Brutale Muttersöhnchen

Junge Männer, die länger bei ihren Eltern wohnen, sind häufiger gewalttätig. Dies ist das Ergebnis einer Befragung von 8400 jugendlichen Briten durch Forscher der Queen Mary Universität in London. Obwohl unter den Befragten nur etwa jeder 25ste ein „Muttersöhnchen“ war, begingen diese ein gutes Fünftel aller Gewalttaten.  Statistische Berechnungen aufgrund der ermittelten Zahlen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Stubenhocker, eine Gewalttat zu begehen, 2,5 Mal größer war als für den Altersdurchschnitt. Demgegenüber erhöhte „gefährliches Trinken“ das Gewaltrisiko lediglich um das 1,6-fache und Verhaltensstörungen im Kindesalter um das 2,2-fache.

Die Untersuchung habe man unternommen, weil man festgestellt hatte, dass zwar generell die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung mit dem Alter abnimmt, dass aber eine Gruppe junger Männer von diesem Trend ausgenommen ist, berichten Professor Jeremy Coid und Dr. Ming Yang in der Fachzeitschrift Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology. So war etwa jede vierte junge Frau zwischen 16 und 19 Jahren nach eigener Darstellung gewalttätig geworden, im Alter zwischen 20 und 24 Jahren aber nur noch jede siebte. Bei den jungen Männern schlägerte sogar jeder zweite zwischen 16 und 19, doch blieb diese Quote wegen des hohen Anteils brutaler Muttersöhnchen auch im Alter zwischen 20 und 24 unverändert.

Mit einer Erklärung ist der gelernte Kriminologe Coid schnell zur Hand: „Die daheim lebenden jungen Männer werden von ihren Eltern nicht länger beeinflusst, sich an die Verhaltensregeln zu halten, die für frühere Generationen galten.“ Dabei sei die Gewalt nur die häufigste Art eines „hedonistischen und anti-sozialen Verhaltens“, das sich außerdem durch Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie ein riskantes Sexualleben äußere. Unter jungen Männern, die sich nicht um ihre eigene Unterkunft oder Kinder kümmern müssen und die nicht mit einer Partnerin zusammen leben, sei solch ein Verhalten wesentlich häufiger anzutreffen, bemerkte Coid. Auch das Geld der Eltern verdirbt demnach den Charakter. „Anders als in der Vergangenheit ist das Einkommen und der Nutzen für junge Männer, die daheim wohnen, ebenso groß wie für diejenigen, die ausgezogen sind und eine größere soziale Verantwortung übernommen haben.“

Ob diese Ergebnisse auch auf andere Länder übertragbar sind, diskutieren Coid und Yang nicht. Zudem muss bei der Interpretation dieser Studie bedacht werden, dass die Fragebogenaktion zwar bereits im Jahr 2000 durchgeführt wurde, dass deren Ergebnisse aber erst jetzt veröffentlicht wurden und somit womöglich bereits überholt sind. Einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge hat allerdings eine „linke Denkfabrik“ britischen Teenagern das schlimmste Verhalten in Europa bescheinigt. 44 Prozent von ihnen sind demnach im Jahr 2007 an Prügeleien beteiligt gewesen, gegenüber „nur“ 28 Prozent in Deutschland. Wenn Coid und Yang recht haben, könnte das Problem sich auch bei uns weiter verschlimmern. Unter der Überschrift „Generation Vielleicht“ vermeldete die Journalistin Kathrin Burger nämlich unlängst in „Bild der Wissenschaft“ einen beunruhigenden Trend zur Nesthockerei auch in Deutschland: Während 1972 nur jeder fünfte junge Erwachsene noch nach seinem 25sten Geburtstag bei den Eltern lebte, war es 2005 schon jeder dritte. Angesichts der Wirtschaftskrise, Kurzarbeit und schlecht bezahlter Einsteigerjobs dürfte diese Entwicklung sich eher noch verschärfen.

Quellen:

Tipp:

Wer die Stubenhocker und Muttersöhnchen besser verstehen will, kann sich dem Thema auf humorige Weise nähern mit dem Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche von Martin Reichert.

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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