Blau macht kreativ, Rot macht aufmerksam

An Theorien, Vermutungen und Behauptungen zur Wirkung unterschiedlicher Farben auf den Menschen gibt es keinen Mangel . Fragt man jedoch nach Beweisen, so geraten auch Experten leicht ins Wanken. Selbst das wohl angesehenste Nachschlagewerk, die Encyclopaedia Britannica, flüchtet sich ins Ungefähre, wenn sie zur Farbpsychologie erklärt, dieser wichtigste Aspekt der Farbe im täglichen Leben sei „wahrscheinlich am schlechtesten definiert und höchst variabel“, zudem kulturell und geschichtlich geprägt und überdies noch abhängig vom Alter, der Stimmung und der geistigen Gesundheit des Betrachters.

Prof. Juliet Zhu von der UBC Sauder School of Business
Prof. Juliet Zhu von der UBC Sauder School of Business

Licht ins Dunkel bringen nun zwei Fachleute für Marktforschung: Die Privatdozentin Rui (Juliet) Zhu und ihr Kollege Ravi Metha von der Sauder School of Business im kanadischen Vancouver konnten in einer ganzen Reihe von Experimenten zeigen, dass die Farbe Rot bei Denkaufgaben die Aufmerksamkeit erhöht und zu einem besonders sorgfältigen Arbeiten anregt. Die Farbe Blau dagegen veranlasste die freiwilligen Versuchspersonen, ihre Denkaufgaben entspannter anzugehen. Sie konzentrierten sich weniger auf die Details, bewiesen dafür aber größere Kreativität und mehr Überblick.

Ausgangspunkt der Experimente waren die bisher oft widersprüchlichen Ergebnisse anderer Wissenschaftler, die sich mit der Auswirkung von Farben auf die Denkleistung beschäftigt haben, schreiben Zhu und Mehta im ScienceExpress, der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Science. „Einige Versuche haben nahe gelegt, dass Blau oder Grün für die Denkleistung besser wäre als Rot; andere Versuche haben das Gegenteil gezeigt“, so die beiden Wissenschaftler.

Zhu und Mehta entwarfen daher sechs Versuchsreihen, bei denen die Freiwilligen meist am Computer vor einem blauen, roten oder neutralem Hintergrund unterschiedliche Aufgaben bewältigen mussten. So ging es unter anderem darum, Ideen für Kinderspielzeuge zu entwickeln, durch die Umstellung von Buchstaben aus einem Wort ein anderes Wort zu schaffen, oder sich möglichst viele Wörter von einer Liste zu merken.

Vor einem roten Hintergrund erinnerten die Versuchspersonen dabei eindeutig mehr Worte aus einer Liste mit 36 Einträgen. Präsentierte man den Probanden dagegen eine Liste von Worten mit ähnlicher Bedeutung, von denen aber nur eines auf der ursprünglichen Liste stand, so war die Fehlerquote vor einem blauen Hintergrund deutlich höher. Die Versuchsteilnehmer – so scheint es – ließen ihrem Geist hier eher freien Lauf und erzielten ein schlechteres Resultat, weil sie sich weniger auf die Details konzentriert hatten.

In einem anderen Wortspiel ging es darum, aus Hinweisen wie „Regal“ und „lesen“ ein bestimmtes Zielwort (hier: „Buch“) zu finden. Diesen Test benuzten Psychologen gerne, um Kreativität zu messen und hier erwies sich ein blauer Hintergrund eindeutig als der bessere. Besonders aufschlussreich war ein Experiment, bei dem die Versuchsteilnehmer aus 20 Bauteilen Kinderspielzeuge basteln sollten, deren Wert anschließend von unabhängigen Gutachtern beurteilt wurde. Hatte man den Probanden die Bauteile zuvor in roter Farbe präsentiert, so schufen diese nach Meinung der Gutachter eher praktisches Spielzeug, waren die Bauteile dagegen blau, so schufen die Versuchsteilnehmer zwar nicht mehr Spielzeuge, doch waren diese laut Urteil der Jury origineller und kreativer, als jene, die aus roten Vorlagen zustande kamen.

„Mit unseren Ergebnissen können wir die bisherigen Widersprüche auflösen“, behaupten Zhu und Mehta. Die Farben Rot und Blau bringen uns demnach in unterschiedliche Grundstimmungen und wirken sich deshalb bei verschiedenen Aufgaben unterschiedlich aus. Der Zusammenhang zwischen diesen Grundstimmungen (Motivationen) und den Farben beruhe auf Erfahrung und Lernvorgängen, erklären die Marktforscher:

Rot werde mit Gefahr und Fehlern in Verbindung gebracht, weil beispielsweise Fehler in Hausarbeiten mit roter Farbe markiert werden, weil die gleiche Farbe auch für Warnhinweise gebraucht wird oder weil Verkehrsschilder, die Autofahrer alarmieren sollen wie „STOP“ oder „Vorfahrt gewähren“ ebenfalls häufig in Rot gehalten sind. Die Farbe Blau dagegen werde von den meisten Menschen mit dem Wasser oder dem Himmel in Verbindung gebracht und löse daher Gefühle von Offenheit, Frieden und Ruhe aus. In solch einer Stimmung sei man eher bereit, neue Strategien zu erproben.

Die gegensätzlichen Stimmungen könnten sich entweder als Vorteil oder als Nachteil erweisen, je nachdem welche Fähigkeiten zu Lösung einer Aufgabe gerade gebraucht werden, argumentieren Zhu und Mehta. Rot führe demnach eher zu einer Denkweise, die das Vermeiden von Fehlern begünstigt und bringt deshalb bessere Ergebnisse bei Aufgaben, bei denen es auf die Details aufkommt. Wer sich Namen, Zahlen und andere Fakten merken oder andere vor Gefahren warnen will, sollte sich deshalb mit einem Rotstift bewaffnen.

„Wenn für die Aufgabe jedoch Kreativität und Fantasie gebraucht werden, wäre blau die nützlichere Farbe“, raten Zhu und Mehta. Allerdings habe man die Versuche an einer nordamerikanischen Universität durchgeführt und es sei ihnen durchaus bewusst, dass die gleiche Farbe in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Assoziationen haben könne. Deshalb müssten die Experimente auch anderswo wiederholt werden, bevor man die Ergebnisse verallgemeinern könne.

Quelle:

Hintergrund Farbpsychologie:

Goethes Farbenkreis zur Idealisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens
Goethes „Farbenkreis zur Idealisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens“

„Die Erfahrung lehrt uns, dass die einzelnen Farben besondere Gemütsstimmungen geben“ dozierte bereits Johann Wolfgang von Goethe. Seine 1810 erschienene Schrift „Zur Farbenlehre“ betrachtete der Dichterfürst selbst als sein wichtigstes Werk und scheute sich nicht, dem englischen Universalgenie Isaac Newton zu unterstellen: „Alle aufgestellten Experimente sind falsch oder falsch angewendet.“ Zwar irrte Goethe in vielen Punkten, doch gilt sein Werk gleichwohl als einer der Grundsteine der modernen Farbpsychologie.

Den meisten Menschen vertraut ist die Wahrnehmung, dass Rot, Orange, Gelb und Braun als „warm“ empfunden werden, Blau, Grün und Grau dagegen als „kalt“. Warme Farbtöne sollen Aufregung, Freude, Erregung, aber auch Aggressionen hervor rufen; Blau und Grün werden mit Sicherheit, Ruhe und Frieden in Verbindung gebracht; Braun, Grau und Schwarz schließlich mit Trauer und Melancholie.

In anderen Kulturkreisen ist die Bedeutung der Farben jedoch manchmal anders belegt. Während bei uns in Schwarz getrauert wird, steht dafür in Indien die Farbe Weiß. Viele Psychologen glauben, aus dem Farbgebrauch eines Menschen und dessen Reaktion auf verschiedene Farben Informationen über dessen Seelenleben gewinnen zu können.

Besonders populär ist ein Persönlichkeitstest, den der Schweizer Psychologe Max Lüscher entwickelt hat. Seine Bücher wurden in 29 Sprachen übersetzt und noch heute ist Lüscher als Berater für Firmen und für die Werbung tätig. Seine Mitwirkung bei der Gestaltung der Trikots für die Schweizer Fussballnationalmannschaft zeigte allerdings keinen besonderen Erfolg – bekanntlich kam das Team bei der letzten Europameisterschaft im eigenen Land nicht über die erste Runde hinaus.

Weiter noch als Lüscher gehen manche Psychologen, die behaupten, mittels einer Farbtherapie (auch Colortherapie oder Chromotherapie genannt) ließen sich Ängste, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände oder Rheuma lindern oder gar heilen. Dagegen warnt die AOK vor dem Versuch, ernsthafte Krankheiten mit solch einer Farbtherapie zu behandeln. „Wenn dadurch eine fachgerechte medizinische Therapie unterbleibt, können gravierende Folgen entstehen“, hieß es auf der Webseite der größten deutschen Krankenkasse, die außerdem betont, dass die Kosten solch einer Therapie nicht erstattet werden.

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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