Besserer Sehchip für Blinde in Aussicht

Was für die meisten Menschen noch nach einem biblischen Wunder klingt, ist für eine wachsende Zahl von Neurowissenschaftlern längst zu einem ganz konkreten Projekt geworden: Weltweit arbeiten Hirnforscher zusammen mit Ingenieuren, Augenärzten und anderen Spezialisten daran, blinden Menschen mithilfe eines „Sehchips“ ihr verlorenes Augenlicht zurück zu geben.

Nun haben Wissenschaftler der Cornell University in New York  einen weiteren großen Fortschritt bekannt gegeben. Auf der Jahrestagung der US-amerikanischen Society for Neuroscience in San Diego zeigte Sheila Nirenberg am Beispiel eines Baby-Bildes, dass Dank der neuen Technik ein sehr viel schärferes und detailreicheres Bild erzeugt werden kann, als dies mit normalen Sehchips möglich wäre. „Mit den heutigen Sehchips können Patienten nur sehr grobe Strukturen erkennen – etwa eine Türöffnung oder ein fahrendes Auto“, beschrieb Nirenberg das Problem. Um ein schärferes Bild zu erhalten, hatten die meisten Forscher versucht, ihre Sehchips mit immer mehr Elektroden auszustatten, die den Sehnerv elektrisch reizen. „Unsere Forschung zeigt jedoch, dass ein anderer Faktor genau so wichtig ist wie die Zahl der stimulierenden Elektroden“, so Nirenberg:  Man müsse auch den Code berücksichtigen, mit dem die Zellen des Sehnerves unter natürlichen Umständen stimuliert werden. In diesem Code sind zahlreiche Informationen über Kontraste, Linien und andere Formen enthalten, die das komplex verschaltete System aus Netzhautzellen im Hintergrund des Auges aus den einfallenden Lichtstrahlen errechnet.

In Versuchen mit blinden Mäusen haben die US-Forscher nun ein elektronisches Bauteil getestet, das Lichtreize ähnlich wie die Zellen der Netzhaut verarbeitet. Dieser Encoder verbesserte die Leistung des Systems so sehr, dass damit detailreiche Bilder von menschlichen Gesichtern, Tieren und Landschaften erzeugt werden konnten. „Zumindest für die Maus haben wir jetzt alle wesentlichen Bauteile zusammen, um die Probleme mit den heutigen Sehchips zu lösen“, sagte Nirenberg. Als nächstes wolle man das System in Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsgruppen beim Menschen testen.

Auch in Deutschland wird intensiv an einem Sehchip gearbeitet. Erst vor wenigen Wochen hatte eine Arbeitsgruppe um Professor Eberhard Zrenner von der Universität Tübingen in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B die Resultate von drei Patienten veröffentlicht, die an Retinitis pigmentosa erkrankt waren, einer bislang unheilbaren erblichen Erkrankung, die zur Zerstörung der Netzhaut des Auges führt. Einem dieser Patienten namens Miikka war ein Sehchip direkt unter der Netzhaut am Ort des schärfsten Sehens (dem Gelben Fleck) eingepflanzt wordken. Der zuvor blinde Patient hatte danach 16 etwa daumengroße Buchstaben unterscheiden und ganze Wörter erkennen können. Dies ist das bislang beste Ergebniss, das Wissenschafftler mit einem Sehchip beim Menschen erzielt haben. Mittelfristig soll die von Zrenner gegründete Firma retina implant derartige Sehchips weiter verbessern und schließlich zur routinemäßigen Behandlung blinder Menschen auf den Markt bringen.

Die US-Wissenschaftler, die ihre neue Strategie zur Verbesserung eines Sehchips in San Diego vorgestellt haben, werden jedoch voraussichtlich nicht mit der Firma retina implant zusammenarbeiten. Statt dessen haben sie angekündigt, dass mit den neuen Erkenntnissen zunächst die Sehchips der US-Firma Second Sight verbessert werden sollen.

Quelle:

  • Nirenberg S., Pandarinath C. A retinal prosthetic strategy with the capacity to restore normal vision. Abstract 20.1 2010 Neuroscience Meeting Planner. San Diego, CA: Society for Neuroscience, 2010. Online.

Weitere Informationen:

MSimm
Journalist für Medizin & Wissenschaft

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