Bremsklötze für AIDS-Gene

Georg Sczakiel erinnert sich gerne dar­an, was die Kollegen noch vor wenigen Jahren von seinen Versuchen hielten, das Aids-Virus mit sogenannten An­tisense-Genen zum Schweigen zu brin­gen: Nichts. „Kaum einer hielt das Konzept für erfolgversprechend“, um­schreibt der Leiter einer sechsköpfigen Arbeitsgruppe am Heidelberger Krebs­forschungszentrum höflich die damalige Skepsis.

Die Kollegen werden umdenken müs­sen. Zumindest im Reagenzglas ist es Sczakiel gelungen, menschliche Zellen vor einer Infektion mit dem Immun­schwächevirus zu schützen. Durch eine Gen-Blockade hatten die Abwehrzellen die Vermehrung des Aids-Virus hundert­prozentig unterdrückt – auch mit den feinsten Nachweismethoden konnten nach zwei Monaten keine Erreger mehr aufgespürt werden. Der Gentransfer, dem die T-Zellen ihre Widerstandskraft verdanken, ist allerdings nicht ohne wei­teres auf den Menschen zu übertragen. Zudem glaubt Sczakiel seine Antisense­-Gene noch weiter verbessern zu müs­sen. Vorher sei an klinische Versuche überhaupt nicht zu denken.

Die Idee, ausgewählte Gene zu bloc­kieren, indem man das Ablesen dieser „molekularen Baupläne“ verhindert, ist genau genommen ein alter Hut. In der Natur bedienen sich alle Lebewesen oh­ne Ausnahme dieser Methode. Denn ob­wohl jede Zelle alle Erbinformationen enthält, werden die meisten nur sehr selten gebraucht. In der Regel werden wichtige Abschnitte der jeweils nicht genutzten Gene daher von Eiweiß­molekülen umhüllt und damit für die Zel­le unsichtbar – wie Verkehrsschilder un­ter einem Kartoffelsack.

Manche Viren und Bakterien jedoch benutzen anstelle der Eiweiße kurze Erb­moleküle, die sich zum jeweiligen Gen verhalten wie ein Bild zu seinem Spiegel­bild. Diese Antisense-Gene arbeiten wesentlich genauer als die verhüllenden Eiweiße. Für jedes Gen gibt es nur ein Antisense-Gen. Das setzt sich passgenau darauf und verhindert, daß seine In­formation abgelesen wird. Kennt man das Gen, so lässt sich das Antisense-Gen biotechnisch herstellen.

Antisense-Gene sollen, so das ferne Ziel, nicht nur gegen Aids, sondern auch gegen Krebs, Arteriosklerose und viele andere Krankheiten eingesetzt werden. Sie sollen bestimmte Gene blockieren, deren Funktion zum Auslöser für die Krankheit wird, beispielsweise das Wachstums-Gen in einer Krebszelle, das ungebremst zu der tödlichen Wucherung führt. Die Theorie ist zwar schön, doch die Praxis macht noch Probleme:

Die künstlichen Antisense-Gene wer­den im Körper zu schnell abgebaut. Des­halb hängt man ihnen bestimmte chemi­sche Gruppen an, um den Abbau zu ver­zögern. Auch die Löslichkeit und die Auf­nahme durch die Zellen versucht man zu optimieren.

Schon werden die Antisense-Gene kiloweise produziert, ermöglichen neue Automaten eine schnellere und vor al­lem billigere Herstellung. Erste klinische Versuche sind angelaufen: „Die Branche ist aus dem Kinderstadium heraus“, ur­teilt Fritz Eckstein vom Göttinger Max­-Planck-Institut für Experimentelle Medi­zin, einer der deutschen Pioniere auf die­sem Gebiet. In Deutschland haben sich Hoechst und Bayer entschlossen, gemeinsam die Entwicklung von „Antisense-Medika­menten“ voranzutreiben, weltweit sind es inzwischen fast hundert Firmen. Wer am Ende die Nase vorn haben wird, ist noch offen. Die „molekularen Brems­klötze“ scheinen jedenfalls eine große Zukunft zu haben.

(erschienen in Bild der Wissenschaft, Juni 1993)

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft