursachen für Krankschreibungen und Berentungen – mit steigender Tendenz. Depressionen können in jedem Lebensalter auftreten. Die erschreckend hohe Suizidrate von 15 Prozent bei schwer erkrankten depressiven Langzeitpatienten, unterstreicht die Wichtigkeit einer frühzeitigen Therapie. Unwissenheit, Verdrängung oder Schamgefühle hindern jedoch oft Betroffene daran, sich der Umwelt zu öffnen oder einen Arzt aufzusuchen.

Ein Nadelöhr beim Aufspüren der heimlichen Krankheit sind offensichtlich die Hausärzte, schließe ich aus einer Studie der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Uniklinikums Freiburg. Die ergab nämlich, dass eine entsprechende Schulung von Hausärzten die Erkennungsrate bei Depressionen auf 70 Prozent verdoppelte. Anders gesagt übersehen selbst Hausärzte zwei von drei Depressionen. Dabei ist Schnelligkeit entscheidend, denn „je weniger Krankheitsepisoden der Patient bis zum Beginn einer Therapie durchlebt hat, desto besser ist die langfristige Prognose“, so Berger.

Die genaue Grundlage der Depression ist noch nicht ausgemacht, heißt es bei amPuls-online. Einigkeit besteht jedoch bereits darüber, dass es kein einzelnes Depressionsgen gibt. Familien- und Zwillingsstudien belegen zwar eine genetische Veranlagung zur Depression. Die Zwillingsstudien zeigen auch, dass die Gene nur ein Teilfaktor sind. Selbst bei eineiigen Zwillingen erkrankt der Zwillingspartner nur in etwa mehr als der Hälfte der Fälle. Zu bedenken sei, dass zwischen genetischen Faktoren und sozialen Umweltfaktoren komplizierte Wechselbedingungen bestehen.

Der zweite Faktor für ein erhöhtes Erkrankungsrisiko sind belastende Erfahrungen in der Kindheit. Bei genetisch oder durch eine schlimme Kindheit vorbelasteten Patienten genügen oft schon kleine Auslöser, wie ein Zeitzonen- oder Jahreszeitenwechsel, um die Depression auszulösen. Dies kann auch Berger bestätigen: „Tatsächlich verzeichnen wir in Frühling und Herbst die meisten Depressionserkrankungen.“

Der Einsatz von so genannten Antidepressiva sei heute nicht mehr so umstritten wie vor einigen Jahren, berichtet der Psychiater. Diese Medikamente sollen die Stimmung aufhellen, den inneren Antrieb normalisieren und so gleichzeitig die körperlichen Beschwerden wie Rückenschmerzen und Schlaflosigkeit verringern. Sie wirken gezielt auf die Übertragung der Nervenimpulse im Gehirn. „Antidepressiva lösen bei einigen Patienten und ihren Angehörigen Bedenken aus“, weiß Berger, und urteilt: „Die Nebenwirkungen sind bei den heutigen Medikamenten meist gering, eine Suchtgefahr besteht nicht.“ Unabdingbar sei in der Regel eine begleitende psychotherapeutische Behandlung. Solch eine Psychotherapie bezieht das soziale Umfeld der Patienten mit ein und versucht, seelische Belastungen in alltäglichen Situationen Schritt für Schritt abzubauen. Kritische und krankheitsverursachende Lebenssituationen sollen dabei bearbeitet werden und gemeinsam mit dem Patienten probt der Therapeut, den Umgang mit schwierigen emotionalen Situatonen und vermittelt ein positives Selbstbild.

Weitere Informationen:

  • Das Heft Depressionen überwinden der Stiftung Warentest beschreibt ausführlich den Stand des Wissens über Depressionen und deren Behandlungsmöglichkeiten.
  • Seelenfinsternis heißt das Buch eines holländischen Psychiaters. Die einfühlsame Autobiographie hilft, depressive Menschen besser zu verstehen.
  • Zwei Bücher, die sich kritisch mit den gesellschaftlichen Hintergründen von Depressionen und dem möglichen Missbrauch von Medikamenten auseinandersetzten, sind Verdammt schöne Welt von Elisabeth Wurztel (im englischen Original Prozac Nation) sowie die überarbeitete Fassung des Klassikes Listening to Prozac von Peter D. Kramer. Leider scheint es dazu keine aktualisierte deutschsprachige Ausgabe zu geben, sondern lediglich die 1995 erschienene Übersetzung Glück auf Rezept
  • Das Deutsche Bündnis gegen Depression entstand aus einem Forschungsprojekt, dem Kompetenznetz Depression. Auf den Webseiten gibt es ein eindrückliches Informationsvideo, ein Forum sowie zahlreiche Fakten für Betroffene und Angehörige.
  • Nein, ich schäme mich nicht für eine Broschüre mit dem Titel „Zurück ins Leben“, die ich im Jahr 2003 für den Verband forschender Arzneimittelhersteller erstellt habe.
  • “Es ist, als ob die Seele unwohl wäre”, heißt eine umfangreiche und sehr lesenswerte Broschüre, die meine Kollegin Claudia Eberhardt-Metzger im Auftrag des Bundesforschungsminsteriums erstellt hat. Sie kann auf der Seite http://www.bmbf.de/publikationen/2705.php bestellt werden oder Sie können die Publikation direkt im pdf-Format herunterladen (ca. 1,5 MB)
  • Immer noch lesenswert: Das Stern-Extra „Blick in die Seele“
  • In einem Artikel für den Gesundheitsdienst Netdoktor.de erläutert einer der führenden Fachleute, Professor Ulrich Hegerl, Wissenswertes zur Depression. Dort finden sich auch Informationen zu den verschiedenen Arzneimitteln gegen die Krankheit.
  • Das Onlineportal Denke positiv, welches von der Pharmafirma Wyeth “unterstützt” wird, informiert multimedial über Depressionen und Angsterkrankungen. Auch das Unternehmen Lundbeck unterhält eine eigene Website mit brauchbaren Informationen und Services zur Depression und anderen Erkrankungen des Gehirns.
MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

1 Kommentar

  1. Wer mit schwer Depressiven zu tun hat, weiß, wie wichtig Antidepressiva sind. Obgleich sie natürlich nicht nur positive Seiten haben. Insofern tun die Hersteller auch was Positives, wenn sie Antidepressiva produzieren.

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